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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Sind wir doch längst als Freundinnen vereint, und die Familien stehen sich nahe, ist doch mir und Ihrem berühmten Verwandten, dem Lord William Henry, ein hoher Name gemeinsam, der Name Cavendish.

Und ich will alle meine Wünsche und mein Gebet mit Ihnen vereinen, daß es ihn, den Retter meines Lebens, wie den meines Kindes, zu Heil und Segen führe, was Sie Beide vereint Gutes für Ludwig beschließen! rief Ottoline tief bewegt aus und barg ihre hervorbrechenden Thränen in ihrem Tuche. --

Ach, nur zu schnell verrauschen die schönen Augenblicke, in denen der Menschen Herzen und Seelen sich hochemporgehoben fühlen über alles Flüchtige und Vergängliche, was das Leben umgiebt, wie ein Gewand aus Erdenstoff gebildet -- auch diese Minuten flogen schnell dahin -- die Thüre ging auf und Weisbrod brachte einen Brief.

Die Reichsgräfin nahm denselben, entließ den alten Diener mit gnädigem Winke und sprach mit ihrer gewohnten Ruhe: Ein Schreiben Windt's; es ist angenehm, daß nach dem, was wir so eben besprochen und beschlossen haben, die Wirklichkeit wieder in ihr Recht zu treten begehrt, denn wir verloren uns in das Gebiet der Zukunft mehr als gut ist. Hören wir noch, bevor wir an unsere Toilette für den heutigen Abend denken, was unser ehrlicher Stadthagener, mein treuer Hausintendant schreibt. Von Formen und Formeln ist er kein Freund, er kennt nur eine Formel, die heißt: zu Füßen, oder aux pieds. Außerdem überspringt er alle die läppischen Schnörkel der gedruckten Briefsteller, drückt sich aus, wie er spricht, und stets ungemein verständlich, ja bisweilen selbst drastisch. Dabei hat er einen völlig klaren praktischen Blick in die Verhältnisse, die ihn umgeben. Nun, Sie vernahmen ja schon sein Lob aus meines Enkels Brief. Wir werden gleich sehen, was sich zur Mittheilung eignet.

Die Reichsgräfin öffnete den Brief und las abwechselnd bald leise für sich, bald laut, den Inhalt ihren Freundinnen vor. Leider lauteten die Nachrichten nicht sehr erfreulich, wie denn überhaupt in jener Zeit Erfreuliches fast von keiner Seite her zu erwarten war. "Daß mein Nest ausgeflogen und leer von seinen liebsten Bewohnern, wissen Ihre Excellenz bereits, nur die Unlieben blieben nebst meiner braven Jule. Ich sah die schöne junge Frau Anges, wahrscheinlich Wittwe, mit dem himmlischen Kinde nicht ohne Wehmuth scheiden. Das

Sind wir doch längst als Freundinnen vereint, und die Familien stehen sich nahe, ist doch mir und Ihrem berühmten Verwandten, dem Lord William Henry, ein hoher Name gemeinsam, der Name Cavendish.

Und ich will alle meine Wünsche und mein Gebet mit Ihnen vereinen, daß es ihn, den Retter meines Lebens, wie den meines Kindes, zu Heil und Segen führe, was Sie Beide vereint Gutes für Ludwig beschließen! rief Ottoline tief bewegt aus und barg ihre hervorbrechenden Thränen in ihrem Tuche. —

Ach, nur zu schnell verrauschen die schönen Augenblicke, in denen der Menschen Herzen und Seelen sich hochemporgehoben fühlen über alles Flüchtige und Vergängliche, was das Leben umgiebt, wie ein Gewand aus Erdenstoff gebildet — auch diese Minuten flogen schnell dahin — die Thüre ging auf und Weisbrod brachte einen Brief.

Die Reichsgräfin nahm denselben, entließ den alten Diener mit gnädigem Winke und sprach mit ihrer gewohnten Ruhe: Ein Schreiben Windt’s; es ist angenehm, daß nach dem, was wir so eben besprochen und beschlossen haben, die Wirklichkeit wieder in ihr Recht zu treten begehrt, denn wir verloren uns in das Gebiet der Zukunft mehr als gut ist. Hören wir noch, bevor wir an unsere Toilette für den heutigen Abend denken, was unser ehrlicher Stadthagener, mein treuer Hausintendant schreibt. Von Formen und Formeln ist er kein Freund, er kennt nur eine Formel, die heißt: zu Füßen, oder aux pieds. Außerdem überspringt er alle die läppischen Schnörkel der gedruckten Briefsteller, drückt sich aus, wie er spricht, und stets ungemein verständlich, ja bisweilen selbst drastisch. Dabei hat er einen völlig klaren praktischen Blick in die Verhältnisse, die ihn umgeben. Nun, Sie vernahmen ja schon sein Lob aus meines Enkels Brief. Wir werden gleich sehen, was sich zur Mittheilung eignet.

Die Reichsgräfin öffnete den Brief und las abwechselnd bald leise für sich, bald laut, den Inhalt ihren Freundinnen vor. Leider lauteten die Nachrichten nicht sehr erfreulich, wie denn überhaupt in jener Zeit Erfreuliches fast von keiner Seite her zu erwarten war. „Daß mein Nest ausgeflogen und leer von seinen liebsten Bewohnern, wissen Ihre Excellenz bereits, nur die Unlieben blieben nebst meiner braven Jule. Ich sah die schöne junge Frau Angés, wahrscheinlich Wittwe, mit dem himmlischen Kinde nicht ohne Wehmuth scheiden. Das

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[226/0230] Sind wir doch längst als Freundinnen vereint, und die Familien stehen sich nahe, ist doch mir und Ihrem berühmten Verwandten, dem Lord William Henry, ein hoher Name gemeinsam, der Name Cavendish. Und ich will alle meine Wünsche und mein Gebet mit Ihnen vereinen, daß es ihn, den Retter meines Lebens, wie den meines Kindes, zu Heil und Segen führe, was Sie Beide vereint Gutes für Ludwig beschließen! rief Ottoline tief bewegt aus und barg ihre hervorbrechenden Thränen in ihrem Tuche. — Ach, nur zu schnell verrauschen die schönen Augenblicke, in denen der Menschen Herzen und Seelen sich hochemporgehoben fühlen über alles Flüchtige und Vergängliche, was das Leben umgiebt, wie ein Gewand aus Erdenstoff gebildet — auch diese Minuten flogen schnell dahin — die Thüre ging auf und Weisbrod brachte einen Brief. Die Reichsgräfin nahm denselben, entließ den alten Diener mit gnädigem Winke und sprach mit ihrer gewohnten Ruhe: Ein Schreiben Windt’s; es ist angenehm, daß nach dem, was wir so eben besprochen und beschlossen haben, die Wirklichkeit wieder in ihr Recht zu treten begehrt, denn wir verloren uns in das Gebiet der Zukunft mehr als gut ist. Hören wir noch, bevor wir an unsere Toilette für den heutigen Abend denken, was unser ehrlicher Stadthagener, mein treuer Hausintendant schreibt. Von Formen und Formeln ist er kein Freund, er kennt nur eine Formel, die heißt: zu Füßen, oder aux pieds. Außerdem überspringt er alle die läppischen Schnörkel der gedruckten Briefsteller, drückt sich aus, wie er spricht, und stets ungemein verständlich, ja bisweilen selbst drastisch. Dabei hat er einen völlig klaren praktischen Blick in die Verhältnisse, die ihn umgeben. Nun, Sie vernahmen ja schon sein Lob aus meines Enkels Brief. Wir werden gleich sehen, was sich zur Mittheilung eignet. Die Reichsgräfin öffnete den Brief und las abwechselnd bald leise für sich, bald laut, den Inhalt ihren Freundinnen vor. Leider lauteten die Nachrichten nicht sehr erfreulich, wie denn überhaupt in jener Zeit Erfreuliches fast von keiner Seite her zu erwarten war. „Daß mein Nest ausgeflogen und leer von seinen liebsten Bewohnern, wissen Ihre Excellenz bereits, nur die Unlieben blieben nebst meiner braven Jule. Ich sah die schöne junge Frau Angés, wahrscheinlich Wittwe, mit dem himmlischen Kinde nicht ohne Wehmuth scheiden. Das

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/230>, abgerufen am 24.11.2024.