Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683].

Bild:
<< vorherige Seite

Seelen-Weißheit.
liche Sachen werden durch die äusserliche Sinne
vernommen/ als Farben und Gestalt durchs Ge-
sicht/ Klang durchs Gehör/ hart weich/ glatt/ rauh/
durch Gefühl/ und so fort. Daraus gestaltet die
Vernunfft hernach unterschiedliche Betrachtun-
gen/ und betrachtet solche Leiber/ erstlich mathema-
tice,
nach der Zahl/ Maß/ Gestalt/ Gewicht; her-
nach physice, was sie vor Leiden/ Zufäll/ Eigen-
schafften und action haben; drittens/ was sie vor
correlationen und reactionen mit einander ha-
ben; und viertens/ wie sie ad usum civilem die-
nen. Dieses alles geschicht durch eine Ratiocina-
tion
oder Gegeneinanderhaltung eines Cörpers/
und dessen vorgemeldter vierfacher Betrachtung
gegen die andere/ woraus dann die Vernunfft
hernach Schlüsse/ definitiones, distinctiones,
praecisiones, axiomata
und hypotheses macht.
Dann gleichwie die Sprach oder Rede-Kunst
erfordert/ jede Sach mit ihrem eigenen bekandten
Namen zu nennen; also bestehet die ratiocination
oder Vernunfft-Kunst fürnemlich darinnen/ jede
Sach von der andern zu unterscheiden/ und dieses
Unterscheides absonderliche Ursach zu geben/
nemlich die eigendliche Beschreibung. Solcher
absonderlicher Unterscheid muß aber entweder
aus würcklicher Erfahrenheit kommen: Dann
darum sagt die Schrifft/ daß GOtt alle Thiere
vor Adam geführet/ damit er ihre Gestalt und Na-

tur
D

Seelen-Weißheit.
liche Sachen werden durch die aͤuſſerliche Sinne
vernommen/ als Farben und Geſtalt durchs Ge-
ſicht/ Klang durchs Gehoͤr/ hart weich/ glatt/ rauh/
durch Gefuͤhl/ und ſo fort. Daraus geſtaltet die
Vernunfft hernach unterſchiedliche Betrachtun-
gen/ und betrachtet ſolche Leiber/ erſtlich mathema-
ticè,
nach der Zahl/ Maß/ Geſtalt/ Gewicht; her-
nach phyſicè, was ſie vor Leiden/ Zufaͤll/ Eigen-
ſchafften und action haben; drittens/ was ſie vor
correlationen und reactionen mit einander ha-
ben; und viertens/ wie ſie ad uſum civilem die-
nen. Dieſes alles geſchicht durch eine Ratiocina-
tion
oder Gegeneinanderhaltung eines Coͤrpers/
und deſſen vorgemeldter vierfacher Betrachtung
gegen die andere/ woraus dann die Vernunfft
hernach Schluͤſſe/ definitiones, diſtinctiones,
præciſiones, axiomata
und hypotheſes macht.
Dann gleichwie die Sprach oder Rede-Kunſt
erfordert/ jede Sach mit ihrem eigenen bekandten
Namen zu nennen; alſo beſtehet die ratiocination
oder Vernunfft-Kunſt fuͤrnemlich darinnen/ jede
Sach von der andern zu unterſcheiden/ und dieſes
Unterſcheides abſonderliche Urſach zu geben/
nemlich die eigendliche Beſchreibung. Solcher
abſonderlicher Unterſcheid muß aber entweder
aus wuͤrcklicher Erfahrenheit kommen: Dann
darum ſagt die Schrifft/ daß GOtt alle Thiere
vor Adam gefuͤhret/ damit er ihre Geſtalt und Na-

tur
D
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0131" n="73"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Seelen-Weißheit.</hi></fw><lb/>
liche Sachen werden durch die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erliche Sinne<lb/>
vernommen/ als Farben und Ge&#x017F;talt durchs Ge-<lb/>
&#x017F;icht/ Klang durchs Geho&#x0364;r/ hart weich/ glatt/ rauh/<lb/>
durch Gefu&#x0364;hl/ und &#x017F;o fort. Daraus ge&#x017F;taltet die<lb/>
Vernunfft hernach unter&#x017F;chiedliche Betrachtun-<lb/>
gen/ und betrachtet &#x017F;olche Leiber/ er&#x017F;tlich <hi rendition="#aq">mathema-<lb/>
ticè,</hi> nach der Zahl/ Maß/ Ge&#x017F;talt/ Gewicht; her-<lb/>
nach <hi rendition="#aq">phy&#x017F;icè,</hi> was &#x017F;ie vor Leiden/ Zufa&#x0364;ll/ Eigen-<lb/>
&#x017F;chafften und <hi rendition="#aq">action</hi> haben; drittens/ was &#x017F;ie vor<lb/><hi rendition="#aq">correlation</hi>en und <hi rendition="#aq">reaction</hi>en mit einander ha-<lb/>
ben; und viertens/ wie &#x017F;ie <hi rendition="#aq">ad u&#x017F;um civilem</hi> die-<lb/>
nen. Die&#x017F;es alles ge&#x017F;chicht durch eine <hi rendition="#aq">Ratiocina-<lb/>
tion</hi> oder Gegeneinanderhaltung eines Co&#x0364;rpers/<lb/>
und de&#x017F;&#x017F;en vorgemeldter vierfacher Betrachtung<lb/>
gegen die andere/ woraus dann die Vernunfft<lb/>
hernach Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e/ <hi rendition="#aq">definitiones, di&#x017F;tinctiones,<lb/>
præci&#x017F;iones, axiomata</hi> und <hi rendition="#aq">hypothe&#x017F;es</hi> macht.<lb/>
Dann gleichwie die Sprach oder Rede-Kun&#x017F;t<lb/>
erfordert/ jede Sach mit ihrem eigenen bekandten<lb/>
Namen zu nennen; al&#x017F;o be&#x017F;tehet die <hi rendition="#aq">ratiocination</hi><lb/>
oder Vernunfft-Kun&#x017F;t fu&#x0364;rnemlich darinnen/ jede<lb/>
Sach von der andern zu unter&#x017F;cheiden/ und die&#x017F;es<lb/><hi rendition="#fr">U</hi>nter&#x017F;cheides ab&#x017F;onderliche <hi rendition="#fr">U</hi>r&#x017F;ach zu geben/<lb/>
nemlich die eigendliche Be&#x017F;chreibung. Solcher<lb/>
ab&#x017F;onderlicher <hi rendition="#fr">U</hi>nter&#x017F;cheid muß aber entweder<lb/>
aus wu&#x0364;rcklicher Erfahrenheit kommen: Dann<lb/>
darum &#x017F;agt die Schrifft/ daß GOtt alle Thiere<lb/>
vor Adam gefu&#x0364;hret/ damit er ihre Ge&#x017F;talt und Na-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D</fw><fw place="bottom" type="catch">tur</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0131] Seelen-Weißheit. liche Sachen werden durch die aͤuſſerliche Sinne vernommen/ als Farben und Geſtalt durchs Ge- ſicht/ Klang durchs Gehoͤr/ hart weich/ glatt/ rauh/ durch Gefuͤhl/ und ſo fort. Daraus geſtaltet die Vernunfft hernach unterſchiedliche Betrachtun- gen/ und betrachtet ſolche Leiber/ erſtlich mathema- ticè, nach der Zahl/ Maß/ Geſtalt/ Gewicht; her- nach phyſicè, was ſie vor Leiden/ Zufaͤll/ Eigen- ſchafften und action haben; drittens/ was ſie vor correlationen und reactionen mit einander ha- ben; und viertens/ wie ſie ad uſum civilem die- nen. Dieſes alles geſchicht durch eine Ratiocina- tion oder Gegeneinanderhaltung eines Coͤrpers/ und deſſen vorgemeldter vierfacher Betrachtung gegen die andere/ woraus dann die Vernunfft hernach Schluͤſſe/ definitiones, diſtinctiones, præciſiones, axiomata und hypotheſes macht. Dann gleichwie die Sprach oder Rede-Kunſt erfordert/ jede Sach mit ihrem eigenen bekandten Namen zu nennen; alſo beſtehet die ratiocination oder Vernunfft-Kunſt fuͤrnemlich darinnen/ jede Sach von der andern zu unterſcheiden/ und dieſes Unterſcheides abſonderliche Urſach zu geben/ nemlich die eigendliche Beſchreibung. Solcher abſonderlicher Unterſcheid muß aber entweder aus wuͤrcklicher Erfahrenheit kommen: Dann darum ſagt die Schrifft/ daß GOtt alle Thiere vor Adam gefuͤhret/ damit er ihre Geſtalt und Na- tur D

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683/131
Zitationshilfe: Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683], S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683/131>, abgerufen am 24.11.2024.