pba_548.001 habener Gegenstand ist eben dadurch, daß er der Sinnlichkeit widerstreitet, pba_548.002 zweckmäßig für die Vernunft und ergötzt durch das höhere Vermögen, pba_548.003 indem er durch das niedrige schmerzt;" die Rührung durch pba_548.004 den Schmerz über ein Leiden, das als solches doch "eine Zweckwidrigkeit pba_548.005 in der sinnlichen Natur ist," das aber "für unsere vernünftige pba_548.006 Natur dadurch zweckmäßig, also Lust hervorbringend wird, weil es pba_548.007 zweckmäßig für die menschliche Gesellschaft ist". "Jene Unlust selbst pba_548.008 wird dadurch also zweckmäßig," d. h. sie wird in Lust verwandelt.
pba_548.009 Darnach sind also diese beiden Empfindungen keineswegs rein pba_548.010 ästhetisch, d. h. unmittelbar zu ihrer Thätigkeit durch die bloße Anschauung, pba_548.011 wie die Kunst sie zu geben vermag, angeregt, sondern es pba_548.012 sind moralische Gefühle, d. h. Gefühle, die durch eine selbständige pba_548.013 Handlung der Vernunft hervorgerufen sind. Die Vernunft pba_548.014 spricht gegenüber den unmittelbaren, d. i. rein ästhetischen pba_548.015 Empfindungen, welche das Leiden hervorruft, und die nach pba_548.016 dem Schillerschen Gedankengange im Falle des Rührenden Regungen pba_548.017 des schmerzlichen Mitleids, im Falle des Erhabenen der schmerzlichen pba_548.018 Furcht sein müssen, ein autonomes, ihren eigenen unabänderlichen pba_548.019 Gesetzen entstammendes, Urteil: die darauf folgende hohe pba_548.020 Befriedigung des Gefühls, die Freude an diesem freien Akt der sittlichen pba_548.021 Urteilskraft ist das moralische Gefühl des Rührenden und des pba_548.022 Erhabenen nach der Kant-Schillerschen Definition. Hier sehen wir also pba_548.023 allerdings eine Klärung, Reinigung der schmerzlichen Affekte, der tragischen pba_548.024 Pathemata, aber wir sehen sie bewerkstelligt durch eine von pba_548.025 außen her erfolgende selbständige Handlung des Vernunftvermögens:pba_548.026 dagegen ist die ästhetische Katharsis des Aristoteles pba_548.027 eine Veredelung der tragischen Affekte an ihrer Quelle in pba_548.028 dem eigenen Gebiet der bloßen Empfindungsenergie und pba_548.029 nach ihren eigenen Gesetzen, daher durch keine andere Mittel bewirkt pba_548.030 als die an die Sinneswahrnehmung sich wendende Nachahmung,pba_548.031 d. i. durch die Kunst.
pba_548.032 Es kann nicht anders sein, als daß dieses falsche Princip nun pba_548.033 auch im einzelnen zu lauter unrichtigen Aufstellungen führt, sowohl pba_548.034 in den allgemeinen Sätzen als in den Beispielen.
pba_548.035 Wohlverstanden allerdings: diese Sätze als moralische Thesenpba_548.036 sind unanfechtbar, auf Wesen und Ziele des tragischen Kunstwerks angewandt, pba_548.037 sind sie am falschen Platz, für den Gebrauch also, den Schiller pba_548.038 von ihnen macht, sind sie unrichtig. "Das Leiden des Tugendhaften pba_548.039 rührt uns schmerzlicher, weil dem besondern Zweck, daß die Tugend pba_548.040 glücklich mache, widersprochen wird; demnach, weil die Naturzweckmäßig-
pba_548.001 habener Gegenstand ist eben dadurch, daß er der Sinnlichkeit widerstreitet, pba_548.002 zweckmäßig für die Vernunft und ergötzt durch das höhere Vermögen, pba_548.003 indem er durch das niedrige schmerzt;“ die Rührung durch pba_548.004 den Schmerz über ein Leiden, das als solches doch „eine Zweckwidrigkeit pba_548.005 in der sinnlichen Natur ist,“ das aber „für unsere vernünftige pba_548.006 Natur dadurch zweckmäßig, also Lust hervorbringend wird, weil es pba_548.007 zweckmäßig für die menschliche Gesellschaft ist“. „Jene Unlust selbst pba_548.008 wird dadurch also zweckmäßig,“ d. h. sie wird in Lust verwandelt.
pba_548.009 Darnach sind also diese beiden Empfindungen keineswegs rein pba_548.010 ästhetisch, d. h. unmittelbar zu ihrer Thätigkeit durch die bloße Anschauung, pba_548.011 wie die Kunst sie zu geben vermag, angeregt, sondern es pba_548.012 sind moralische Gefühle, d. h. Gefühle, die durch eine selbständige pba_548.013 Handlung der Vernunft hervorgerufen sind. Die Vernunft pba_548.014 spricht gegenüber den unmittelbaren, d. i. rein ästhetischen pba_548.015 Empfindungen, welche das Leiden hervorruft, und die nach pba_548.016 dem Schillerschen Gedankengange im Falle des Rührenden Regungen pba_548.017 des schmerzlichen Mitleids, im Falle des Erhabenen der schmerzlichen pba_548.018 Furcht sein müssen, ein autonomes, ihren eigenen unabänderlichen pba_548.019 Gesetzen entstammendes, Urteil: die darauf folgende hohe pba_548.020 Befriedigung des Gefühls, die Freude an diesem freien Akt der sittlichen pba_548.021 Urteilskraft ist das moralische Gefühl des Rührenden und des pba_548.022 Erhabenen nach der Kant-Schillerschen Definition. Hier sehen wir also pba_548.023 allerdings eine Klärung, Reinigung der schmerzlichen Affekte, der tragischen pba_548.024 Pathemata, aber wir sehen sie bewerkstelligt durch eine von pba_548.025 außen her erfolgende selbständige Handlung des Vernunftvermögens:pba_548.026 dagegen ist die ästhetische Katharsis des Aristoteles pba_548.027 eine Veredelung der tragischen Affekte an ihrer Quelle in pba_548.028 dem eigenen Gebiet der bloßen Empfindungsenergie und pba_548.029 nach ihren eigenen Gesetzen, daher durch keine andere Mittel bewirkt pba_548.030 als die an die Sinneswahrnehmung sich wendende Nachahmung,pba_548.031 d. i. durch die Kunst.
pba_548.032 Es kann nicht anders sein, als daß dieses falsche Princip nun pba_548.033 auch im einzelnen zu lauter unrichtigen Aufstellungen führt, sowohl pba_548.034 in den allgemeinen Sätzen als in den Beispielen.
pba_548.035 Wohlverstanden allerdings: diese Sätze als moralische Thesenpba_548.036 sind unanfechtbar, auf Wesen und Ziele des tragischen Kunstwerks angewandt, pba_548.037 sind sie am falschen Platz, für den Gebrauch also, den Schiller pba_548.038 von ihnen macht, sind sie unrichtig. „Das Leiden des Tugendhaften pba_548.039 rührt uns schmerzlicher, weil dem besondern Zweck, daß die Tugend pba_548.040 glücklich mache, widersprochen wird; demnach, weil die Naturzweckmäßig-
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habener Gegenstand ist eben dadurch, daß er der Sinnlichkeit widerstreitet, pba_548.002
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pba_548.009
Darnach sind also diese beiden Empfindungen keineswegs rein pba_548.010
ästhetisch, d. h. unmittelbar zu ihrer Thätigkeit durch die bloße Anschauung, pba_548.011
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/566>, abgerufen am 22.11.2024.
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