Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_270.001 pba_270.011 1 pba_270.013
So Jul. Cäsar Scaliger in seinen Poetices libri septem über das Epos pba_270.014 mit Beziehung auf Horaz I, 6, 1: Epicorum materia declaratur, dux, miles, classis, pba_270.015 equus, victoria (cf. lib. I, c. 41) und über das Drama (cf. I, c. 6): Tragoedia, pba_270.016 sicut et Comoedia in exemplis humanae vitae confirmata, tribus ab illa differt, pba_270.017 Personarum conditione, fortunarum negotiorumque qualitate, exitu. Quare stylo pba_270.018 quoque differat necesse est. In illa e pagis sumpti Chremetes, Davi, Thaides pba_270.019 loco humili: Initia turbatiuscula: fines laeti. Sermo de medio sumtus. In Tragoedia pba_270.020 Reges, Principes, ex urbibus, arcibus, castris. Principia sedatoria: exitus pba_270.021 horribiles. Oratio gravis, culta, a vulgi dictione aversa, tota facies anxia, pba_270.022 metus, minae, exilia, mortes. Es sind genau die Vorschriften, nach denen sich die pba_270.023 französische klassische Tragödie gebildet hat. Auch die Pastoralia poemata leitet Scaliger pba_270.024 aus dem ständischen Princip ab (cf. I, c. 4): Vetustissimum Poematis genus ex pba_270.025 antiquissimo vivendi more ductum esse par est. Tria vero saeculorum genera: pba_270.026 Pastoris, Venatoris, Aratoris. Ac venatores, quia sunt in motu, minus ad verba pba_270.027 propensi existunt. Quin neutiquam faustum putamus in venatu loqui: nedum pba_270.028 ut cantus aptus judicetur. Reliqua duo genera cantiones suas meditata sunt. pba_270.029 Jn derselben Weise definiert Opitz in dem "Buch von der teutschen Poeterey" pba_270.030 Kap. 5, daß "ein Heroisch getichte gemeiniglich weitleuffig sei und von hohem wesen pba_270.031 rede"; ... "die Tragedie ist an der majestät dem Heroischen getichte gemesse, ohne das pba_270.032 sie selten leidet, das man geringen standes personen und schlechte sachen einführe: weil pba_270.033 sie nur von Königlichem willen, Todschlägen, verzweiffelungen, Kinder- und Vätermörden, pba_270.034 brande, blutschanden, kriege und auffruhr, klagen, heulen, seuffzen und dergleichen pba_270.035 handelt"; ... "die Comedie bestehet in schlechtem wesen und personen: redet pba_270.036 von hochzeiten, gastgeboten, spielen, betrug und schalckheit der knechte, ruhmrätigen Landtsknechten, pba_270.037 buhlersachen, leichtfertigkeit der jugend, geitze des alters, kupplerey und solchen pba_270.038 sachen, die täglich unter gemeinen leuten vorlauffen. Haben derowegen die, welche heutiges pba_270.039 tages Comedien geschrieben, weit geirret, die Keyser und Potentaten eingeführet; pba_270.040 weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuwieder laufft"; ... "die Eclogen pba_270.041 oder hirtenlieder reden von schaffen, geißen, seewerk, erndten, erdgewächsen, fischereyen pba_270.042 und anderem feldwesen; und pflegen alles worvon sie reden, als von Liebe, heyrathen, pba_270.043 absterben, buhlschafften, festtagen und sonsten auf ihre bäwrische und einfältige art vor pba_270.044 zue bringen." pba_270.001 pba_270.011 1 pba_270.013
So Jul. Cäsar Scaliger in seinen Poetices libri septem über das Epos pba_270.014 mit Beziehung auf Horaz I, 6, 1: Epicorum materia declaratur, dux, miles, classis, pba_270.015 equus, victoria (cf. lib. I, c. 41) und über das Drama (cf. I, c. 6): Tragoedia, pba_270.016 sicut et Comoedia in exemplis humanae vitae confirmata, tribus ab illa differt, pba_270.017 Personarum conditione, fortunarum negotiorumque qualitate, exitu. Quare stylo pba_270.018 quoque differat necesse est. In illa e pagis sumpti Chremetes, Davi, Thaides pba_270.019 loco humili: Initia turbatiuscula: fines laeti. Sermo de medio sumtus. In Tragoedia pba_270.020 Reges, Principes, ex urbibus, arcibus, castris. Principia sedatoria: exitus pba_270.021 horribiles. Oratio gravis, culta, a vulgi dictione aversa, tota facies anxia, pba_270.022 metus, minae, exilia, mortes. Es sind genau die Vorschriften, nach denen sich die pba_270.023 französische klassische Tragödie gebildet hat. Auch die Pastoralia poemata leitet Scaliger pba_270.024 aus dem ständischen Princip ab (cf. I, c. 4): Vetustissimum Poematis genus ex pba_270.025 antiquissimo vivendi more ductum esse par est. Tria vero saeculorum genera: pba_270.026 Pastoris, Venatoris, Aratoris. Ac venatores, quia sunt in motu, minus ad verba pba_270.027 propensi existunt. Quin neutiquam faustum putamus in venatu loqui: nedum pba_270.028 ut cantus aptus judicetur. Reliqua duo genera cantiones suas meditata sunt. pba_270.029 Jn derselben Weise definiert Opitz in dem „Buch von der teutschen Poeterey“ pba_270.030 Kap. 5, daß „ein Heroisch getichte gemeiniglich weitleuffig sei und von hohem wesen pba_270.031 rede“; ... „die Tragedie ist an der majestät dem Heroischen getichte gemesse, ohne das pba_270.032 sie selten leidet, das man geringen standes personen und schlechte sachen einführe: weil pba_270.033 sie nur von Königlichem willen, Todschlägen, verzweiffelungen, Kinder- und Vätermörden, pba_270.034 brande, blutschanden, kriege und auffruhr, klagen, heulen, seuffzen und dergleichen pba_270.035 handelt“; ... „die Comedie bestehet in schlechtem wesen und personen: redet pba_270.036 von hochzeiten, gastgeboten, spielen, betrug und schalckheit der knechte, ruhmrätigen Landtsknechten, pba_270.037 buhlersachen, leichtfertigkeit der jugend, geitze des alters, kupplerey und solchen pba_270.038 sachen, die täglich unter gemeinen leuten vorlauffen. Haben derowegen die, welche heutiges pba_270.039 tages Comedien geschrieben, weit geirret, die Keyser und Potentaten eingeführet; pba_270.040 weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuwieder laufft“; ... „die Eclogen pba_270.041 oder hirtenlieder reden von schaffen, geißen, seewerk, erndten, erdgewächsen, fischereyen pba_270.042 und anderem feldwesen; und pflegen alles worvon sie reden, als von Liebe, heyrathen, pba_270.043 absterben, buhlschafften, festtagen und sonsten auf ihre bäwrische und einfältige art vor pba_270.044 zue bringen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0288" n="270"/><lb n="pba_270.001"/> Komposition der verschiedenen epischen und dramatischen Gattungen sehr <lb n="pba_270.002"/> wesentlich mitbestimmend, so sehr, daß es geschehen konnte, wie aus den <lb n="pba_270.003"/> grob äußerlichen Definitionen dieser Gattungen im sechszehnten, siebzehnten <lb n="pba_270.004"/> und noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts ersichtlich, <lb n="pba_270.005"/> daß man ihn allein als das hervorstechendste Merkmal der Unterscheidung <lb n="pba_270.006"/> im Auge behielt.<note xml:id="pba_270_1" place="foot" n="1"><lb n="pba_270.013"/> So <hi rendition="#g">Jul. 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Komposition der verschiedenen epischen und dramatischen Gattungen sehr pba_270.002
wesentlich mitbestimmend, so sehr, daß es geschehen konnte, wie aus den pba_270.003
grob äußerlichen Definitionen dieser Gattungen im sechszehnten, siebzehnten pba_270.004
und noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts ersichtlich, pba_270.005
daß man ihn allein als das hervorstechendste Merkmal der Unterscheidung pba_270.006
im Auge behielt. 1 Wenn man aber diesen groben Fehler im Verlauf pba_270.007
des achtzehnten Jahrhunderts dadurch zu korrigieren meinte, daß man pba_270.008
jenen Begriff als Gattungsmerkmal nun gänzlich auslöschen wollte, so pba_270.009
ging man mit der daraus entstehenden Vermischung der Gattungen pba_270.010
nicht minder in die Jrre.
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Für die zweite Hauptgattung kommt der Begriff der Größe pba_270.012
der Handlung, neben dem der Einheit und Vollständigkeit in
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mit Beziehung auf Horaz I, 6, 1: Epicorum materia declaratur, dux, miles, classis, pba_270.015
equus, victoria (cf. lib. I, c. 41) und über das Drama (cf. I, c. 6): Tragoedia, pba_270.016
sicut et Comoedia in exemplis humanae vitae confirmata, tribus ab illa differt, pba_270.017
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französische klassische Tragödie gebildet hat. Auch die Pastoralia poemata leitet Scaliger pba_270.024
aus dem ständischen Princip ab (cf. I, c. 4): Vetustissimum Poematis genus ex pba_270.025
antiquissimo vivendi more ductum esse par est. Tria vero saeculorum genera: pba_270.026
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ut cantus aptus judicetur. Reliqua duo genera cantiones suas meditata sunt. pba_270.029
Jn derselben Weise definiert Opitz in dem „Buch von der teutschen Poeterey“ pba_270.030
Kap. 5, daß „ein Heroisch getichte gemeiniglich weitleuffig sei und von hohem wesen pba_270.031
rede“; ... „die Tragedie ist an der majestät dem Heroischen getichte gemesse, ohne das pba_270.032
sie selten leidet, das man geringen standes personen und schlechte sachen einführe: weil pba_270.033
sie nur von Königlichem willen, Todschlägen, verzweiffelungen, Kinder- und Vätermörden, pba_270.034
brande, blutschanden, kriege und auffruhr, klagen, heulen, seuffzen und dergleichen pba_270.035
handelt“; ... „die Comedie bestehet in schlechtem wesen und personen: redet pba_270.036
von hochzeiten, gastgeboten, spielen, betrug und schalckheit der knechte, ruhmrätigen Landtsknechten, pba_270.037
buhlersachen, leichtfertigkeit der jugend, geitze des alters, kupplerey und solchen pba_270.038
sachen, die täglich unter gemeinen leuten vorlauffen. Haben derowegen die, welche heutiges pba_270.039
tages Comedien geschrieben, weit geirret, die Keyser und Potentaten eingeführet; pba_270.040
weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuwieder laufft“; ... „die Eclogen pba_270.041
oder hirtenlieder reden von schaffen, geißen, seewerk, erndten, erdgewächsen, fischereyen pba_270.042
und anderem feldwesen; und pflegen alles worvon sie reden, als von Liebe, heyrathen, pba_270.043
absterben, buhlschafften, festtagen und sonsten auf ihre bäwrische und einfältige art vor pba_270.044
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Zitationshilfe: | Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/288>, abgerufen am 16.02.2025. |