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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Sie geben ihm dann alles Geraubte zurück, er teilt ihnen den pba_262.002
Segen aus, "wünscht ihnen gründliche Reue" und reitet von dannen.

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Die Handlung ist in treuherzigem, etwas archaisierendem Tone pba_262.004
nicht ungeschickt erzählt; aber der Eindruck des Gedichtes ist mehr verstimmend pba_262.005
als erfreulich: der Grund ist, daß die Handlung eine eminent pba_262.006
moralische ist; moralisch ist die Reue des Kant und sein Entschluß pba_262.007
die Lüge gut zu machen, moralischer Natur ist die durch das Beispiel pba_262.008
bei den Räubern hervorgebrachte Wirkung; das eigentlich Moralische pba_262.009
aber, was hier also die innere Handlung ausmacht, läßt sich nicht pba_262.010
nachahmen, höchstens beschreiben, am wenigsten aber durch die pba_262.011
Nachahmung mitteilen, es ist schlechterdings an das eigene, wirklich pba_262.012
eintretende Handeln
gebunden. So muß jeder Versuch es pba_262.013
zum Gegenstand der künstlerischen Mimesis, sei es poetische oder malerische, pba_262.014
zu machen, an dem Unvermögen, den Nachahmungszweck zu erreichen, pba_262.015
scheitern.

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Hieraus erklärt sich das Unbehagen, die Langeweile, der Widerspruch pba_262.017
des ästhetischen Gefühles, welches alle derartigen Produktionen pba_262.018
erregen, alle die Darstellungen von Akten der Tugend, des Edelmutes, pba_262.019
der Feindesliebe, der Selbstverleugnung, sofern sie eben als spezifisch pba_262.020
moralische Akte,
als Triumphe des sittlich bestimmten Willens über pba_262.021
die entgegenstehende Neigung oder hindernde Schwäche, vorgeführt werden, pba_262.022
oder sofern auch nur das spezifisch Moralische an ihnen in den Vordergrund pba_262.023
gestellt wird. Der großen Menge der Geringeren nicht zu gedenken, pba_262.024
sei hier nur Herder erwähnt, welcher in seinen poetischen Erzählungen pba_262.025
über diesen Standpunkt nicht hinausgekommen ist. Freilich pba_262.026
nennt er sie "Legenden", und stellt sie damit, nach seiner Auffassung pba_262.027
der Legende, von vornherein unter einen fremden Gesichtspunkt. Er pba_262.028
hebt die Bedeutung und innere poetische Wahrheit der religiösen Ueberlieferungen pba_262.029
und kirchlichen Mythen sehr feinsinnig hervor, aber für ihre pba_262.030
poetische Verwendung in der Legende ist ihm nur die Absicht zu "bessern" pba_262.031
maßgebend: "Gäbe es in diesen Zeitaltern keine Muster einer pba_262.032
Tugend,
die wirklich diesen Namen verdiente? keine Seelengröße, die, pba_262.033
über sich selbst gebietend, Gefahren nicht suchte, aber tapfer überwand pba_262.034
und das Leben selbst nicht achtete zur Erlangung des Kampfpreises?" pba_262.035
Und "wären alle jene Überlieferungen ein schwerer, dunkler Traum pba_262.036
langer Jahrhunderte, ein ungeheurer Wahnsinn der Zeiten gewesen, zeiget pba_262.037
ihn als solchen! Hebet die Erzählungen verführter, mißleiteter Seelen pba_262.038
sorgsam aus und merket, wie sie mißleitet wurden, wie sie sich selbst pba_262.039
verführten! Zeiget dies mit aller zarten Teilnahme, mit jedem hilfreichen pba_262.040
Erbarmen, herabsteigend in die Tiefen der menschlichen Natur,

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Sie geben ihm dann alles Geraubte zurück, er teilt ihnen den pba_262.002
Segen aus, „wünscht ihnen gründliche Reue“ und reitet von dannen.

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Die Handlung ist in treuherzigem, etwas archaisierendem Tone pba_262.004
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zum Gegenstand der künstlerischen Mimesis, sei es poetische oder malerische, pba_262.014
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Hieraus erklärt sich das Unbehagen, die Langeweile, der Widerspruch pba_262.017
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erregen, alle die Darstellungen von Akten der Tugend, des Edelmutes, pba_262.019
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die entgegenstehende Neigung oder hindernde Schwäche, vorgeführt werden, pba_262.022
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hebt die Bedeutung und innere poetische Wahrheit der religiösen Ueberlieferungen pba_262.029
und kirchlichen Mythen sehr feinsinnig hervor, aber für ihre pba_262.030
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/280>, abgerufen am 25.11.2024.