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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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Das erste Beispiel, dem Mnasalkas angehörig, lautet in der Anthologie pba_123.002
(ed. Dübner. VI, 9) folgendermaßen:

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Soi men kampula toxa kai iokheaira pharetre, pba_123.004
dora para Promakhou, Phoibe, tade krematai; pba_123.005
ious de pteroentas ana klonon andres ekhousin pba_123.006
en kardiais, oloa xeinia dusmeneon.

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Ein Epigramm im vollen Sinne Lessings, wenn es je eins gab!

pba_123.008
Dir hat des Bogens Krümme, den Köcher, den pfeile-gewohnten, pba_123.009
Phöbus, als Weihegeschenk Promachus niedergelegt.
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Nur den Bogen und seinen Köcher hat der Bogenschütze dem Fernhintreffer pba_123.011
geweiht? Und wo ließ er die Pfeile? Die Lösung sagt es uns, pba_123.012
nicht nur durch die unerwartete Wendung überraschend, sondern zugleich pba_123.013
von des Mannes Mut, Gesinnung und Kraft ein Zeugnis ablegend, pba_123.014
der hier sich dem Gotte genaht:

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Aber die Pfeile selbst, die schlachtdurchsausenden, stecken pba_123.016
Männern im Herzen, ein Tod-bringend Geschenk für den Feind.
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Und was hat Herder aus diesem eminent epigrammatischen Aufschluß pba_123.018
gemacht? "Des Köchers Pfeile flogen in der Schlacht umher pba_123.019
und trafen
die Herzen der Krieger, ihnen ein bittres Geschenk!" pba_123.020
Kann man durch eine angeblich wörtlich-genaue Uebersetzung ärger entstellen?

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Noch schlimmer liegt die Sache bei dem dritten Epigramm; dieses pba_123.023
lautet (ibid. VI, 198):

pba_123.024

Orion anthesantas upo krotaphoisin ioulous pba_123.025
keiramenos, genuon arsenas agla Ias, pba_123.026
Phoibo theke Lukon, proton geras; euxato d'outos pba_123.027
kai polien leukon keirai apo krotaphon. pba_123.028
Toien all' epineue, tithei de min. os pro ge toion, pba_123.029
os autis polio gerai niphomenon.

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Hier hat Herder die ersten beiden Distichen zwar sehr ungenau, doch pba_123.031
dem Sinne nach richtig übersetzt: aber das dritte, den Aufschluß, pba_123.032
durch den das Epigramm erst entsteht, hat er einfach fortgelassen! pba_123.033
Die Schlußwendung ist sogar eine doppelte, und dieses Epigramm des pba_123.034
Antipater, statt von "rührender Einfalt" und "simpler Kürze" zu sein, pba_123.035
hat vielmehr den Fehler, daß der Ausdruck sowie der ganze Gedanke pba_123.036
gekünstelt ist, und statt daß es "bloße Exposition" enthielte, ist offenbar pba_123.037
die Exposition nur um der zwiefachen Pointe willen da. Es möchte pba_123.038
wiederzugeben sein:

pba_123.001
Das erste Beispiel, dem Mnasalkas angehörig, lautet in der Anthologie pba_123.002
(ed. Dübner. VI, 9) folgendermaßen:

pba_123.003

Σοὶ μὲν καμπύλα τόξα καὶ ἰοχέαιρα φαρέτρη, pba_123.004
δῶρα παρὰ Προμάχου, Φοῖβε, τάδε κρέμαται· pba_123.005
ἰοὺς δὲ πτερόεντας ἀνὰ κλόνον ἄνδρες ἔχουσιν pba_123.006
ἐν καρδίαις, ὀλοὰ ξείνια δυσμενέων.

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Ein Epigramm im vollen Sinne Lessings, wenn es je eins gab!

pba_123.008
Dir hat des Bogens Krümme, den Köcher, den pfeile-gewohnten, pba_123.009
Phöbus, als Weihegeschenk Promachus niedergelegt.
pba_123.010

Nur den Bogen und seinen Köcher hat der Bogenschütze dem Fernhintreffer pba_123.011
geweiht? Und wo ließ er die Pfeile? Die Lösung sagt es uns, pba_123.012
nicht nur durch die unerwartete Wendung überraschend, sondern zugleich pba_123.013
von des Mannes Mut, Gesinnung und Kraft ein Zeugnis ablegend, pba_123.014
der hier sich dem Gotte genaht:

pba_123.015
Aber die Pfeile selbst, die schlachtdurchsausenden, stecken pba_123.016
Männern im Herzen, ein Tod-bringend Geschenk für den Feind.
pba_123.017

Und was hat Herder aus diesem eminent epigrammatischen Aufschluß pba_123.018
gemacht? „Des Köchers Pfeile flogen in der Schlacht umher pba_123.019
und trafen
die Herzen der Krieger, ihnen ein bittres Geschenk!“ pba_123.020
Kann man durch eine angeblich wörtlich-genaue Uebersetzung ärger entstellen?

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pba_123.022
Noch schlimmer liegt die Sache bei dem dritten Epigramm; dieses pba_123.023
lautet (ibid. VI, 198):

pba_123.024

Ὥριον ἀνθήσαντας ὑπὸ κροτάφοισιν ἰούλους pba_123.025
κειράμενος, γενύων ἄρσενας ἀγλα ΐας, pba_123.026
Φοίβῳ θῆκε Λύκων, πρῶτον γέρας· εὔξατο δ'οὕτως pba_123.027
καὶ πολιὴν λευκῶν κεῖραι ἀπὸ κροτάφων. pba_123.028
Τοίην άλλ' ἐπίνευε, τίθει δέ μιν. ὡς πρό γε τοὶον, pba_123.029
ὥς αὖτις πολιῷ γήραϊ νιφόμενον.

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Hier hat Herder die ersten beiden Distichen zwar sehr ungenau, doch pba_123.031
dem Sinne nach richtig übersetzt: aber das dritte, den Aufschluß, pba_123.032
durch den das Epigramm erst entsteht, hat er einfach fortgelassen! pba_123.033
Die Schlußwendung ist sogar eine doppelte, und dieses Epigramm des pba_123.034
Antipater, statt von „rührender Einfalt“ und „simpler Kürze“ zu sein, pba_123.035
hat vielmehr den Fehler, daß der Ausdruck sowie der ganze Gedanke pba_123.036
gekünstelt ist, und statt daß es „bloße Exposition“ enthielte, ist offenbar pba_123.037
die Exposition nur um der zwiefachen Pointe willen da. Es möchte pba_123.038
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/141>, abgerufen am 09.11.2024.