Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_214.001 pba_214.008 pba_214.016 1 pba_214.025
Es ist die Anschauung, von welcher Schiller sich durchdrungen fühlte, und pba_214.026 der er in seinen "Künstlern" den begeisterten Ausdruck verliehen hat, am prägnantesten pba_214.027 in der siebzehnten Strophe: pba_214.028 Was die Natur auf ihrem großen Gange pba_214.029 pba_214.040Jn weiten Fernen auseinanderzieht, pba_214.030 Wird auf dem Schauplatz im Gesange pba_214.031 Der Ordnung leicht gefaßtes Glied. pba_214.032 Vom Eumenidenchor geschrecket, pba_214.033 Zieht sich der Mord, auch nie entdecket, pba_214.034 Das Los des Todes aus dem Lied. pba_214.035 Lang', eh' die Weisen ihren Ausspruch wagen, pba_214.036 Löst eine Jlias des Schicksals Rätselfragen pba_214.037 Der jugendlichen Vorwelt auf; pba_214.038 Still wandelte von Thespis Wagen pba_214.039 Die Vorsicht in den Weltenlauf. Und derselbe Gedanke, allgemeiner gefaßt, gleich zu Anfang in der dritten und pba_214.041 vierten Strophe. pba_214.001 pba_214.008 pba_214.016 1 pba_214.025
Es ist die Anschauung, von welcher Schiller sich durchdrungen fühlte, und pba_214.026 der er in seinen „Künstlern“ den begeisterten Ausdruck verliehen hat, am prägnantesten pba_214.027 in der siebzehnten Strophe: pba_214.028 Was die Natur auf ihrem großen Gange pba_214.029 pba_214.040Jn weiten Fernen auseinanderzieht, pba_214.030 Wird auf dem Schauplatz im Gesange pba_214.031 Der Ordnung leicht gefaßtes Glied. pba_214.032 Vom Eumenidenchor geschrecket, pba_214.033 Zieht sich der Mord, auch nie entdecket, pba_214.034 Das Los des Todes aus dem Lied. pba_214.035 Lang', eh' die Weisen ihren Ausspruch wagen, pba_214.036 Löst eine Jlias des Schicksals Rätselfragen pba_214.037 Der jugendlichen Vorwelt auf; pba_214.038 Still wandelte von Thespis Wagen pba_214.039 Die Vorsicht in den Weltenlauf. Und derselbe Gedanke, allgemeiner gefaßt, gleich zu Anfang in der dritten und pba_214.041 vierten Strophe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0232" n="214"/><lb n="pba_214.001"/> des Lebens entsprossen sind, daß sie oft genug diese Wahrheit selbst enthalten. <lb n="pba_214.002"/> Und wenn es nötig ist es noch hinzuzufügen: die <hi rendition="#g">darum schön</hi> <lb n="pba_214.003"/> sind, weil sie aus der richtigen, gesunden, der großen und erhabenen <lb n="pba_214.004"/> <hi rendition="#g">Empfindung</hi> hervorgegangen, nun auch ganz von selbst so zusammengefügt <lb n="pba_214.005"/> sind, daß sie notwendig <hi rendition="#g">dieselben Empfindungen und <lb n="pba_214.006"/> Seelenvorgänge</hi> wieder hervorbringen müssen, <hi rendition="#g">unbewußt</hi> sie <hi rendition="#g">nachahmend,</hi> <lb n="pba_214.007"/> wie die <hi rendition="#g">Kunst</hi> sie mit <hi rendition="#g">Bewußtsein</hi> nachahmt!<note xml:id="pba_214_1" place="foot" n="1"><lb n="pba_214.025"/> Es ist die Anschauung, von welcher <hi rendition="#g">Schiller</hi> sich durchdrungen fühlte, und <lb n="pba_214.026"/> der er in seinen „<hi rendition="#g">Künstlern</hi>“ den begeisterten Ausdruck verliehen hat, am prägnantesten <lb n="pba_214.027"/> in der siebzehnten Strophe: <lb n="pba_214.028"/> <lg><l>Was die Natur auf ihrem großen Gange</l><lb n="pba_214.029"/><l>Jn weiten Fernen auseinanderzieht,</l><lb n="pba_214.030"/><l>Wird auf dem Schauplatz im Gesange</l><lb n="pba_214.031"/><l>Der Ordnung leicht gefaßtes Glied.</l><lb n="pba_214.032"/><l>Vom Eumenidenchor geschrecket,</l><lb n="pba_214.033"/><l>Zieht sich der Mord, auch nie entdecket,</l><lb n="pba_214.034"/><l>Das Los des Todes aus dem Lied.</l><lb n="pba_214.035"/><l>Lang', eh' die Weisen ihren Ausspruch wagen,</l><lb n="pba_214.036"/><l>Löst eine Jlias des Schicksals Rätselfragen</l><lb n="pba_214.037"/><l>Der jugendlichen Vorwelt auf;</l><lb n="pba_214.038"/><l>Still wandelte von Thespis Wagen</l><lb n="pba_214.039"/><l>Die Vorsicht in den Weltenlauf.</l></lg> <lb n="pba_214.040"/> Und derselbe Gedanke, allgemeiner gefaßt, gleich zu Anfang in der dritten und <lb n="pba_214.041"/> vierten Strophe.</note></p> <p><lb n="pba_214.008"/> Ursprünglich ist es mit allen diesen Erfindungen der Phantasie ein <lb n="pba_214.009"/> heiliger Ernst, um so erhabener, ja starrer, je weiter zurück ihr Alter <lb n="pba_214.010"/> liegt: was hindert aber, sich ihrer aufs Neue zu bedienen, auch wenn nun <lb n="pba_214.011"/> an die Stelle des Glaubens das Wissen getreten ist, sobald es sich nicht <lb n="pba_214.012"/> darum handelt von diesem Wissen Zeugnis abzulegen, sondern eben die <lb n="pba_214.013"/> Gesinnungen, Stimmungen und Empfindungen wieder zu erwecken, denen <lb n="pba_214.014"/> jene Erfindungen ihre Entstehung verdankten? also in den Künsten, vor <lb n="pba_214.015"/> allem in der erzählenden Poesie?</p> <p><lb n="pba_214.016"/> Unendlich ist nun die Mannigfaltigkeit der Mischungen der Realität <lb n="pba_214.017"/> und jenes Elementes des Wunderbaren, deren sich der Dichter bedienen <lb n="pba_214.018"/> kann, um dem Körper der inneren Handlung die einfachste und durchsichtigste, <lb n="pba_214.019"/> das ist: die <hi rendition="#g">schönste</hi> Gestalt zu geben. Der reichste Gebrauch <lb n="pba_214.020"/> dieses edelsten und stärksten Mittels, über welches die Poesie gebietet, <lb n="pba_214.021"/> wird in den Zeiten gestattet sein, welche dem Ursprunge desselben am <lb n="pba_214.022"/> nächsten liegen: <hi rendition="#g">nur in diesen Zeiten gedeiht das echte Epos,</hi> <lb n="pba_214.023"/> ein Surrogat dafür gibt es nicht. Aber wenn den spätern Zeiten dieser <lb n="pba_214.024"/> reinste Quell der Dichtung nicht mehr in seiner Fülle sprudelt, so breiten </p> </div> </body> </text> </TEI> [214/0232]
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des Lebens entsprossen sind, daß sie oft genug diese Wahrheit selbst enthalten. pba_214.002
Und wenn es nötig ist es noch hinzuzufügen: die darum schön pba_214.003
sind, weil sie aus der richtigen, gesunden, der großen und erhabenen pba_214.004
Empfindung hervorgegangen, nun auch ganz von selbst so zusammengefügt pba_214.005
sind, daß sie notwendig dieselben Empfindungen und pba_214.006
Seelenvorgänge wieder hervorbringen müssen, unbewußt sie nachahmend, pba_214.007
wie die Kunst sie mit Bewußtsein nachahmt! 1
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Ursprünglich ist es mit allen diesen Erfindungen der Phantasie ein pba_214.009
heiliger Ernst, um so erhabener, ja starrer, je weiter zurück ihr Alter pba_214.010
liegt: was hindert aber, sich ihrer aufs Neue zu bedienen, auch wenn nun pba_214.011
an die Stelle des Glaubens das Wissen getreten ist, sobald es sich nicht pba_214.012
darum handelt von diesem Wissen Zeugnis abzulegen, sondern eben die pba_214.013
Gesinnungen, Stimmungen und Empfindungen wieder zu erwecken, denen pba_214.014
jene Erfindungen ihre Entstehung verdankten? also in den Künsten, vor pba_214.015
allem in der erzählenden Poesie?
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Unendlich ist nun die Mannigfaltigkeit der Mischungen der Realität pba_214.017
und jenes Elementes des Wunderbaren, deren sich der Dichter bedienen pba_214.018
kann, um dem Körper der inneren Handlung die einfachste und durchsichtigste, pba_214.019
das ist: die schönste Gestalt zu geben. Der reichste Gebrauch pba_214.020
dieses edelsten und stärksten Mittels, über welches die Poesie gebietet, pba_214.021
wird in den Zeiten gestattet sein, welche dem Ursprunge desselben am pba_214.022
nächsten liegen: nur in diesen Zeiten gedeiht das echte Epos, pba_214.023
ein Surrogat dafür gibt es nicht. Aber wenn den spätern Zeiten dieser pba_214.024
reinste Quell der Dichtung nicht mehr in seiner Fülle sprudelt, so breiten
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Es ist die Anschauung, von welcher Schiller sich durchdrungen fühlte, und pba_214.026
der er in seinen „Künstlern“ den begeisterten Ausdruck verliehen hat, am prägnantesten pba_214.027
in der siebzehnten Strophe: pba_214.028
Was die Natur auf ihrem großen Gange pba_214.029
Jn weiten Fernen auseinanderzieht, pba_214.030
Wird auf dem Schauplatz im Gesange pba_214.031
Der Ordnung leicht gefaßtes Glied. pba_214.032
Vom Eumenidenchor geschrecket, pba_214.033
Zieht sich der Mord, auch nie entdecket, pba_214.034
Das Los des Todes aus dem Lied. pba_214.035
Lang', eh' die Weisen ihren Ausspruch wagen, pba_214.036
Löst eine Jlias des Schicksals Rätselfragen pba_214.037
Der jugendlichen Vorwelt auf; pba_214.038
Still wandelte von Thespis Wagen pba_214.039
Die Vorsicht in den Weltenlauf.
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Und derselbe Gedanke, allgemeiner gefaßt, gleich zu Anfang in der dritten und pba_214.041
vierten Strophe.
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