Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Liebe zurückkehrte sah sich veranlaßt, zu dem Heere zu gehen, das die Bestimmung hatte, die verlorene Heimath mit Gewalt der Waffen wieder zu erobern. Die Bestimmung -- ja -- aber nicht Macht, nicht Muth genug! warf Frau Windt ein. Niemand ahnete die Folgen der glühenden Liebe des Prinzen und der Prinzessin, fuhr Anges fort. Der geheime und gutgewählte Zufluchtsort auf deutschem Boden, auf dem Boden meines Vaterlandes, half die Verborgenheit sichern, doch bedurfte die Prinzessin mindestens einer ganz vertrauten Person, um ihr Geheimniß tragen zu helfen; zu dieser Vertrauten wurde meine Mutter erkoren. Es ist mir noch, als ob es vor wenigen Tagen geschehen sei, so lebhaft erinnere ich mich daran, wie eines Abends in der Dämmerung -- ich war noch ein ganz junges Mädchen und saß mit Leonardus in der Rebenlaube vor unserm Hause im zärtlichen kosenden Gespräche -- eine verschleierte Dame bei uns eintrat, von jugendlicher Haltung und schönem Wuchs, und mit einer zarten, außerordentlich wohlklingenden Stimme und im reinsten Französisch nach meiner Mutter fragte. Ich verließ Leonardus und geleitete die Fremde zur Mutter, es fiel mir dieser Besuch gar nicht auf, weil meine Mutter vor ihrer Verheirathung mit meinem Vater in Paris gelebt und in einem hochangesehenen Hause in einem gewissen dienstlichen Verhältniß gestanden hatte. Die Fremde schlug ihren Schleier nicht zurück und fragte meine Mutter, ob sie dieselbe nicht ohne Zeugen sprechen könne, worauf ich mich sogleich zurückzog, und nur noch auf dem Vorsaal meine Mutter in jenem Zimmer laut ausrufen hörte: O ciel! O ma tres chere gracieuse Princesse! -- Ich eilte, weit entfernt horchen zu wollen, schnell zu meinem in der Laube harrenden Geliebten zurück, und dachte kaum noch an die Fremde, so sehr beschäftigt ein junges Mädchen seine Liebe und das Glück, den geliebten Gegenstand sich nahe zu wissen, bis erstere wieder aus dem Hause trat und von meiner Mutter unter ehrerbietigen Verbeugungen schied, ohne daß beide dabei ein Wort wechselten. Meine Mutter weihte meinen Vater in das Geheimniß ein, und endlich mit großer Vorsicht auch mich, das heißt, sie sagte mir nur, was sie für mich nöthig hielt, von der Sache zu wissen, weil auf meine Hülfe Rechnung gemacht werden mußte, um nicht an Liebe zurückkehrte sah sich veranlaßt, zu dem Heere zu gehen, das die Bestimmung hatte, die verlorene Heimath mit Gewalt der Waffen wieder zu erobern. Die Bestimmung — ja — aber nicht Macht, nicht Muth genug! warf Frau Windt ein. Niemand ahnete die Folgen der glühenden Liebe des Prinzen und der Prinzessin, fuhr Angés fort. Der geheime und gutgewählte Zufluchtsort auf deutschem Boden, auf dem Boden meines Vaterlandes, half die Verborgenheit sichern, doch bedurfte die Prinzessin mindestens einer ganz vertrauten Person, um ihr Geheimniß tragen zu helfen; zu dieser Vertrauten wurde meine Mutter erkoren. Es ist mir noch, als ob es vor wenigen Tagen geschehen sei, so lebhaft erinnere ich mich daran, wie eines Abends in der Dämmerung — ich war noch ein ganz junges Mädchen und saß mit Leonardus in der Rebenlaube vor unserm Hause im zärtlichen kosenden Gespräche — eine verschleierte Dame bei uns eintrat, von jugendlicher Haltung und schönem Wuchs, und mit einer zarten, außerordentlich wohlklingenden Stimme und im reinsten Französisch nach meiner Mutter fragte. Ich verließ Leonardus und geleitete die Fremde zur Mutter, es fiel mir dieser Besuch gar nicht auf, weil meine Mutter vor ihrer Verheirathung mit meinem Vater in Paris gelebt und in einem hochangesehenen Hause in einem gewissen dienstlichen Verhältniß gestanden hatte. Die Fremde schlug ihren Schleier nicht zurück und fragte meine Mutter, ob sie dieselbe nicht ohne Zeugen sprechen könne, worauf ich mich sogleich zurückzog, und nur noch auf dem Vorsaal meine Mutter in jenem Zimmer laut ausrufen hörte: O ciel! O ma très chère gracieuse Princesse! — Ich eilte, weit entfernt horchen zu wollen, schnell zu meinem in der Laube harrenden Geliebten zurück, und dachte kaum noch an die Fremde, so sehr beschäftigt ein junges Mädchen seine Liebe und das Glück, den geliebten Gegenstand sich nahe zu wissen, bis erstere wieder aus dem Hause trat und von meiner Mutter unter ehrerbietigen Verbeugungen schied, ohne daß beide dabei ein Wort wechselten. Meine Mutter weihte meinen Vater in das Geheimniß ein, und endlich mit großer Vorsicht auch mich, das heißt, sie sagte mir nur, was sie für mich nöthig hielt, von der Sache zu wissen, weil auf meine Hülfe Rechnung gemacht werden mußte, um nicht an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0185" n="181"/> Liebe zurückkehrte sah sich veranlaßt, zu dem Heere zu gehen, das die Bestimmung hatte, die verlorene Heimath mit Gewalt der Waffen wieder zu erobern.</p> <p>Die Bestimmung — ja — aber nicht Macht, nicht Muth genug! warf Frau Windt ein.</p> <p>Niemand ahnete die Folgen der glühenden Liebe des Prinzen und der Prinzessin, fuhr Angés fort. Der geheime und gutgewählte Zufluchtsort auf deutschem Boden, auf dem Boden meines Vaterlandes, half die Verborgenheit sichern, doch bedurfte die Prinzessin mindestens <hi rendition="#g">einer</hi> ganz vertrauten Person, um ihr Geheimniß tragen zu helfen; zu dieser Vertrauten wurde meine Mutter erkoren. Es ist mir noch, als ob es vor wenigen Tagen geschehen sei, so lebhaft erinnere ich mich daran, wie eines Abends in der Dämmerung — ich war noch ein ganz junges Mädchen und saß mit Leonardus in der Rebenlaube vor unserm Hause im zärtlichen kosenden Gespräche — eine verschleierte Dame bei uns eintrat, von jugendlicher Haltung und schönem Wuchs, und mit einer zarten, außerordentlich wohlklingenden Stimme und im reinsten Französisch nach meiner Mutter fragte. Ich verließ Leonardus und geleitete die Fremde zur Mutter, es fiel mir dieser Besuch gar nicht auf, weil meine Mutter vor ihrer Verheirathung mit meinem Vater in Paris gelebt und in einem hochangesehenen Hause in einem gewissen dienstlichen Verhältniß gestanden hatte. Die Fremde schlug ihren Schleier nicht zurück und fragte meine Mutter, ob sie dieselbe nicht ohne Zeugen sprechen könne, worauf ich mich sogleich zurückzog, und nur noch auf dem Vorsaal meine Mutter in jenem Zimmer laut ausrufen hörte: <hi rendition="#aq">O ciel! O ma très chère gracieuse Princesse!</hi> — Ich eilte, weit entfernt horchen zu wollen, schnell zu meinem in der Laube harrenden Geliebten zurück, und dachte kaum noch an die Fremde, so sehr beschäftigt ein junges Mädchen seine Liebe und das Glück, den geliebten Gegenstand sich nahe zu wissen, bis erstere wieder aus dem Hause trat und von meiner Mutter unter ehrerbietigen Verbeugungen schied, ohne daß beide dabei ein Wort wechselten. Meine Mutter weihte meinen Vater in das Geheimniß ein, und endlich mit großer Vorsicht auch mich, das heißt, sie sagte mir nur, was sie für mich nöthig hielt, von der Sache zu wissen, weil auf meine Hülfe Rechnung gemacht werden mußte, um nicht an </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [181/0185]
Liebe zurückkehrte sah sich veranlaßt, zu dem Heere zu gehen, das die Bestimmung hatte, die verlorene Heimath mit Gewalt der Waffen wieder zu erobern.
Die Bestimmung — ja — aber nicht Macht, nicht Muth genug! warf Frau Windt ein.
Niemand ahnete die Folgen der glühenden Liebe des Prinzen und der Prinzessin, fuhr Angés fort. Der geheime und gutgewählte Zufluchtsort auf deutschem Boden, auf dem Boden meines Vaterlandes, half die Verborgenheit sichern, doch bedurfte die Prinzessin mindestens einer ganz vertrauten Person, um ihr Geheimniß tragen zu helfen; zu dieser Vertrauten wurde meine Mutter erkoren. Es ist mir noch, als ob es vor wenigen Tagen geschehen sei, so lebhaft erinnere ich mich daran, wie eines Abends in der Dämmerung — ich war noch ein ganz junges Mädchen und saß mit Leonardus in der Rebenlaube vor unserm Hause im zärtlichen kosenden Gespräche — eine verschleierte Dame bei uns eintrat, von jugendlicher Haltung und schönem Wuchs, und mit einer zarten, außerordentlich wohlklingenden Stimme und im reinsten Französisch nach meiner Mutter fragte. Ich verließ Leonardus und geleitete die Fremde zur Mutter, es fiel mir dieser Besuch gar nicht auf, weil meine Mutter vor ihrer Verheirathung mit meinem Vater in Paris gelebt und in einem hochangesehenen Hause in einem gewissen dienstlichen Verhältniß gestanden hatte. Die Fremde schlug ihren Schleier nicht zurück und fragte meine Mutter, ob sie dieselbe nicht ohne Zeugen sprechen könne, worauf ich mich sogleich zurückzog, und nur noch auf dem Vorsaal meine Mutter in jenem Zimmer laut ausrufen hörte: O ciel! O ma très chère gracieuse Princesse! — Ich eilte, weit entfernt horchen zu wollen, schnell zu meinem in der Laube harrenden Geliebten zurück, und dachte kaum noch an die Fremde, so sehr beschäftigt ein junges Mädchen seine Liebe und das Glück, den geliebten Gegenstand sich nahe zu wissen, bis erstere wieder aus dem Hause trat und von meiner Mutter unter ehrerbietigen Verbeugungen schied, ohne daß beide dabei ein Wort wechselten. Meine Mutter weihte meinen Vater in das Geheimniß ein, und endlich mit großer Vorsicht auch mich, das heißt, sie sagte mir nur, was sie für mich nöthig hielt, von der Sache zu wissen, weil auf meine Hülfe Rechnung gemacht werden mußte, um nicht an
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/185>, abgerufen am 19.07.2024. |