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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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angehörigen und unter so vielen verschiedenartigen Namen auftretenden pba_422.002
Gattungen der dramatischen Dichtung entweder von der Tragödie oder pba_422.003
von der Komödie her, und zwar zumeist aus Entartungen der einen pba_422.004
und der anderen, ihren Ursprung haben, so daß der Begriff einer eigenen, pba_422.005
fest in sich zusammengeschlossenen Gattung sich dabei nicht zu entwickeln pba_422.006
vermochte. Man blieb, um die Zugehörigkeit der einzelnen Produktionen pba_422.007
zu bestimmen, bei Äußerlichkeiten stehen, wie bei dem, für das Wesen pba_422.008
des Dramas so ganz und gar nicht entscheidenden Umstand, daß es seinen pba_422.009
Jnhalt der Geschichte entlehnte, und konstruierte demgemäß eine besondere pba_422.010
dramatische Gattung der "Historie"; oder auch man klassifizierte pba_422.011
nach den eingeführten Ständen, Lebenskreisen und Jnteressen, nach pba_422.012
vorwaltenden politischen, religiösen oder sozialen Tendenzen und Jdeen, pba_422.013
oder endlich, noch vager, nach dem Vorwalten des "Charakter"- und pba_422.014
"Sittengemäldes" oder der "Rührungen" und "Sensationen".

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Jm Gegensatz dazu hat auf dem Gebiete der Tragödie und pba_422.016
Komödie von jeher und immerfort erneut das Bestreben vorgewaltet, pba_422.017
zu festen Wesensbegrenzungen zu gelangen, freilich mit weit geringerem pba_422.018
Erfolge auf diesem letzteren, welches vielleicht an sich als weniger bestritten pba_422.019
erschien, als in jenem, auf dem naturgemäß die Verschiedenheiten pba_422.020
in den Gesamtanschauungen der Zeiten und Nationen sehr scharf pba_422.021
hervortreten. Offenbar meinte man -- wenn auch sehr mit Unrecht -- pba_422.022
für die kritische Beurteilung des Komischen einen hinreichenden Maßstab pba_422.023
in den Entscheidungen des Verstandes zu besitzen, unter denen die Möglichkeit pba_422.024
der Abweichung je nach Zeit und Volksart eine so große nicht pba_422.025
ist; dagegen macht sich in der Empfindung und noch mehr in der theoretischen pba_422.026
Beurteilung des Tragischen die ganze ungeheure Verschiedenheit pba_422.027
geltend, welche die Epochen und die Nationen je nach Empfindungsanlage pba_422.028
und nach dem jeweilig erreichten Grade der ethischen Entwickelung pba_422.029
und der gesellschaftlichen, politischen und religiösen Kultur voneinander pba_422.030
trennt. Es versteht sich von selbst, daß nach diesen Verschiedenheiten pba_422.031
auch das Lächerliche seiner Erscheinung noch in der mannigfaltigsten pba_422.032
Weise variieren wird: aber es bleibt nicht allein der Maßstab seiner pba_422.033
Beurteilung derselbe, sondern, weil der bei weitem größte Teil der pba_422.034
komischen Kunst sich innerhalb der engeren Kreise des Lebens seine pba_422.035
Stoffe sucht, ist die Anwendung desselben eine sehr viel leichtere und pba_422.036
deshalb eine im großen und ganzen gleichmäßigere. Gerade über diese pba_422.037
gewohnten, engeren Kreise den Menschen hinauszuführen, zu höheren pba_422.038
Anschauungen ihn zu erheben ist die Bestimmung des Tragischen: pba_422.039
die Auffassung desselben wird also sowohl durch die Gesamtheit der pba_422.040
religiösen, politischen und auch der litterarischen Traditionen als durch

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angehörigen und unter so vielen verschiedenartigen Namen auftretenden pba_422.002
Gattungen der dramatischen Dichtung entweder von der Tragödie oder pba_422.003
von der Komödie her, und zwar zumeist aus Entartungen der einen pba_422.004
und der anderen, ihren Ursprung haben, so daß der Begriff einer eigenen, pba_422.005
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Jnhalt der Geschichte entlehnte, und konstruierte demgemäß eine besondere pba_422.010
dramatische Gattung der „Historie“; oder auch man klassifizierte pba_422.011
nach den eingeführten Ständen, Lebenskreisen und Jnteressen, nach pba_422.012
vorwaltenden politischen, religiösen oder sozialen Tendenzen und Jdeen, pba_422.013
oder endlich, noch vager, nach dem Vorwalten des „Charakter“- und pba_422.014
„Sittengemäldes“ oder der „Rührungen“ und „Sensationen“.

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Jm Gegensatz dazu hat auf dem Gebiete der Tragödie und pba_422.016
Komödie von jeher und immerfort erneut das Bestreben vorgewaltet, pba_422.017
zu festen Wesensbegrenzungen zu gelangen, freilich mit weit geringerem pba_422.018
Erfolge auf diesem letzteren, welches vielleicht an sich als weniger bestritten pba_422.019
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Beurteilung des Tragischen die ganze ungeheure Verschiedenheit pba_422.027
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[422/0440] pba_422.001 angehörigen und unter so vielen verschiedenartigen Namen auftretenden pba_422.002 Gattungen der dramatischen Dichtung entweder von der Tragödie oder pba_422.003 von der Komödie her, und zwar zumeist aus Entartungen der einen pba_422.004 und der anderen, ihren Ursprung haben, so daß der Begriff einer eigenen, pba_422.005 fest in sich zusammengeschlossenen Gattung sich dabei nicht zu entwickeln pba_422.006 vermochte. Man blieb, um die Zugehörigkeit der einzelnen Produktionen pba_422.007 zu bestimmen, bei Äußerlichkeiten stehen, wie bei dem, für das Wesen pba_422.008 des Dramas so ganz und gar nicht entscheidenden Umstand, daß es seinen pba_422.009 Jnhalt der Geschichte entlehnte, und konstruierte demgemäß eine besondere pba_422.010 dramatische Gattung der „Historie“; oder auch man klassifizierte pba_422.011 nach den eingeführten Ständen, Lebenskreisen und Jnteressen, nach pba_422.012 vorwaltenden politischen, religiösen oder sozialen Tendenzen und Jdeen, pba_422.013 oder endlich, noch vager, nach dem Vorwalten des „Charakter“- und pba_422.014 „Sittengemäldes“ oder der „Rührungen“ und „Sensationen“. pba_422.015 Jm Gegensatz dazu hat auf dem Gebiete der Tragödie und pba_422.016 Komödie von jeher und immerfort erneut das Bestreben vorgewaltet, pba_422.017 zu festen Wesensbegrenzungen zu gelangen, freilich mit weit geringerem pba_422.018 Erfolge auf diesem letzteren, welches vielleicht an sich als weniger bestritten pba_422.019 erschien, als in jenem, auf dem naturgemäß die Verschiedenheiten pba_422.020 in den Gesamtanschauungen der Zeiten und Nationen sehr scharf pba_422.021 hervortreten. Offenbar meinte man — wenn auch sehr mit Unrecht — pba_422.022 für die kritische Beurteilung des Komischen einen hinreichenden Maßstab pba_422.023 in den Entscheidungen des Verstandes zu besitzen, unter denen die Möglichkeit pba_422.024 der Abweichung je nach Zeit und Volksart eine so große nicht pba_422.025 ist; dagegen macht sich in der Empfindung und noch mehr in der theoretischen pba_422.026 Beurteilung des Tragischen die ganze ungeheure Verschiedenheit pba_422.027 geltend, welche die Epochen und die Nationen je nach Empfindungsanlage pba_422.028 und nach dem jeweilig erreichten Grade der ethischen Entwickelung pba_422.029 und der gesellschaftlichen, politischen und religiösen Kultur voneinander pba_422.030 trennt. Es versteht sich von selbst, daß nach diesen Verschiedenheiten pba_422.031 auch das Lächerliche seiner Erscheinung noch in der mannigfaltigsten pba_422.032 Weise variieren wird: aber es bleibt nicht allein der Maßstab seiner pba_422.033 Beurteilung derselbe, sondern, weil der bei weitem größte Teil der pba_422.034 komischen Kunst sich innerhalb der engeren Kreise des Lebens seine pba_422.035 Stoffe sucht, ist die Anwendung desselben eine sehr viel leichtere und pba_422.036 deshalb eine im großen und ganzen gleichmäßigere. Gerade über diese pba_422.037 gewohnten, engeren Kreise den Menschen hinauszuführen, zu höheren pba_422.038 Anschauungen ihn zu erheben ist die Bestimmung des Tragischen: pba_422.039 die Auffassung desselben wird also sowohl durch die Gesamtheit der pba_422.040 religiösen, politischen und auch der litterarischen Traditionen als durch

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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/440>, abgerufen am 22.11.2024.