pba_547.001 ahmung für solche einzelne "Züge" eine Stelle, die eben darum jedoch pba_547.002 nicht Nachahmungszweck derselben sein können, sondern wie alle anderen pba_547.003 an ihrer Stelle dazu mitzuwirken haben, die Gesamtwirkung zu pba_547.004 erreichen. Nur in einem Falle können sie mit dem Gesamtzweck des pba_547.005 Ganzen parallel gehen: das geschieht, wie oben schon ausgeführt wurde,1pba_547.006 im Jdyll, welches auf möglichst reine, unmittelbar hedonischepba_547.007 Wirkung ausgeht und im Schauspiel, das dieselbe durch kathartische pba_547.008 Ausgleichung mit den Nemesisempfindungen zu erreichen sucht. Jn pba_547.009 beiden Dichtungsgattungen aber ist das Gegenspiel der Darstellung unvollkommener,pba_547.010 also im Sinne jener Theorie "unschöner" Handlungen pba_547.011 unentbehrlich; dasselbe ist in noch viel höherem Maße bei den pba_547.012 übrigen größeren Dichtungsgattungen der Fall, am meisten bei den pba_547.013 tragischen: hier also mußte jener formale Schönheitsbegriff pba_547.014 ganz versagen, und es wurde erforderlich nach einem andersgearteten pba_547.015 Princip sich umzusehen. Wie aber dieses fremde Princip nun mit pba_547.016 dem allgemeinen Gesetz, daß die Kunst schön sein solle, versöhnen? oder, pba_547.017 wenn das nicht anging, doch wenigstens mit der Forderung, daß es, pba_547.018 ebenso wie das Schöne, Vergnügen zu schaffen geeignet sei?
pba_547.019 Die bloße Emotionstheorie konnte Schiller nicht genügen, ebensopba_547.020 wie er die Sollicitations- und Entladungshypothese weit abgewiesen pba_547.021 haben würde. Seine Einteilung des freien Vergnügens nach dem pba_547.022 Zweckmäßigkeitsbegriff führt ihn dazu, das gesuchte Princip für die pba_547.023 tragische Dichtung in den Begriffen des Rührenden und Erhabenenpba_547.024 zu finden. Dies scheint ein glücklicher Griff, da der eine ebensoleicht pba_547.025 auf den Begriff des Mitleids wie der andere auf den der Furcht pba_547.026 hinüberleiten könnte. Beides hätte sofort eintreten müssen, wenn Schiller pba_547.027 wenigstens hier nun die Frage gestellt hätte: auf welche Weise wird pba_547.028 denn das Rührende und das Erhabene Gegenstand rein ästhetischer pba_547.029 Wirkung, d. i. unmittelbar durch die Sinneswahrnehmung erregter pba_547.030 Empfindung? Da er auch an dieser entscheidenden Stelle die Frage pba_547.031 unterläßt, so ist der weitere Gang der Abhandlung rettungslos der pba_547.032 Verirrung in das moralische Gebiet verfallen.
pba_547.033 Er bleibt bei dem Zweckmäßigkeitsschema. Das Rührende und Erhabene pba_547.034 "bringen Lust und Unlust hervor," nämlich Lust über eine Zweckmäßigkeit, pba_547.035 welche über eine Zweckwidrigkeit, die unsern Schmerz hervorruft, pba_547.036 den Sieg davon trägt. Beides definiert Schiller in ziemlich engem pba_547.037 Anschluß an Kant; das Erhabene aus dem Gefühl unserer geistigen pba_547.038 und vernünftigen Übermacht über unsere sinnliche Ohnmacht: "ein er-
1pba_547.039 S. S. 268 ff. und 338 ff.
pba_547.001 ahmung für solche einzelne „Züge“ eine Stelle, die eben darum jedoch pba_547.002 nicht Nachahmungszweck derselben sein können, sondern wie alle anderen pba_547.003 an ihrer Stelle dazu mitzuwirken haben, die Gesamtwirkung zu pba_547.004 erreichen. Nur in einem Falle können sie mit dem Gesamtzweck des pba_547.005 Ganzen parallel gehen: das geschieht, wie oben schon ausgeführt wurde,1pba_547.006 im Jdyll, welches auf möglichst reine, unmittelbar hedonischepba_547.007 Wirkung ausgeht und im Schauspiel, das dieselbe durch kathartische pba_547.008 Ausgleichung mit den Nemesisempfindungen zu erreichen sucht. Jn pba_547.009 beiden Dichtungsgattungen aber ist das Gegenspiel der Darstellung unvollkommener,pba_547.010 also im Sinne jener Theorie „unschöner“ Handlungen pba_547.011 unentbehrlich; dasselbe ist in noch viel höherem Maße bei den pba_547.012 übrigen größeren Dichtungsgattungen der Fall, am meisten bei den pba_547.013 tragischen: hier also mußte jener formale Schönheitsbegriff pba_547.014 ganz versagen, und es wurde erforderlich nach einem andersgearteten pba_547.015 Princip sich umzusehen. Wie aber dieses fremde Princip nun mit pba_547.016 dem allgemeinen Gesetz, daß die Kunst schön sein solle, versöhnen? oder, pba_547.017 wenn das nicht anging, doch wenigstens mit der Forderung, daß es, pba_547.018 ebenso wie das Schöne, Vergnügen zu schaffen geeignet sei?
pba_547.019 Die bloße Emotionstheorie konnte Schiller nicht genügen, ebensopba_547.020 wie er die Sollicitations- und Entladungshypothese weit abgewiesen pba_547.021 haben würde. Seine Einteilung des freien Vergnügens nach dem pba_547.022 Zweckmäßigkeitsbegriff führt ihn dazu, das gesuchte Princip für die pba_547.023 tragische Dichtung in den Begriffen des Rührenden und Erhabenenpba_547.024 zu finden. Dies scheint ein glücklicher Griff, da der eine ebensoleicht pba_547.025 auf den Begriff des Mitleids wie der andere auf den der Furcht pba_547.026 hinüberleiten könnte. Beides hätte sofort eintreten müssen, wenn Schiller pba_547.027 wenigstens hier nun die Frage gestellt hätte: auf welche Weise wird pba_547.028 denn das Rührende und das Erhabene Gegenstand rein ästhetischer pba_547.029 Wirkung, d. i. unmittelbar durch die Sinneswahrnehmung erregter pba_547.030 Empfindung? Da er auch an dieser entscheidenden Stelle die Frage pba_547.031 unterläßt, so ist der weitere Gang der Abhandlung rettungslos der pba_547.032 Verirrung in das moralische Gebiet verfallen.
pba_547.033 Er bleibt bei dem Zweckmäßigkeitsschema. Das Rührende und Erhabene pba_547.034 „bringen Lust und Unlust hervor,“ nämlich Lust über eine Zweckmäßigkeit, pba_547.035 welche über eine Zweckwidrigkeit, die unsern Schmerz hervorruft, pba_547.036 den Sieg davon trägt. Beides definiert Schiller in ziemlich engem pba_547.037 Anschluß an Kant; das Erhabene aus dem Gefühl unserer geistigen pba_547.038 und vernünftigen Übermacht über unsere sinnliche Ohnmacht: „ein er-
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/565>, abgerufen am 23.11.2024.
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