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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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dem Kern der Sache hergeleitete, unentbehrliche Vorschrift für ihre richtige pba_668.002
Komposition, einer der wesentlichsten Bestandteile ihrer Definition. Beiläufig pba_668.003
bemerkt mag die Endung des Kompositums amoirou den flüchtigen pba_668.004
Abschreiber verleitet haben, durch Assimilation auch den beiden pba_668.005
andern Attributen dieselbe Endung zu geben statt der richtigen, weiblichen: pba_668.006
geloiou und teleiou statt geloias und teleias zu schreiben. pba_668.007
Diese beiden letzteren Bestimmungen bedürfen keiner Rechtfertigung; daß pba_668.008
die Handlung "vollständig" sei, ist Grunderfordernis, daß sie "lachenerregend" pba_668.009
sei, bezeichnet ebenso ihren stofflichen Grundcharakter, das pba_668.010
Feld ihrer Wirksamkeit, wie für die Tragödie die Bestimmung, daß ihre pba_668.011
Handlung dem "Ernste" der Schicksalsempfindungen Raum gebe, daß pba_668.012
sie eine "ernsthaft-würdige" -- spoudaia -- sei.

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Daß in dem Folgenden die Worte edusmeno logo nur durch pba_668.014
ein Versehen ausgefallen sind, bezeugt der Zusatz, von welchem dieselben pba_668.015
in der Poetik begleitet sind und der sich hier wiederfindet. Wenn dieser pba_668.016
Zusatz aber auf den ersten Blick abermals eine Verdrehung des Wortlautes pba_668.017
aufzuweisen scheint, nämlich khoris ekastou ton morion en pba_668.018
tois eidesi, während in der Poetik steht khoris ekastou ton eidon pba_668.019
en tois moriois, so erweist die nähere Untersuchung, daß dieser wegen pba_668.020
seiner Kürze schwer verständliche Satz, der auch in der Poetik fehlerhaft pba_668.021
überliefert ist,
durch die Variante des Excerptors vielmehr pba_668.022
eine wesentliche Berichtigung erfährt. Der Sinn des Satzes ist pba_668.023
im Texte der Poetik erklärt: die Tragödie soll, und dasselbe wird hier pba_668.024
von der Komödie gelehrt, in "verschönertem" d. i. "kunstmäßig erhöhtem" pba_668.025
Ausdruck vorgetragen werden; die Arten desselben seien "rhythmische pba_668.026
Gliederung
" (Ruthmos), "musikalische Begleitung" (armonia) pba_668.027
und "Gesang" (melos); die gesonderte Anwendung dieser Arten (das pba_668.028
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hervorgebracht werde (perainesthai) allein durch das rhythmische pba_668.030
Wort
(dia metron monon), in andern wieder durch den Gesang pba_668.031
(kai palin etera dia melous)".

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Der Sinn jenes Satzes ist also klar, obwohl die Übersetzer und pba_668.033
Kommentatoren die aristotelische Unterscheidung von Harmonia, welches pba_668.034
Wort den musikalischen Klang bedeutet, wie aus einer großen Zahl pba_668.035
von Beispielen des aristotelischen Sprachgebrauchs zu erweisen ist, und pba_668.036
von Melos, welches den Gesang mit und ohne Wort bezeichnet, nicht pba_668.037
erkannt und durch allerlei Änderungen des Textes verwischt haben. Nicht pba_668.038
so klar ist es aber, wie in den durch den Text der Poetik überlieferten pba_668.039
Worten dieser Sinn in präcisem Ausdruck gefunden werden soll. Man pba_668.040
hat zunächst allgemein die Änderung von ekastou in ekasto an-

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dem Kern der Sache hergeleitete, unentbehrliche Vorschrift für ihre richtige pba_668.002
Komposition, einer der wesentlichsten Bestandteile ihrer Definition. Beiläufig pba_668.003
bemerkt mag die Endung des Kompositums ἀμοίρου den flüchtigen pba_668.004
Abschreiber verleitet haben, durch Assimilation auch den beiden pba_668.005
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γελοίου und τελείου statt γελοίας und τελείας zu schreiben. pba_668.007
Diese beiden letzteren Bestimmungen bedürfen keiner Rechtfertigung; daß pba_668.008
die Handlung „vollständig“ sei, ist Grunderfordernis, daß sie „lachenerregendpba_668.009
sei, bezeichnet ebenso ihren stofflichen Grundcharakter, das pba_668.010
Feld ihrer Wirksamkeit, wie für die Tragödie die Bestimmung, daß ihre pba_668.011
Handlung dem „Ernste“ der Schicksalsempfindungen Raum gebe, daß pba_668.012
sie eine „ernsthaft-würdige“ — σπουδαία — sei.

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Daß in dem Folgenden die Worte ἡδυσμένῳ λόγῳ nur durch pba_668.014
ein Versehen ausgefallen sind, bezeugt der Zusatz, von welchem dieselben pba_668.015
in der Poetik begleitet sind und der sich hier wiederfindet. Wenn dieser pba_668.016
Zusatz aber auf den ersten Blick abermals eine Verdrehung des Wortlautes pba_668.017
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seiner Kürze schwer verständliche Satz, der auch in der Poetik fehlerhaft pba_668.021
überliefert ist,
durch die Variante des Excerptors vielmehr pba_668.022
eine wesentliche Berichtigung erfährt. Der Sinn des Satzes ist pba_668.023
im Texte der Poetik erklärt: die Tragödie soll, und dasselbe wird hier pba_668.024
von der Komödie gelehrt, in „verschönertem“ d. i. „kunstmäßig erhöhtem“ pba_668.025
Ausdruck vorgetragen werden; die Arten desselben seien „rhythmische pba_668.026
Gliederung
“ (ῥυθμός), „musikalische Begleitung“ (ἁρμονία) pba_668.027
und „Gesang“ (μέλος); die gesonderte Anwendung dieser Arten (das pba_668.028
χωρὶς für dieselben) bedeute, „daß in manchen Teilen die Wirkung pba_668.029
hervorgebracht werde (περαίνεσθαι) allein durch das rhythmische pba_668.030
Wort
(διὰ μέτρων μόνον), in andern wieder durch den Gesang pba_668.031
(καὶ πάλιν ἕτερα διὰ μέλους)“.

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Der Sinn jenes Satzes ist also klar, obwohl die Übersetzer und pba_668.033
Kommentatoren die aristotelische Unterscheidung von Harmonia, welches pba_668.034
Wort den musikalischen Klang bedeutet, wie aus einer großen Zahl pba_668.035
von Beispielen des aristotelischen Sprachgebrauchs zu erweisen ist, und pba_668.036
von Melos, welches den Gesang mit und ohne Wort bezeichnet, nicht pba_668.037
erkannt und durch allerlei Änderungen des Textes verwischt haben. Nicht pba_668.038
so klar ist es aber, wie in den durch den Text der Poetik überlieferten pba_668.039
Worten dieser Sinn in präcisem Ausdruck gefunden werden soll. Man pba_668.040
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[668/0686] pba_668.001 dem Kern der Sache hergeleitete, unentbehrliche Vorschrift für ihre richtige pba_668.002 Komposition, einer der wesentlichsten Bestandteile ihrer Definition. Beiläufig pba_668.003 bemerkt mag die Endung des Kompositums ἀμοίρου den flüchtigen pba_668.004 Abschreiber verleitet haben, durch Assimilation auch den beiden pba_668.005 andern Attributen dieselbe Endung zu geben statt der richtigen, weiblichen: pba_668.006 γελοίου und τελείου statt γελοίας und τελείας zu schreiben. pba_668.007 Diese beiden letzteren Bestimmungen bedürfen keiner Rechtfertigung; daß pba_668.008 die Handlung „vollständig“ sei, ist Grunderfordernis, daß sie „lachenerregend“ pba_668.009 sei, bezeichnet ebenso ihren stofflichen Grundcharakter, das pba_668.010 Feld ihrer Wirksamkeit, wie für die Tragödie die Bestimmung, daß ihre pba_668.011 Handlung dem „Ernste“ der Schicksalsempfindungen Raum gebe, daß pba_668.012 sie eine „ernsthaft-würdige“ — σπουδαία — sei. pba_668.013 Daß in dem Folgenden die Worte ἡδυσμένῳ λόγῳ nur durch pba_668.014 ein Versehen ausgefallen sind, bezeugt der Zusatz, von welchem dieselben pba_668.015 in der Poetik begleitet sind und der sich hier wiederfindet. Wenn dieser pba_668.016 Zusatz aber auf den ersten Blick abermals eine Verdrehung des Wortlautes pba_668.017 aufzuweisen scheint, nämlich χωρὶς ἐκάστου τῶν μορίων ἐν pba_668.018 τοῖς εἴδεσι, während in der Poetik steht χωρὶς ἑκάστου τῶν εἰδῶν pba_668.019 ἐν τοῖς μορίοις, so erweist die nähere Untersuchung, daß dieser wegen pba_668.020 seiner Kürze schwer verständliche Satz, der auch in der Poetik fehlerhaft pba_668.021 überliefert ist, durch die Variante des Excerptors vielmehr pba_668.022 eine wesentliche Berichtigung erfährt. Der Sinn des Satzes ist pba_668.023 im Texte der Poetik erklärt: die Tragödie soll, und dasselbe wird hier pba_668.024 von der Komödie gelehrt, in „verschönertem“ d. i. „kunstmäßig erhöhtem“ pba_668.025 Ausdruck vorgetragen werden; die Arten desselben seien „rhythmische pba_668.026 Gliederung“ (ῥυθμός), „musikalische Begleitung“ (ἁρμονία) pba_668.027 und „Gesang“ (μέλος); die gesonderte Anwendung dieser Arten (das pba_668.028 χωρὶς für dieselben) bedeute, „daß in manchen Teilen die Wirkung pba_668.029 hervorgebracht werde (περαίνεσθαι) allein durch das rhythmische pba_668.030 Wort (διὰ μέτρων μόνον), in andern wieder durch den Gesang pba_668.031 (καὶ πάλιν ἕτερα διὰ μέλους)“. pba_668.032 Der Sinn jenes Satzes ist also klar, obwohl die Übersetzer und pba_668.033 Kommentatoren die aristotelische Unterscheidung von Harmonia, welches pba_668.034 Wort den musikalischen Klang bedeutet, wie aus einer großen Zahl pba_668.035 von Beispielen des aristotelischen Sprachgebrauchs zu erweisen ist, und pba_668.036 von Melos, welches den Gesang mit und ohne Wort bezeichnet, nicht pba_668.037 erkannt und durch allerlei Änderungen des Textes verwischt haben. Nicht pba_668.038 so klar ist es aber, wie in den durch den Text der Poetik überlieferten pba_668.039 Worten dieser Sinn in präcisem Ausdruck gefunden werden soll. Man pba_668.040 hat zunächst allgemein die Änderung von ἑκάστου in ἑκάστῳ an-

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/686>, abgerufen am 22.11.2024.