Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.gekommen -- ich meine den Schiffsweinkeller, nicht den süßen Wasservorrathkeller, versteht sich. Wir werden uns darüber einigen! sprach Ludwig lächelnd: aber wahrlich, das achte ich als ein Zeichen von meines Geschickes Gunst, daß ich mit dem braven Freund und nicht mutterseelenallein in das Meer hinaus steuern soll, daß ich im Lande meiner nächsten Bestimmung und zumal in der wimmelnden Hafenstadt wieder einen so kundigen Führer finde, wie ich ihn einst in meinem Leonardus zu Amsterdam fand. Vieles hatten sich die wackeren Freunde einander mitzutheilen, theils was ihre eigenen Gemüther, theils was die Welt bewegte, und wahrlich, die Zeit ließ es nicht am mannichfaltigsten Stoff zu Gesprächen fehlen. Die Patriotenpartei in Holland hatte nun gesiegt, sie hatte das Verderben über ihr eigenes Vaterland heraufbeschworen, wie das stets der Fall ist, wenn die Unvernunft alles gerechte Maß überschreitet und nicht eine verstandvolle geregelte Regierung das Steuer des Staatsschiffes lenkt, sondern ein Haufe entflammter Schreier und selbstsüchtiger Volksmänner dem Volke seine Beglückungsideen vorschwindelt. Die Franzosen, die Feinde waren es, die der niederländischen Patriotenbrutalität selbst Schranken setzen mußten; die Mannszucht der Franzosen war vortrefflich, ihr Benehmen in Holland damals achtungswerth -- Windt empfand dies im vollen Maße und sprach sich darüber in seinen Briefen an seine Gebieterin mit gewohnter Unumwundenheit aus. Holland kam fast ganz um seine einst mit so großen Opfern erkaufte Freiheit, es wurde wenig mehr, als eine französische Provinz; es mußte den Schiffen Frankreichs freie Fahrt auf seinen Strömen gestatten, mußte 100 Millionen Gulden Kriegskosten aufbringen, mußte, so lange der Krieg dauerte, die 25,000 Mann starke französische Besatzung verköstigen und kleiden, und dabei wurde sich des Kunststückes bedient, daß, wenn 25,000 Mann ausgerüstet waren, diese wieder in das schöne Frankreich zurückmarschirten, worauf andere 25,000 Mann nachrückten, die abermals gekleidet wurden. Holland hat damals an 200,000 Mann auf diese Weise gekleidet, was den niederländischen Tuchfabriken außerordentlich zu Gute kam, die nie bessere Zeiten gesehen hatten. Nicht minder hob sich der Lederhandel. Frankreich ließ dem niederländischen Volke und gekommen — ich meine den Schiffsweinkeller, nicht den süßen Wasservorrathkeller, versteht sich. Wir werden uns darüber einigen! sprach Ludwig lächelnd: aber wahrlich, das achte ich als ein Zeichen von meines Geschickes Gunst, daß ich mit dem braven Freund und nicht mutterseelenallein in das Meer hinaus steuern soll, daß ich im Lande meiner nächsten Bestimmung und zumal in der wimmelnden Hafenstadt wieder einen so kundigen Führer finde, wie ich ihn einst in meinem Leonardus zu Amsterdam fand. Vieles hatten sich die wackeren Freunde einander mitzutheilen, theils was ihre eigenen Gemüther, theils was die Welt bewegte, und wahrlich, die Zeit ließ es nicht am mannichfaltigsten Stoff zu Gesprächen fehlen. Die Patriotenpartei in Holland hatte nun gesiegt, sie hatte das Verderben über ihr eigenes Vaterland heraufbeschworen, wie das stets der Fall ist, wenn die Unvernunft alles gerechte Maß überschreitet und nicht eine verstandvolle geregelte Regierung das Steuer des Staatsschiffes lenkt, sondern ein Haufe entflammter Schreier und selbstsüchtiger Volksmänner dem Volke seine Beglückungsideen vorschwindelt. Die Franzosen, die Feinde waren es, die der niederländischen Patriotenbrutalität selbst Schranken setzen mußten; die Mannszucht der Franzosen war vortrefflich, ihr Benehmen in Holland damals achtungswerth — Windt empfand dies im vollen Maße und sprach sich darüber in seinen Briefen an seine Gebieterin mit gewohnter Unumwundenheit aus. Holland kam fast ganz um seine einst mit so großen Opfern erkaufte Freiheit, es wurde wenig mehr, als eine französische Provinz; es mußte den Schiffen Frankreichs freie Fahrt auf seinen Strömen gestatten, mußte 100 Millionen Gulden Kriegskosten aufbringen, mußte, so lange der Krieg dauerte, die 25,000 Mann starke französische Besatzung verköstigen und kleiden, und dabei wurde sich des Kunststückes bedient, daß, wenn 25,000 Mann ausgerüstet waren, diese wieder in das schöne Frankreich zurückmarschirten, worauf andere 25,000 Mann nachrückten, die abermals gekleidet wurden. Holland hat damals an 200,000 Mann auf diese Weise gekleidet, was den niederländischen Tuchfabriken außerordentlich zu Gute kam, die nie bessere Zeiten gesehen hatten. Nicht minder hob sich der Lederhandel. Frankreich ließ dem niederländischen Volke und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0252" n="248"/> gekommen — ich meine den Schiffsweinkeller, nicht den süßen Wasservorrathkeller, versteht sich.</p> <p>Wir werden uns darüber einigen! sprach Ludwig lächelnd: aber wahrlich, das achte ich als ein Zeichen von meines Geschickes Gunst, daß ich mit dem braven Freund und nicht mutterseelenallein in das Meer hinaus steuern soll, daß ich im Lande meiner nächsten Bestimmung und zumal in der wimmelnden Hafenstadt wieder einen so kundigen Führer finde, wie ich ihn einst in meinem Leonardus zu Amsterdam fand.</p> <p>Vieles hatten sich die wackeren Freunde einander mitzutheilen, theils was ihre eigenen Gemüther, theils was die Welt bewegte, und wahrlich, die Zeit ließ es nicht am mannichfaltigsten Stoff zu Gesprächen fehlen. Die Patriotenpartei in Holland hatte nun gesiegt, sie hatte das Verderben über ihr eigenes Vaterland heraufbeschworen, wie das stets der Fall ist, wenn die Unvernunft alles gerechte Maß überschreitet und nicht eine verstandvolle geregelte Regierung das Steuer des Staatsschiffes lenkt, sondern ein Haufe entflammter Schreier und selbstsüchtiger Volksmänner dem Volke seine Beglückungsideen vorschwindelt. Die Franzosen, die Feinde waren es, die der niederländischen Patriotenbrutalität selbst Schranken setzen mußten; die Mannszucht der Franzosen war vortrefflich, ihr Benehmen in Holland damals achtungswerth — Windt empfand dies im vollen Maße und sprach sich darüber in seinen Briefen an seine Gebieterin mit gewohnter Unumwundenheit aus. Holland kam fast ganz um seine einst mit so großen Opfern erkaufte Freiheit, es wurde wenig mehr, als eine französische Provinz; es mußte den Schiffen Frankreichs freie Fahrt auf seinen Strömen gestatten, mußte 100 Millionen Gulden Kriegskosten aufbringen, mußte, so lange der Krieg dauerte, die 25,000 Mann starke französische Besatzung verköstigen und kleiden, und dabei wurde sich des Kunststückes bedient, daß, wenn 25,000 Mann ausgerüstet waren, diese wieder in das schöne Frankreich zurückmarschirten, worauf andere 25,000 Mann nachrückten, die abermals gekleidet wurden. Holland hat damals an 200,000 Mann auf diese Weise gekleidet, was den niederländischen Tuchfabriken außerordentlich zu Gute kam, die nie bessere Zeiten gesehen hatten. Nicht minder hob sich der Lederhandel. Frankreich ließ dem niederländischen Volke und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [248/0252]
gekommen — ich meine den Schiffsweinkeller, nicht den süßen Wasservorrathkeller, versteht sich.
Wir werden uns darüber einigen! sprach Ludwig lächelnd: aber wahrlich, das achte ich als ein Zeichen von meines Geschickes Gunst, daß ich mit dem braven Freund und nicht mutterseelenallein in das Meer hinaus steuern soll, daß ich im Lande meiner nächsten Bestimmung und zumal in der wimmelnden Hafenstadt wieder einen so kundigen Führer finde, wie ich ihn einst in meinem Leonardus zu Amsterdam fand.
Vieles hatten sich die wackeren Freunde einander mitzutheilen, theils was ihre eigenen Gemüther, theils was die Welt bewegte, und wahrlich, die Zeit ließ es nicht am mannichfaltigsten Stoff zu Gesprächen fehlen. Die Patriotenpartei in Holland hatte nun gesiegt, sie hatte das Verderben über ihr eigenes Vaterland heraufbeschworen, wie das stets der Fall ist, wenn die Unvernunft alles gerechte Maß überschreitet und nicht eine verstandvolle geregelte Regierung das Steuer des Staatsschiffes lenkt, sondern ein Haufe entflammter Schreier und selbstsüchtiger Volksmänner dem Volke seine Beglückungsideen vorschwindelt. Die Franzosen, die Feinde waren es, die der niederländischen Patriotenbrutalität selbst Schranken setzen mußten; die Mannszucht der Franzosen war vortrefflich, ihr Benehmen in Holland damals achtungswerth — Windt empfand dies im vollen Maße und sprach sich darüber in seinen Briefen an seine Gebieterin mit gewohnter Unumwundenheit aus. Holland kam fast ganz um seine einst mit so großen Opfern erkaufte Freiheit, es wurde wenig mehr, als eine französische Provinz; es mußte den Schiffen Frankreichs freie Fahrt auf seinen Strömen gestatten, mußte 100 Millionen Gulden Kriegskosten aufbringen, mußte, so lange der Krieg dauerte, die 25,000 Mann starke französische Besatzung verköstigen und kleiden, und dabei wurde sich des Kunststückes bedient, daß, wenn 25,000 Mann ausgerüstet waren, diese wieder in das schöne Frankreich zurückmarschirten, worauf andere 25,000 Mann nachrückten, die abermals gekleidet wurden. Holland hat damals an 200,000 Mann auf diese Weise gekleidet, was den niederländischen Tuchfabriken außerordentlich zu Gute kam, die nie bessere Zeiten gesehen hatten. Nicht minder hob sich der Lederhandel. Frankreich ließ dem niederländischen Volke und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-22T14:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |