Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

pba_267.001
entspringend dargestellt, die zweite als aus fehlerhaftem Pathos pba_267.002
und Ethos
hervorgehend.

pba_267.003
Da aber die menschlichen Handlungen, im ganzen genommen, pba_267.004
weder unbedingt gut noch ungemischt fehlerhaft
sind, so werden pba_267.005
rein als solche nur einzelne Handlungen dargestellt werden können.

pba_267.006
Dagegegen wird bei der Darstellung einer Handlung, welche als pba_267.007
ein größeres Ganzes eine Vielheit einzelner Handlungen umfaßt, pba_267.008
weder ein gutes Ethos frei von jedem Zusatz eines pba_267.009
Fehlerhaften
sein dürfen, noch ein fehlerhaftes ungemischt pba_267.010
mit Bestandteilen des guten.

pba_267.011
Nun sind alle inneren Handlungen mit bestimmten Folgen verknüpft, pba_267.012
die sich in der äußeren Handlung darstellen; diese äußeren Folgen, pba_267.013
welche kurz als ihr Ausgang zu bezeichnen sind, hängen aber keineswegs pba_267.014
allein von ihrer Beschaffenheit ab, sondern zu einem pba_267.015
großen Teile von denjenigen äußeren Umständen, innerhalb pba_267.016
derer sie entstehen und mit denen sie nach großen, unabänderlichen, pba_267.017
nicht zufälligen, sondern ewig gültigen Gesetzen pba_267.018
verknüpft sind.

pba_267.019
Darnach sind in betreff des Ausganges die folgenden Fälle möglich: pba_267.020
entweder ist die Handlung von ungemischt gutem Ethos und pba_267.021
hat demgemäß einen glücklichen Ausgang: das ist nach dem Obigen pba_267.022
nur in kleinen Gedichten angänglich, die nur einzelne Handlungen pba_267.023
darstellen.

pba_267.024
Oder der aus gutem Ethos hervorgehenden Handlung haftet pba_267.025
irgend eine Fehlerhaftigkeit -- Hamartie -- an, ohne doch den pba_267.026
glücklichen Ausgang zu beeinträchtigen; in diesem Falle wird diese pba_267.027
letztere in verschiedener Weise behandelt werden können: entweder um pba_267.028
eine vorübergehende tragische Befürchtung hervorzubringen pba_267.029
oder der an sich ernsten Handlung eine mehr oder minder hervortretende pba_267.030
komische Färbung zu verleihen, oder um beides nebeneinander zu pba_267.031
bewirken.

pba_267.032
Oder aber an die dem guten Ethos anhaftende Hamartie pba_267.033
knüpft sich ein unglücklicher Ausgang: in diesem Falle ist die Handlung pba_267.034
tragisch.

pba_267.035
Ebenso kann eine aus schlechthin fehlerhaftem Ethos entspringende pba_267.036
Handlung entweder unglücklich ausgehen: eine solche eignet pba_267.037
sich wiederum nur für kleinere Gedichte, die eine einzelne Handlung pba_267.038
geringen Umfanges darstellen.

pba_267.039
Oder die von einem überwiegend fehlerhaften Ethos getragene pba_267.040
Handlung, der es aber an Beimischung irgend eines guten

pba_267.001
entspringend dargestellt, die zweite als aus fehlerhaftem Pathos pba_267.002
und Ethos
hervorgehend.

pba_267.003
Da aber die menschlichen Handlungen, im ganzen genommen, pba_267.004
weder unbedingt gut noch ungemischt fehlerhaft
sind, so werden pba_267.005
rein als solche nur einzelne Handlungen dargestellt werden können.

pba_267.006
Dagegegen wird bei der Darstellung einer Handlung, welche als pba_267.007
ein größeres Ganzes eine Vielheit einzelner Handlungen umfaßt, pba_267.008
weder ein gutes Ethos frei von jedem Zusatz eines pba_267.009
Fehlerhaften
sein dürfen, noch ein fehlerhaftes ungemischt pba_267.010
mit Bestandteilen des guten.

pba_267.011
Nun sind alle inneren Handlungen mit bestimmten Folgen verknüpft, pba_267.012
die sich in der äußeren Handlung darstellen; diese äußeren Folgen, pba_267.013
welche kurz als ihr Ausgang zu bezeichnen sind, hängen aber keineswegs pba_267.014
allein von ihrer Beschaffenheit ab, sondern zu einem pba_267.015
großen Teile von denjenigen äußeren Umständen, innerhalb pba_267.016
derer sie entstehen und mit denen sie nach großen, unabänderlichen, pba_267.017
nicht zufälligen, sondern ewig gültigen Gesetzen pba_267.018
verknüpft sind.

pba_267.019
Darnach sind in betreff des Ausganges die folgenden Fälle möglich: pba_267.020
entweder ist die Handlung von ungemischt gutem Ethos und pba_267.021
hat demgemäß einen glücklichen Ausgang: das ist nach dem Obigen pba_267.022
nur in kleinen Gedichten angänglich, die nur einzelne Handlungen pba_267.023
darstellen.

pba_267.024
Oder der aus gutem Ethos hervorgehenden Handlung haftet pba_267.025
irgend eine FehlerhaftigkeitHamartie — an, ohne doch den pba_267.026
glücklichen Ausgang zu beeinträchtigen; in diesem Falle wird diese pba_267.027
letztere in verschiedener Weise behandelt werden können: entweder um pba_267.028
eine vorübergehende tragische Befürchtung hervorzubringen pba_267.029
oder der an sich ernsten Handlung eine mehr oder minder hervortretende pba_267.030
komische Färbung zu verleihen, oder um beides nebeneinander zu pba_267.031
bewirken.

pba_267.032
Oder aber an die dem guten Ethos anhaftende Hamartie pba_267.033
knüpft sich ein unglücklicher Ausgang: in diesem Falle ist die Handlung pba_267.034
tragisch.

pba_267.035
Ebenso kann eine aus schlechthin fehlerhaftem Ethos entspringende pba_267.036
Handlung entweder unglücklich ausgehen: eine solche eignet pba_267.037
sich wiederum nur für kleinere Gedichte, die eine einzelne Handlung pba_267.038
geringen Umfanges darstellen.

pba_267.039
Oder die von einem überwiegend fehlerhaften Ethos getragene pba_267.040
Handlung, der es aber an Beimischung irgend eines guten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0285" n="267"/><lb n="pba_267.001"/>
entspringend dargestellt, die zweite als aus <hi rendition="#g">fehlerhaftem Pathos <lb n="pba_267.002"/>
und Ethos</hi> hervorgehend.</p>
        <p><lb n="pba_267.003"/>
Da aber die menschlichen Handlungen, <hi rendition="#g">im ganzen genommen, <lb n="pba_267.004"/>
weder unbedingt gut noch ungemischt fehlerhaft</hi> sind, so werden <lb n="pba_267.005"/>
rein <hi rendition="#g">als solche</hi> nur <hi rendition="#g">einzelne Handlungen</hi> dargestellt werden können.</p>
        <p><lb n="pba_267.006"/>
Dagegegen wird bei der Darstellung einer Handlung, welche als <lb n="pba_267.007"/>
ein <hi rendition="#g">größeres Ganzes eine Vielheit einzelner Handlungen</hi> umfaßt, <lb n="pba_267.008"/> <hi rendition="#g">weder</hi> ein <hi rendition="#g">gutes</hi> Ethos <hi rendition="#g">frei von jedem Zusatz eines <lb n="pba_267.009"/>
Fehlerhaften</hi> sein dürfen, noch ein <hi rendition="#g">fehlerhaftes ungemischt <lb n="pba_267.010"/>
mit Bestandteilen des guten.</hi></p>
        <p><lb n="pba_267.011"/>
Nun sind alle inneren Handlungen mit <hi rendition="#g">bestimmten Folgen</hi> verknüpft, <lb n="pba_267.012"/>
die sich in der äußeren Handlung darstellen; diese äußeren Folgen, <lb n="pba_267.013"/>
welche kurz als ihr <hi rendition="#g">Ausgang</hi> zu bezeichnen sind, hängen aber <hi rendition="#g">keineswegs <lb n="pba_267.014"/>
allein von ihrer Beschaffenheit ab, sondern zu einem <lb n="pba_267.015"/>
großen Teile von denjenigen äußeren Umständen, innerhalb <lb n="pba_267.016"/>
derer sie entstehen und mit denen sie nach großen, unabänderlichen, <lb n="pba_267.017"/>
nicht zufälligen, sondern ewig gültigen Gesetzen <lb n="pba_267.018"/>
verknüpft sind.</hi></p>
        <p><lb n="pba_267.019"/>
Darnach sind in betreff des Ausganges die folgenden Fälle möglich: <lb n="pba_267.020"/>
entweder ist die Handlung von <hi rendition="#g">ungemischt gutem Ethos</hi> und <lb n="pba_267.021"/>
hat demgemäß einen <hi rendition="#g">glücklichen Ausgang:</hi> das ist nach dem Obigen <lb n="pba_267.022"/>
nur in <hi rendition="#g">kleinen Gedichten</hi> angänglich, die nur <hi rendition="#g">einzelne Handlungen</hi> <lb n="pba_267.023"/>
darstellen.</p>
        <p><lb n="pba_267.024"/>
Oder der aus <hi rendition="#g">gutem Ethos</hi> hervorgehenden Handlung haftet <lb n="pba_267.025"/>
irgend <hi rendition="#g">eine Fehlerhaftigkeit</hi> &#x2014; <hi rendition="#g">Hamartie</hi> &#x2014; an, ohne doch den <lb n="pba_267.026"/> <hi rendition="#g">glücklichen Ausgang</hi> zu beeinträchtigen; in diesem Falle wird diese <lb n="pba_267.027"/>
letztere in verschiedener Weise behandelt werden können: entweder um <lb n="pba_267.028"/>
eine <hi rendition="#g">vorübergehende tragische Befürchtung</hi> hervorzubringen <lb n="pba_267.029"/>
oder der an sich ernsten Handlung eine mehr oder minder hervortretende <lb n="pba_267.030"/> <hi rendition="#g">komische Färbung</hi> zu verleihen, oder um beides nebeneinander zu <lb n="pba_267.031"/>
bewirken.</p>
        <p><lb n="pba_267.032"/>
Oder aber an die dem <hi rendition="#g">guten Ethos</hi> anhaftende <hi rendition="#g">Hamartie</hi> <lb n="pba_267.033"/>
knüpft sich ein <hi rendition="#g">unglücklicher Ausgang:</hi> in diesem Falle ist die Handlung <lb n="pba_267.034"/> <hi rendition="#g">tragisch.</hi></p>
        <p><lb n="pba_267.035"/>
Ebenso kann eine aus <hi rendition="#g">schlechthin fehlerhaftem Ethos</hi> entspringende <lb n="pba_267.036"/>
Handlung entweder <hi rendition="#g">unglücklich ausgehen:</hi> eine solche eignet <lb n="pba_267.037"/>
sich wiederum nur für <hi rendition="#g">kleinere Gedichte,</hi> die eine einzelne Handlung <lb n="pba_267.038"/>
geringen Umfanges darstellen.</p>
        <p><lb n="pba_267.039"/>
Oder die von einem überwiegend <hi rendition="#g">fehlerhaften Ethos</hi> getragene <lb n="pba_267.040"/> <hi rendition="#g">Handlung,</hi> der es aber an <hi rendition="#g">Beimischung irgend eines guten
</hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0285] pba_267.001 entspringend dargestellt, die zweite als aus fehlerhaftem Pathos pba_267.002 und Ethos hervorgehend. pba_267.003 Da aber die menschlichen Handlungen, im ganzen genommen, pba_267.004 weder unbedingt gut noch ungemischt fehlerhaft sind, so werden pba_267.005 rein als solche nur einzelne Handlungen dargestellt werden können. pba_267.006 Dagegegen wird bei der Darstellung einer Handlung, welche als pba_267.007 ein größeres Ganzes eine Vielheit einzelner Handlungen umfaßt, pba_267.008 weder ein gutes Ethos frei von jedem Zusatz eines pba_267.009 Fehlerhaften sein dürfen, noch ein fehlerhaftes ungemischt pba_267.010 mit Bestandteilen des guten. pba_267.011 Nun sind alle inneren Handlungen mit bestimmten Folgen verknüpft, pba_267.012 die sich in der äußeren Handlung darstellen; diese äußeren Folgen, pba_267.013 welche kurz als ihr Ausgang zu bezeichnen sind, hängen aber keineswegs pba_267.014 allein von ihrer Beschaffenheit ab, sondern zu einem pba_267.015 großen Teile von denjenigen äußeren Umständen, innerhalb pba_267.016 derer sie entstehen und mit denen sie nach großen, unabänderlichen, pba_267.017 nicht zufälligen, sondern ewig gültigen Gesetzen pba_267.018 verknüpft sind. pba_267.019 Darnach sind in betreff des Ausganges die folgenden Fälle möglich: pba_267.020 entweder ist die Handlung von ungemischt gutem Ethos und pba_267.021 hat demgemäß einen glücklichen Ausgang: das ist nach dem Obigen pba_267.022 nur in kleinen Gedichten angänglich, die nur einzelne Handlungen pba_267.023 darstellen. pba_267.024 Oder der aus gutem Ethos hervorgehenden Handlung haftet pba_267.025 irgend eine Fehlerhaftigkeit — Hamartie — an, ohne doch den pba_267.026 glücklichen Ausgang zu beeinträchtigen; in diesem Falle wird diese pba_267.027 letztere in verschiedener Weise behandelt werden können: entweder um pba_267.028 eine vorübergehende tragische Befürchtung hervorzubringen pba_267.029 oder der an sich ernsten Handlung eine mehr oder minder hervortretende pba_267.030 komische Färbung zu verleihen, oder um beides nebeneinander zu pba_267.031 bewirken. pba_267.032 Oder aber an die dem guten Ethos anhaftende Hamartie pba_267.033 knüpft sich ein unglücklicher Ausgang: in diesem Falle ist die Handlung pba_267.034 tragisch. pba_267.035 Ebenso kann eine aus schlechthin fehlerhaftem Ethos entspringende pba_267.036 Handlung entweder unglücklich ausgehen: eine solche eignet pba_267.037 sich wiederum nur für kleinere Gedichte, die eine einzelne Handlung pba_267.038 geringen Umfanges darstellen. pba_267.039 Oder die von einem überwiegend fehlerhaften Ethos getragene pba_267.040 Handlung, der es aber an Beimischung irgend eines guten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/285
Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/285>, abgerufen am 02.05.2024.