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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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andre hervorruft, sie sich begegnen, antworten und gegenseitig bedingen, pba_202.002
so ist die innere Handlung nur denkbar auf dem Grunde der von allen pba_202.003
Seiten eindringenden Veränderungen der Dinge, Personen und Verhältnisse, pba_202.004
welche wir in ihrer Gesamtheit Ereignisse, Begebenheiten, Schicksale pba_202.005
nennen, innerhalb deren nun die "Handlungen" sich kreuzen, sich pba_202.006
vereinen und bekämpfen, in nie endender Verkettung sich verschlingen. pba_202.007
Doch läßt die Empfindung als rein innerlicher Vorgang, und insofern pba_202.008
sie in der Willkür des Subjektes gelegen ist, sich wenigstens in der Abstraktion pba_202.009
isolieren und ungemischt für sich allein zur Darstellung bringen; pba_202.010
in Bezug auf die Handlung dagegen vermag selbst die Abstraktion den pba_202.011
Kreis der äußerlichen Veränderungen, auf Grund deren sie stattfindet pba_202.012
und in und mit denen sie vor sich geht, nur einzuschränken, niemals pba_202.013
aber kann die Darstellung derselben entbehren, selbst da nicht, wo die pba_202.014
Handlung in einem rein geistigen Vorgange sich vollzöge, z. B. in der pba_202.015
Fassung eines Entschlusses und der Aufgabe desselben, wie im zweiten pba_202.016
Monologe des Goetheschen Faust. Umgekehrt aber kann ohne das Werk pba_202.017
einer solchen Abstraktion ebensowenig die Darstellung einer Handlung pba_202.018
stattfinden: es kann keine einzelne Veränderung gedacht werden, welche pba_202.019
nicht mit der Gesamtheit aller übrigen in Verbindung stände; um also pba_202.020
eine übersehbare Gruppe derselben darzustellen, muß man dieselbe aus pba_202.021
jener Gesamtheit auslösen, eine Menge der Fäden, durch die sie mit pba_202.022
derselben zusammenhängt, einfach durchschneiden und nur so viele von pba_202.023
den außerhalb des eigentlichen Handlungsvorganges liegenden Veränderungen pba_202.024
mit in dieselbe aufnehmen, als zunächst zur Verständlichkeit desselben pba_202.025
und sodann zur Erreichung des ins Auge gefaßten Nachahmungszweckes pba_202.026
erfordert werden.1

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Zu einer eingeschränktern Verwendung -- nämlich mit Bezug auf die Sonderung pba_202.028
des Ernsten und Komischen, welches im wirklichen Leben nicht selten vermischt auftritt pba_202.029
-- führt Lessing diesen Gedanken im 70. Stück der Hamb. Dramaturgie aus: "Jn pba_202.030
der Natur ist alles mit allem verbunden; alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem, pba_202.031
alles verändert sich, eines in das andre. Aber nach dieser unendlichen Mannigfaltigkeit pba_202.032
ist sie nur ein Schauspiel für einen unendlichen Geist. Um endliche Geister an dem pba_202.033
Genusse desselben Anteil nehmen zu lassen, mußten diese das Vermögen erhalten, ihr pba_202.034
Schranken zu geben, die sie nicht hat; das Vermögen abzusondern und ihre Aufmerksamkeit pba_202.035
nach Gutdünken lenken zu können. Dieses Vermögen üben wir in allen Augenblicken pba_202.036
des Lebens; ohne dasselbe würde es für uns gar kein Leben geben; wir würden pba_202.037
vor allzu verschiedenen Empfindungen nichts empfinden; wir würden ein beständiger pba_202.038
Raub des gegenwärtigen Eindruckes sein; wir würden träumen, ohne zu wissen, was pba_202.039
wir träumten. Die Bestimmung der Kunst ist, uns in dem Reiche des Schönen dieser pba_202.040
Absonderung zu überheben, uns die Fixierung unserer Aufmerksamkeit zu erleichtern. pba_202.041
Alles, was wir in der Natur von einem Gegenstande oder einer Verbindung verschie-

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andre hervorruft, sie sich begegnen, antworten und gegenseitig bedingen, pba_202.002
so ist die innere Handlung nur denkbar auf dem Grunde der von allen pba_202.003
Seiten eindringenden Veränderungen der Dinge, Personen und Verhältnisse, pba_202.004
welche wir in ihrer Gesamtheit Ereignisse, Begebenheiten, Schicksale pba_202.005
nennen, innerhalb deren nun die „Handlungen“ sich kreuzen, sich pba_202.006
vereinen und bekämpfen, in nie endender Verkettung sich verschlingen. pba_202.007
Doch läßt die Empfindung als rein innerlicher Vorgang, und insofern pba_202.008
sie in der Willkür des Subjektes gelegen ist, sich wenigstens in der Abstraktion pba_202.009
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Kreis der äußerlichen Veränderungen, auf Grund deren sie stattfindet pba_202.012
und in und mit denen sie vor sich geht, nur einzuschränken, niemals pba_202.013
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Handlung in einem rein geistigen Vorgange sich vollzöge, z. B. in der pba_202.015
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einer solchen Abstraktion ebensowenig die Darstellung einer Handlung pba_202.018
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nicht mit der Gesamtheit aller übrigen in Verbindung stände; um also pba_202.020
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jener Gesamtheit auslösen, eine Menge der Fäden, durch die sie mit pba_202.022
derselben zusammenhängt, einfach durchschneiden und nur so viele von pba_202.023
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mit in dieselbe aufnehmen, als zunächst zur Verständlichkeit desselben pba_202.025
und sodann zur Erreichung des ins Auge gefaßten Nachahmungszweckes pba_202.026
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Zu einer eingeschränktern Verwendung — nämlich mit Bezug auf die Sonderung pba_202.028
des Ernsten und Komischen, welches im wirklichen Leben nicht selten vermischt auftritt pba_202.029
— führt Lessing diesen Gedanken im 70. Stück der Hamb. Dramaturgie aus: „Jn pba_202.030
der Natur ist alles mit allem verbunden; alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem, pba_202.031
alles verändert sich, eines in das andre. Aber nach dieser unendlichen Mannigfaltigkeit pba_202.032
ist sie nur ein Schauspiel für einen unendlichen Geist. Um endliche Geister an dem pba_202.033
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/220>, abgerufen am 27.11.2024.