Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.noch andere Personen das Geheimniß hinzugeben. Ich hatte so ziemlich die Größe der fremden Dame, von welcher ich vorerst nur erfuhr, daß sie die Tochter einer Freundin meiner Mutter sei, daß sie Paris in Folge der Revolution gleich Andern verlassen habe, und daß sie wohl nach einiger Zeit wieder kommen, und eine Zeit lang bei uns wohnen würde, doch solle davon nicht gesprochen werden. Es wurde ein von der Straße ganz entlegenes stilles Zimmer unseres Hauses eingerichtet, um einen weiblichen Besuch aufzunehmen; ich erhielt einige neue Kleider und die Weisung, bisweilen und nach und nach bei Ausgängen verschleiert zu gehen, so daß die Einwohnerschaft gewohnt werde, mich so zu sehen. Ein neues Dienstmädchen vom Lande wurde angenommen, welches an der französischen Grenze bereits gedient hatte und ganz hübsch Französisch sprach. Der Name dieser Dienerin war Sophie Botta; ihr Geburtsort hieß Westbacherhof, vier Stunden von Kaiserslautern. Am Tage des Abgangs ihrer Vorgängerin und Sophiens Antritt fuhr meine Mutter mit mir nach dem unserer Stadt ganz nahen Dörfchen Ixheim, einem Vergnügungsort der Zweibrückner vornehmen Welt, und hatte mir vorher genau meinen Anzug bestimmt. Dort fanden wir jene fremde Dame, die Prinzessin, ohne alle Begleitung, und zwar genau so gekleidet wie ich. Diese junge Dame sehen und sie liebgewinnen, war bei mir die Wirkung jenes Augenblicks, als ich sie ohne Schleier sah; welche Huld, welche Güte, welche süße Verwirrung und Scham strahlte aus diesen himmlischen dunkeln Augen, voll eines Feuers, das nur durch unendliche Sanftmuth gemildert war, die über ihr ganzes Wesen sich ergoß! -- Diese Dame, sagte meine Mutter zu mir nach den ersten Begrüßungen und dem Anknüpfen der Bekanntschaft, wird statt deiner mit mir zurückfahren, liebe Anges, und du wirst dann die kleine Wegstrecke als angenehmen Spaziergang zurücklegen. Dabei bezeichnete sie mir die Straßen, durch welche ich gehen solle, und meinen Weg in das elterliche Haus durch unsern an dessen Hintergebäude angrenzenden Garten, zu dessen Thüre sie mir den Schlüssel behändigte. Es wurde mir nun klar, daß die Fremde mit mir nur eine Person darstellen sollte, sie kehrte mit der Mutter verschleiert als deren Tochter Anges nach Hause zurück, ich kam in der Abenddämmerung durch das Hinterpförtchen in das Haus, und konnte durch eine Treppe im Hofe alsbald in das obere Stockwerk noch andere Personen das Geheimniß hinzugeben. Ich hatte so ziemlich die Größe der fremden Dame, von welcher ich vorerst nur erfuhr, daß sie die Tochter einer Freundin meiner Mutter sei, daß sie Paris in Folge der Revolution gleich Andern verlassen habe, und daß sie wohl nach einiger Zeit wieder kommen, und eine Zeit lang bei uns wohnen würde, doch solle davon nicht gesprochen werden. Es wurde ein von der Straße ganz entlegenes stilles Zimmer unseres Hauses eingerichtet, um einen weiblichen Besuch aufzunehmen; ich erhielt einige neue Kleider und die Weisung, bisweilen und nach und nach bei Ausgängen verschleiert zu gehen, so daß die Einwohnerschaft gewohnt werde, mich so zu sehen. Ein neues Dienstmädchen vom Lande wurde angenommen, welches an der französischen Grenze bereits gedient hatte und ganz hübsch Französisch sprach. Der Name dieser Dienerin war Sophie Botta; ihr Geburtsort hieß Westbacherhof, vier Stunden von Kaiserslautern. Am Tage des Abgangs ihrer Vorgängerin und Sophiens Antritt fuhr meine Mutter mit mir nach dem unserer Stadt ganz nahen Dörfchen Ixheim, einem Vergnügungsort der Zweibrückner vornehmen Welt, und hatte mir vorher genau meinen Anzug bestimmt. Dort fanden wir jene fremde Dame, die Prinzessin, ohne alle Begleitung, und zwar genau so gekleidet wie ich. Diese junge Dame sehen und sie liebgewinnen, war bei mir die Wirkung jenes Augenblicks, als ich sie ohne Schleier sah; welche Huld, welche Güte, welche süße Verwirrung und Scham strahlte aus diesen himmlischen dunkeln Augen, voll eines Feuers, das nur durch unendliche Sanftmuth gemildert war, die über ihr ganzes Wesen sich ergoß! — Diese Dame, sagte meine Mutter zu mir nach den ersten Begrüßungen und dem Anknüpfen der Bekanntschaft, wird statt deiner mit mir zurückfahren, liebe Angés, und du wirst dann die kleine Wegstrecke als angenehmen Spaziergang zurücklegen. Dabei bezeichnete sie mir die Straßen, durch welche ich gehen solle, und meinen Weg in das elterliche Haus durch unsern an dessen Hintergebäude angrenzenden Garten, zu dessen Thüre sie mir den Schlüssel behändigte. Es wurde mir nun klar, daß die Fremde mit mir nur eine Person darstellen sollte, sie kehrte mit der Mutter verschleiert als deren Tochter Angés nach Hause zurück, ich kam in der Abenddämmerung durch das Hinterpförtchen in das Haus, und konnte durch eine Treppe im Hofe alsbald in das obere Stockwerk <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0186" n="182"/> noch andere Personen das Geheimniß hinzugeben. Ich hatte so ziemlich die Größe der fremden Dame, von welcher ich vorerst nur erfuhr, daß sie die Tochter einer Freundin meiner Mutter sei, daß sie Paris in Folge der Revolution gleich Andern verlassen habe, und daß sie wohl nach einiger Zeit wieder kommen, und eine Zeit lang bei uns wohnen würde, doch solle davon nicht gesprochen werden. Es wurde ein von der Straße ganz entlegenes stilles Zimmer unseres Hauses eingerichtet, um einen weiblichen Besuch aufzunehmen; ich erhielt einige neue Kleider und die Weisung, bisweilen und nach und nach bei Ausgängen verschleiert zu gehen, so daß die Einwohnerschaft gewohnt werde, mich so zu sehen. Ein neues Dienstmädchen vom Lande wurde angenommen, welches an der französischen Grenze bereits gedient hatte und ganz hübsch Französisch sprach. Der Name dieser Dienerin war Sophie Botta; ihr Geburtsort hieß Westbacherhof, vier Stunden von Kaiserslautern. Am Tage des Abgangs ihrer Vorgängerin und Sophiens Antritt fuhr meine Mutter mit mir nach dem unserer Stadt ganz nahen Dörfchen Ixheim, einem Vergnügungsort der Zweibrückner vornehmen Welt, und hatte mir vorher genau meinen Anzug bestimmt. Dort fanden wir jene fremde Dame, die Prinzessin, ohne alle Begleitung, und zwar genau so gekleidet wie ich. Diese junge Dame sehen und sie liebgewinnen, war bei mir die Wirkung jenes Augenblicks, als ich sie ohne Schleier sah; welche Huld, welche Güte, welche süße Verwirrung und Scham strahlte aus diesen himmlischen dunkeln Augen, voll eines Feuers, das nur durch unendliche Sanftmuth gemildert war, die über ihr ganzes Wesen sich ergoß! — Diese Dame, sagte meine Mutter zu mir nach den ersten Begrüßungen und dem Anknüpfen der Bekanntschaft, wird statt deiner mit mir zurückfahren, liebe Angés, und du wirst dann die kleine Wegstrecke als angenehmen Spaziergang zurücklegen. Dabei bezeichnete sie mir die Straßen, durch welche ich gehen solle, und meinen Weg in das elterliche Haus durch unsern an dessen Hintergebäude angrenzenden Garten, zu dessen Thüre sie mir den Schlüssel behändigte. 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noch andere Personen das Geheimniß hinzugeben. Ich hatte so ziemlich die Größe der fremden Dame, von welcher ich vorerst nur erfuhr, daß sie die Tochter einer Freundin meiner Mutter sei, daß sie Paris in Folge der Revolution gleich Andern verlassen habe, und daß sie wohl nach einiger Zeit wieder kommen, und eine Zeit lang bei uns wohnen würde, doch solle davon nicht gesprochen werden. Es wurde ein von der Straße ganz entlegenes stilles Zimmer unseres Hauses eingerichtet, um einen weiblichen Besuch aufzunehmen; ich erhielt einige neue Kleider und die Weisung, bisweilen und nach und nach bei Ausgängen verschleiert zu gehen, so daß die Einwohnerschaft gewohnt werde, mich so zu sehen. Ein neues Dienstmädchen vom Lande wurde angenommen, welches an der französischen Grenze bereits gedient hatte und ganz hübsch Französisch sprach. Der Name dieser Dienerin war Sophie Botta; ihr Geburtsort hieß Westbacherhof, vier Stunden von Kaiserslautern. Am Tage des Abgangs ihrer Vorgängerin und Sophiens Antritt fuhr meine Mutter mit mir nach dem unserer Stadt ganz nahen Dörfchen Ixheim, einem Vergnügungsort der Zweibrückner vornehmen Welt, und hatte mir vorher genau meinen Anzug bestimmt. Dort fanden wir jene fremde Dame, die Prinzessin, ohne alle Begleitung, und zwar genau so gekleidet wie ich. Diese junge Dame sehen und sie liebgewinnen, war bei mir die Wirkung jenes Augenblicks, als ich sie ohne Schleier sah; welche Huld, welche Güte, welche süße Verwirrung und Scham strahlte aus diesen himmlischen dunkeln Augen, voll eines Feuers, das nur durch unendliche Sanftmuth gemildert war, die über ihr ganzes Wesen sich ergoß! — Diese Dame, sagte meine Mutter zu mir nach den ersten Begrüßungen und dem Anknüpfen der Bekanntschaft, wird statt deiner mit mir zurückfahren, liebe Angés, und du wirst dann die kleine Wegstrecke als angenehmen Spaziergang zurücklegen. Dabei bezeichnete sie mir die Straßen, durch welche ich gehen solle, und meinen Weg in das elterliche Haus durch unsern an dessen Hintergebäude angrenzenden Garten, zu dessen Thüre sie mir den Schlüssel behändigte. Es wurde mir nun klar, daß die Fremde mit mir nur eine Person darstellen sollte, sie kehrte mit der Mutter verschleiert als deren Tochter Angés nach Hause zurück, ich kam in der Abenddämmerung durch das Hinterpförtchen in das Haus, und konnte durch eine Treppe im Hofe alsbald in das obere Stockwerk
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/186>, abgerufen am 19.07.2024. |