Erste Abtheilung. Staats-Erwerbswirthschaftslehre.
§. 473. a.
Die Staats-Erwerbswirthschaftslehre oder Finanz- wissenschaft im engeren Sinne (auch Finanzwirthschaftsl.) lehrt blos die theoretischen Grundsätze des Staatserwerbes an sich, ohne Rücksicht auf den Zweck der Verwendung der Staatseinkünfte, auf die Aufstellung eines Systems der Finanzverwaltung oder auf den Zusammenhang der einzelnen Zweige derselben.
Erstes Buch. Allgemeine Grundsätze.
§. 474. 1) Leitende Finanzmaximen.
Man hat es vielfach versucht, der Finanzwirthschaft unum- gängliche Gesetze zu Grunde zu legen und nahm sie von verschie- denen Seiten her, von wo sie dictatorisch verlangt werden, aber deßhalb mit dem Finanzprinzipe im geradesten Widerspruche stehen. So hat man vereinzelt bei verschiedenen Schriftstellern folgende Grundsätze aufgestellt gefunden: 1) Den Grundsatz der unbeding- ten Gerechtigkeit, kraft dessen jede Finanzmaaßregel absolut verwerflich erscheint, welche nur im Geringsten den Einzelnen in seinem Rechtsgebiete stört1). Allein eine solche Forderung, so nothwendig sie auch scheint, ist unmöglich zu erfüllen; denn Un- gleichheiten und Unregelmäßigkeiten in der Vertheilung der Staats- lasten und Erhebung des Staatseinkommens sind unvermeidlich, bei zu kleinlicher Berücksichtigung jedes Einzelnen ist keine Sicher- heit vorhanden, daß der Staatszweck der Gesammtheit nicht leide, und die Finanzwirthschaft bringt die letzten zur Staatsexistenz unerläßlichen Mittel herbei, weßhalb leicht und oft der Fall ein- treten muß, daß der Einzelne seine Rechtsansprüche dem Allgemei- nen aufopfern muß2). 2) Den Grundsatz der Volkswirth- schaft, d. h. Schonung der Quellen des Wachsthums des Natio- nalvermögens, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit in den Finanz- anlagen3). Allein das Finanzprinzip, nämlich dem Volkseinkom- men Theile für öffentliche Zwecke zu entnehmen, steht in directem Widerspruche mit dem Grundsatze der Nationalöconomie. Dieser würde, in seiner vollen Ausdehnung angewendet, überhaupt for-
Die Staats-Erwerbswirthſchaftslehre oder Finanz- wiſſenſchaft im engeren Sinne (auch Finanzwirthſchaftsl.) lehrt blos die theoretiſchen Grundſätze des Staatserwerbes an ſich, ohne Rückſicht auf den Zweck der Verwendung der Staatseinkünfte, auf die Aufſtellung eines Syſtems der Finanzverwaltung oder auf den Zuſammenhang der einzelnen Zweige derſelben.
Erſtes Buch. Allgemeine Grundſätze.
§. 474. 1) Leitende Finanzmaximen.
Man hat es vielfach verſucht, der Finanzwirthſchaft unum- gängliche Geſetze zu Grunde zu legen und nahm ſie von verſchie- denen Seiten her, von wo ſie dictatoriſch verlangt werden, aber deßhalb mit dem Finanzprinzipe im geradeſten Widerſpruche ſtehen. So hat man vereinzelt bei verſchiedenen Schriftſtellern folgende Grundſätze aufgeſtellt gefunden: 1) Den Grundſatz der unbeding- ten Gerechtigkeit, kraft deſſen jede Finanzmaaßregel abſolut verwerflich erſcheint, welche nur im Geringſten den Einzelnen in ſeinem Rechtsgebiete ſtört1). Allein eine ſolche Forderung, ſo nothwendig ſie auch ſcheint, iſt unmöglich zu erfüllen; denn Un- gleichheiten und Unregelmäßigkeiten in der Vertheilung der Staats- laſten und Erhebung des Staatseinkommens ſind unvermeidlich, bei zu kleinlicher Berückſichtigung jedes Einzelnen iſt keine Sicher- heit vorhanden, daß der Staatszweck der Geſammtheit nicht leide, und die Finanzwirthſchaft bringt die letzten zur Staatsexiſtenz unerläßlichen Mittel herbei, weßhalb leicht und oft der Fall ein- treten muß, daß der Einzelne ſeine Rechtsanſprüche dem Allgemei- nen aufopfern muß2). 2) Den Grundſatz der Volkswirth- ſchaft, d. h. Schonung der Quellen des Wachsthums des Natio- nalvermögens, Zweckmäßigkeit und Sparſamkeit in den Finanz- anlagen3). Allein das Finanzprinzip, nämlich dem Volkseinkom- men Theile für öffentliche Zwecke zu entnehmen, ſteht in directem Widerſpruche mit dem Grundſatze der Nationalöconomie. Dieſer würde, in ſeiner vollen Ausdehnung angewendet, überhaupt for-
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Erſte Abtheilung.
Staats-Erwerbswirthſchaftslehre.
§. 473. a.
Die Staats-Erwerbswirthſchaftslehre oder Finanz-
wiſſenſchaft im engeren Sinne (auch Finanzwirthſchaftsl.) lehrt blos
die theoretiſchen Grundſätze des Staatserwerbes an ſich, ohne
Rückſicht auf den Zweck der Verwendung der Staatseinkünfte, auf
die Aufſtellung eines Syſtems der Finanzverwaltung oder auf den
Zuſammenhang der einzelnen Zweige derſelben.
Erſtes Buch.
Allgemeine Grundſätze.
§. 474.
1) Leitende Finanzmaximen.
Man hat es vielfach verſucht, der Finanzwirthſchaft unum-
gängliche Geſetze zu Grunde zu legen und nahm ſie von verſchie-
denen Seiten her, von wo ſie dictatoriſch verlangt werden, aber
deßhalb mit dem Finanzprinzipe im geradeſten Widerſpruche ſtehen.
So hat man vereinzelt bei verſchiedenen Schriftſtellern folgende
Grundſätze aufgeſtellt gefunden: 1) Den Grundſatz der unbeding-
ten Gerechtigkeit, kraft deſſen jede Finanzmaaßregel abſolut
verwerflich erſcheint, welche nur im Geringſten den Einzelnen in
ſeinem Rechtsgebiete ſtört1). Allein eine ſolche Forderung, ſo
nothwendig ſie auch ſcheint, iſt unmöglich zu erfüllen; denn Un-
gleichheiten und Unregelmäßigkeiten in der Vertheilung der Staats-
laſten und Erhebung des Staatseinkommens ſind unvermeidlich,
bei zu kleinlicher Berückſichtigung jedes Einzelnen iſt keine Sicher-
heit vorhanden, daß der Staatszweck der Geſammtheit nicht leide,
und die Finanzwirthſchaft bringt die letzten zur Staatsexiſtenz
unerläßlichen Mittel herbei, weßhalb leicht und oft der Fall ein-
treten muß, daß der Einzelne ſeine Rechtsanſprüche dem Allgemei-
nen aufopfern muß2). 2) Den Grundſatz der Volkswirth-
ſchaft, d. h. Schonung der Quellen des Wachsthums des Natio-
nalvermögens, Zweckmäßigkeit und Sparſamkeit in den Finanz-
anlagen3). Allein das Finanzprinzip, nämlich dem Volkseinkom-
men Theile für öffentliche Zwecke zu entnehmen, ſteht in directem
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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/715>, abgerufen am 24.11.2024.
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