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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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Diese Bestimmungen für die Erwerbung des Bürgerrechts in der "Republik"
Hamburg sind so reaktionär als möglich, sie sind weit rückständiger als die gleich-
artigen Bestimmungen in fast allen übrigen Staaten Deutschlands. Damit ist
wieder ein neuer Beweis für die alte Erfahrung geliefert, daß eine Bourgeoisie,
die durch die Sozialdemokratie in Angst und Schrecken gejagt wurde, in der Regel
weit reaktionärer ist als eine Monarchie. Der aus Angst vor dem "Umsturz"
toll gewordene Bourgeois ist der Typus der Feigheit.

Weimar.

Die weimarische Kammer besteht aus 31 Abgeordneten: sie ist zusammen-
gesetzt aus einem Vertreter der begüterten ehemaligen Ritterschaft, aus vier Ver-
tretern der Besitzer inländischen Grundeigenthums von mindestens 8000 Mk. Rente;
aus fünf Vertretern derjenigen Staatsangehörigen, die über 3000 Mk. jährliches
Einkommen haben und aus 21 Abgeordneten, welche die übrigen Staatsangehörigen
wählen, soweit sie das Ortsbürgerrecht besitzen. Die ersten drei Wählerklassen
wählen ihre Abgeordneten direkt, die vierte Klasse wählt indirekt. Das Orts-
bürgerrecht muß durch Kauf erworben werden. Wahlmann kann nur der Orts-
bürger werden, der das 25. Lebensjahr überschritten hat. Zum Abgeordneten
kann nur gewählt werden, wer mindestens das 30. Lebensjahr vollendet hat.

Auch in dem kleinen Großherzogthum Weimar ist, wie man sieht, reichlich
Vorsorge getroffen, daß die demokratischen oder gar die sozialdemokratischen
Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Anhalt.

Jm Herzogthum Anhalt ist jeder Staatsangehörige Wähler, der das
25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Für den Ausschluß vom Wahlrecht gelten ähnliche
Bestimmungen wie beim Reichstags-Wahlrecht. Es giebt nur eine Kammer.

Die Zahl der Abgeordneten beträgt 36. Von diesen ernennt der Herzog 2;
die höchstbesteuerten Grundbesitzer, die 63 Mk. und mehr Grundsteuer entrichten,
wählen 8 Abgeordnete. Die höchstbesteuerten Handels- und Gewerbetreibenden,
insofern sie mit mehr als 18000 Mk. Einkommen zur Einkommensteuer heran-
gezogen sind, wählen 2 Abgeordnete, die Städte wählen 14, das platte Land
10 Abgeordnete.

Die Wahl der beiden letzterwähnten Kategorien von Abgeordneten erfolgt
indirekt durch Wahlmänner. Wie in Braunschweig, Weimar und anderwärts, so
tritt auch hier ein Bevormundungssystem der Wähler durch Wahlmänner ein,
sobald größere Wählerkreise vorhanden sind. Ein Wahlzensus besteht nicht. Die
22 Städte des Herzogthums bilden 9 Wahlkreise, von denen einer (Dessau) 3,
ein anderer (Bernburg) 2 Abgeordnete wählt. Die Wahlen sind geheim, auf
150 - 200 Einwohner wird ein Wahlmann gewählt.

Mecklenburg.

Die beiden Mecklenburg (Schwerin und Strelitz) sind die einzigen deutschen
Staaten, die noch im Zustande feudalherrlicher Unschuld sich befinden; sie besitzen
noch kein Feigenblatt, genannt konstitutionelle Verfassung, das ihre Blöße deckt.
Der mehrmals wiederholte Beschluß des deutschen Reichstags Anfangs der
siebenziger Jahre, daß jeder deutsche Bundesstaat eine aus Wahlen der Bevölkerung
hervorgegangene Landesvertretung besitzen muß, fand beim Bundesrath keine
Gegenliebe und wanderte in den Papierkorb. Die Serenissimi in den beiden
Mecklenburg und ihre Regierungen, die wußten, daß die Beschlüsse des Reichstags
nur ihnen galten, blieben ungerührt und fuhren fort, zu regieren, als gingen sie
diese Beschlüsse nichts an. Die mittelalterliche landständische Verfassung, nach der
die Korps der Ritter- und der Landschaft nebst einigen ernannten Vertretern der
Städte das Heft in der Hand haben, war zwar ebenfalls in den Bewegungs-
jahren vorübergehend in Gefahr, sogar auch kurze Zeit außer Kraft gesetzt und durch

Diese Bestimmungen für die Erwerbung des Bürgerrechts in der „Republik“
Hamburg sind so reaktionär als möglich, sie sind weit rückständiger als die gleich-
artigen Bestimmungen in fast allen übrigen Staaten Deutschlands. Damit ist
wieder ein neuer Beweis für die alte Erfahrung geliefert, daß eine Bourgeoisie,
die durch die Sozialdemokratie in Angst und Schrecken gejagt wurde, in der Regel
weit reaktionärer ist als eine Monarchie. Der aus Angst vor dem „Umsturz“
toll gewordene Bourgeois ist der Typus der Feigheit.

Weimar.

Die weimarische Kammer besteht aus 31 Abgeordneten: sie ist zusammen-
gesetzt aus einem Vertreter der begüterten ehemaligen Ritterschaft, aus vier Ver-
tretern der Besitzer inländischen Grundeigenthums von mindestens 8000 Mk. Rente;
aus fünf Vertretern derjenigen Staatsangehörigen, die über 3000 Mk. jährliches
Einkommen haben und aus 21 Abgeordneten, welche die übrigen Staatsangehörigen
wählen, soweit sie das Ortsbürgerrecht besitzen. Die ersten drei Wählerklassen
wählen ihre Abgeordneten direkt, die vierte Klasse wählt indirekt. Das Orts-
bürgerrecht muß durch Kauf erworben werden. Wahlmann kann nur der Orts-
bürger werden, der das 25. Lebensjahr überschritten hat. Zum Abgeordneten
kann nur gewählt werden, wer mindestens das 30. Lebensjahr vollendet hat.

Auch in dem kleinen Großherzogthum Weimar ist, wie man sieht, reichlich
Vorsorge getroffen, daß die demokratischen oder gar die sozialdemokratischen
Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Anhalt.

Jm Herzogthum Anhalt ist jeder Staatsangehörige Wähler, der das
25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Für den Ausschluß vom Wahlrecht gelten ähnliche
Bestimmungen wie beim Reichstags-Wahlrecht. Es giebt nur eine Kammer.

Die Zahl der Abgeordneten beträgt 36. Von diesen ernennt der Herzog 2;
die höchstbesteuerten Grundbesitzer, die 63 Mk. und mehr Grundsteuer entrichten,
wählen 8 Abgeordnete. Die höchstbesteuerten Handels- und Gewerbetreibenden,
insofern sie mit mehr als 18000 Mk. Einkommen zur Einkommensteuer heran-
gezogen sind, wählen 2 Abgeordnete, die Städte wählen 14, das platte Land
10 Abgeordnete.

Die Wahl der beiden letzterwähnten Kategorien von Abgeordneten erfolgt
indirekt durch Wahlmänner. Wie in Braunschweig, Weimar und anderwärts, so
tritt auch hier ein Bevormundungssystem der Wähler durch Wahlmänner ein,
sobald größere Wählerkreise vorhanden sind. Ein Wahlzensus besteht nicht. Die
22 Städte des Herzogthums bilden 9 Wahlkreise, von denen einer (Dessau) 3,
ein anderer (Bernburg) 2 Abgeordnete wählt. Die Wahlen sind geheim, auf
150 - 200 Einwohner wird ein Wahlmann gewählt.

Mecklenburg.

Die beiden Mecklenburg (Schwerin und Strelitz) sind die einzigen deutschen
Staaten, die noch im Zustande feudalherrlicher Unschuld sich befinden; sie besitzen
noch kein Feigenblatt, genannt konstitutionelle Verfassung, das ihre Blöße deckt.
Der mehrmals wiederholte Beschluß des deutschen Reichstags Anfangs der
siebenziger Jahre, daß jeder deutsche Bundesstaat eine aus Wahlen der Bevölkerung
hervorgegangene Landesvertretung besitzen muß, fand beim Bundesrath keine
Gegenliebe und wanderte in den Papierkorb. Die Serenissimi in den beiden
Mecklenburg und ihre Regierungen, die wußten, daß die Beschlüsse des Reichstags
nur ihnen galten, blieben ungerührt und fuhren fort, zu regieren, als gingen sie
diese Beschlüsse nichts an. Die mittelalterliche landständische Verfassung, nach der
die Korps der Ritter- und der Landschaft nebst einigen ernannten Vertretern der
Städte das Heft in der Hand haben, war zwar ebenfalls in den Bewegungs-
jahren vorübergehend in Gefahr, sogar auch kurze Zeit außer Kraft gesetzt und durch

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[41/0045] Diese Bestimmungen für die Erwerbung des Bürgerrechts in der „Republik“ Hamburg sind so reaktionär als möglich, sie sind weit rückständiger als die gleich- artigen Bestimmungen in fast allen übrigen Staaten Deutschlands. Damit ist wieder ein neuer Beweis für die alte Erfahrung geliefert, daß eine Bourgeoisie, die durch die Sozialdemokratie in Angst und Schrecken gejagt wurde, in der Regel weit reaktionärer ist als eine Monarchie. Der aus Angst vor dem „Umsturz“ toll gewordene Bourgeois ist der Typus der Feigheit. Weimar. Die weimarische Kammer besteht aus 31 Abgeordneten: sie ist zusammen- gesetzt aus einem Vertreter der begüterten ehemaligen Ritterschaft, aus vier Ver- tretern der Besitzer inländischen Grundeigenthums von mindestens 8000 Mk. Rente; aus fünf Vertretern derjenigen Staatsangehörigen, die über 3000 Mk. jährliches Einkommen haben und aus 21 Abgeordneten, welche die übrigen Staatsangehörigen wählen, soweit sie das Ortsbürgerrecht besitzen. Die ersten drei Wählerklassen wählen ihre Abgeordneten direkt, die vierte Klasse wählt indirekt. Das Orts- bürgerrecht muß durch Kauf erworben werden. Wahlmann kann nur der Orts- bürger werden, der das 25. Lebensjahr überschritten hat. Zum Abgeordneten kann nur gewählt werden, wer mindestens das 30. Lebensjahr vollendet hat. Auch in dem kleinen Großherzogthum Weimar ist, wie man sieht, reichlich Vorsorge getroffen, daß die demokratischen oder gar die sozialdemokratischen Bäume nicht in den Himmel wachsen. Anhalt. Jm Herzogthum Anhalt ist jeder Staatsangehörige Wähler, der das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Für den Ausschluß vom Wahlrecht gelten ähnliche Bestimmungen wie beim Reichstags-Wahlrecht. Es giebt nur eine Kammer. Die Zahl der Abgeordneten beträgt 36. Von diesen ernennt der Herzog 2; die höchstbesteuerten Grundbesitzer, die 63 Mk. und mehr Grundsteuer entrichten, wählen 8 Abgeordnete. Die höchstbesteuerten Handels- und Gewerbetreibenden, insofern sie mit mehr als 18000 Mk. Einkommen zur Einkommensteuer heran- gezogen sind, wählen 2 Abgeordnete, die Städte wählen 14, das platte Land 10 Abgeordnete. Die Wahl der beiden letzterwähnten Kategorien von Abgeordneten erfolgt indirekt durch Wahlmänner. Wie in Braunschweig, Weimar und anderwärts, so tritt auch hier ein Bevormundungssystem der Wähler durch Wahlmänner ein, sobald größere Wählerkreise vorhanden sind. Ein Wahlzensus besteht nicht. Die 22 Städte des Herzogthums bilden 9 Wahlkreise, von denen einer (Dessau) 3, ein anderer (Bernburg) 2 Abgeordnete wählt. Die Wahlen sind geheim, auf 150 - 200 Einwohner wird ein Wahlmann gewählt. Mecklenburg. Die beiden Mecklenburg (Schwerin und Strelitz) sind die einzigen deutschen Staaten, die noch im Zustande feudalherrlicher Unschuld sich befinden; sie besitzen noch kein Feigenblatt, genannt konstitutionelle Verfassung, das ihre Blöße deckt. Der mehrmals wiederholte Beschluß des deutschen Reichstags Anfangs der siebenziger Jahre, daß jeder deutsche Bundesstaat eine aus Wahlen der Bevölkerung hervorgegangene Landesvertretung besitzen muß, fand beim Bundesrath keine Gegenliebe und wanderte in den Papierkorb. Die Serenissimi in den beiden Mecklenburg und ihre Regierungen, die wußten, daß die Beschlüsse des Reichstags nur ihnen galten, blieben ungerührt und fuhren fort, zu regieren, als gingen sie diese Beschlüsse nichts an. Die mittelalterliche landständische Verfassung, nach der die Korps der Ritter- und der Landschaft nebst einigen ernannten Vertretern der Städte das Heft in der Hand haben, war zwar ebenfalls in den Bewegungs- jahren vorübergehend in Gefahr, sogar auch kurze Zeit außer Kraft gesetzt und durch  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-10-30T15:09:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/45>, abgerufen am 28.11.2024.