Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_123.001
pba_123.007 Dir hat des Bogens Krümme, den Köcher, den pfeile-gewohnten, pba_123.009 pba_123.010Phöbus, als Weihegeschenk Promachus niedergelegt. Nur den Bogen und seinen Köcher hat der Bogenschütze dem Fernhintreffer pba_123.011 Aber die Pfeile selbst, die schlachtdurchsausenden, stecken pba_123.016 pba_123.017Männern im Herzen, ein Tod-bringend Geschenk für den Feind. Und was hat Herder aus diesem eminent epigrammatischen Aufschluß pba_123.018 pba_123.022
Hier hat Herder die ersten beiden Distichen zwar sehr ungenau, doch pba_123.031 pba_123.001
pba_123.007 Dir hat des Bogens Krümme, den Köcher, den pfeile-gewohnten, pba_123.009 pba_123.010Phöbus, als Weihegeschenk Promachus niedergelegt. Nur den Bogen und seinen Köcher hat der Bogenschütze dem Fernhintreffer pba_123.011 Aber die Pfeile selbst, die schlachtdurchsausenden, stecken pba_123.016 pba_123.017Männern im Herzen, ein Tod-bringend Geschenk für den Feind. Und was hat Herder aus diesem eminent epigrammatischen Aufschluß pba_123.018 pba_123.022
Hier hat Herder die ersten beiden Distichen zwar sehr ungenau, doch pba_123.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0141" n="123"/> <p><lb n="pba_123.001"/> Das erste Beispiel, dem Mnasalkas angehörig, lautet in der Anthologie <lb n="pba_123.002"/> (<hi rendition="#aq">ed</hi>. Dübner. VI, 9) folgendermaßen:</p> <lb n="pba_123.003"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l><foreign xml:lang="grc">Σοὶ μὲν καμπύλα τόξα καὶ ἰοχέαιρα φαρέτρη</foreign>,</l> <lb n="pba_123.004"/> <l> <foreign xml:lang="grc">δῶρα παρὰ Προμάχου, Φοῖβε, τάδε κρέμαται·</foreign> </l> <lb n="pba_123.005"/> <l> <foreign xml:lang="grc">ἰοὺς δὲ πτερόεντας ἀνὰ κλόνον ἄνδρες ἔχουσιν</foreign> </l> <lb n="pba_123.006"/> <l><foreign xml:lang="grc">ἐν καρδίαις, ὀλοὰ ξείνια δυσμενέων</foreign>.</l> </lg> </hi> </p> <p><lb n="pba_123.007"/> Ein Epigramm im vollen Sinne Lessings, wenn es je eins gab!</p> <lb n="pba_123.008"/> <lg> <l>Dir hat des Bogens Krümme, den Köcher, den pfeile-gewohnten,</l> <lb n="pba_123.009"/> <l> Phöbus, als Weihegeschenk Promachus niedergelegt.</l> </lg> <lb n="pba_123.010"/> <p>Nur den Bogen und seinen Köcher hat der Bogenschütze dem Fernhintreffer <lb n="pba_123.011"/> geweiht? Und wo ließ er die Pfeile? Die Lösung sagt es uns, <lb n="pba_123.012"/> nicht nur durch die unerwartete Wendung überraschend, sondern zugleich <lb n="pba_123.013"/> von des Mannes Mut, Gesinnung und Kraft ein Zeugnis ablegend, <lb n="pba_123.014"/> der hier sich dem Gotte genaht:</p> <lb n="pba_123.015"/> <lg> <l>Aber die Pfeile selbst, die schlachtdurchsausenden, stecken</l> <lb n="pba_123.016"/> <l> Männern im Herzen, ein Tod-bringend Geschenk für den Feind.</l> </lg> <lb n="pba_123.017"/> <p>Und was hat Herder aus diesem eminent epigrammatischen Aufschluß <lb n="pba_123.018"/> gemacht? „Des Köchers Pfeile <hi rendition="#g">flogen in der Schlacht umher <lb n="pba_123.019"/> und trafen</hi> die Herzen der Krieger, <hi rendition="#g">ihnen</hi> ein bittres Geschenk!“ <lb n="pba_123.020"/> Kann man durch eine angeblich wörtlich-genaue Uebersetzung ärger entstellen?</p> <lb n="pba_123.021"/> <p><lb n="pba_123.022"/> Noch schlimmer liegt die Sache bei dem dritten Epigramm; dieses <lb n="pba_123.023"/> lautet (ibid. VI, 198):</p> <lb n="pba_123.024"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l> <foreign xml:lang="grc">Ὥριον ἀνθήσαντας ὑπὸ κροτάφοισιν ἰούλους</foreign> </l> <lb n="pba_123.025"/> <l><foreign xml:lang="grc">κειράμενος, γενύων ἄρσενας ἀγλα ΐας</foreign>,</l> <lb n="pba_123.026"/> <l><foreign xml:lang="grc">Φοίβῳ θῆκε Λύκων, πρῶτον γέρας·</foreign><foreign xml:lang="grc">εὔξατο δ</foreign>'<foreign xml:lang="grc">οὕτως</foreign></l> <lb n="pba_123.027"/> <l><foreign xml:lang="grc">καὶ πολιὴν λευκῶν κεῖραι ἀπὸ κροτάφων</foreign>.</l> <lb n="pba_123.028"/> <l><foreign xml:lang="grc">Τοίην άλλ' ἐπίνευε, τίθει δέ μιν</foreign>. <foreign xml:lang="grc">ὡς πρό γε τοὶον</foreign>,</l> <lb n="pba_123.029"/> <l><foreign xml:lang="grc">ὥς αὖτις πολιῷ γήραϊ νιφόμενον</foreign>.</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pba_123.030"/> <p>Hier hat Herder die ersten beiden Distichen zwar sehr ungenau, doch <lb n="pba_123.031"/> dem Sinne nach richtig übersetzt: aber das <hi rendition="#g">dritte, den Aufschluß,</hi> <lb n="pba_123.032"/> durch den das Epigramm erst entsteht, hat er einfach <hi rendition="#g">fortgelassen!</hi> <lb n="pba_123.033"/> Die Schlußwendung ist sogar eine doppelte, und dieses Epigramm des <lb n="pba_123.034"/> Antipater, statt von „rührender Einfalt“ und „simpler Kürze“ zu sein, <lb n="pba_123.035"/> hat vielmehr den Fehler, daß der Ausdruck sowie der ganze Gedanke <lb n="pba_123.036"/> gekünstelt ist, und statt daß es „bloße Exposition“ enthielte, ist offenbar <lb n="pba_123.037"/> die Exposition nur um der zwiefachen Pointe willen da. Es möchte <lb n="pba_123.038"/> wiederzugeben sein:</p> </div> </body> </text> </TEI> [123/0141]
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Das erste Beispiel, dem Mnasalkas angehörig, lautet in der Anthologie pba_123.002
(ed. Dübner. VI, 9) folgendermaßen:
pba_123.003
Σοὶ μὲν καμπύλα τόξα καὶ ἰοχέαιρα φαρέτρη, pba_123.004
δῶρα παρὰ Προμάχου, Φοῖβε, τάδε κρέμαται· pba_123.005
ἰοὺς δὲ πτερόεντας ἀνὰ κλόνον ἄνδρες ἔχουσιν pba_123.006
ἐν καρδίαις, ὀλοὰ ξείνια δυσμενέων.
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Ein Epigramm im vollen Sinne Lessings, wenn es je eins gab!
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Dir hat des Bogens Krümme, den Köcher, den pfeile-gewohnten, pba_123.009
Phöbus, als Weihegeschenk Promachus niedergelegt.
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Nur den Bogen und seinen Köcher hat der Bogenschütze dem Fernhintreffer pba_123.011
geweiht? Und wo ließ er die Pfeile? Die Lösung sagt es uns, pba_123.012
nicht nur durch die unerwartete Wendung überraschend, sondern zugleich pba_123.013
von des Mannes Mut, Gesinnung und Kraft ein Zeugnis ablegend, pba_123.014
der hier sich dem Gotte genaht:
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Aber die Pfeile selbst, die schlachtdurchsausenden, stecken pba_123.016
Männern im Herzen, ein Tod-bringend Geschenk für den Feind.
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Und was hat Herder aus diesem eminent epigrammatischen Aufschluß pba_123.018
gemacht? „Des Köchers Pfeile flogen in der Schlacht umher pba_123.019
und trafen die Herzen der Krieger, ihnen ein bittres Geschenk!“ pba_123.020
Kann man durch eine angeblich wörtlich-genaue Uebersetzung ärger entstellen?
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Noch schlimmer liegt die Sache bei dem dritten Epigramm; dieses pba_123.023
lautet (ibid. VI, 198):
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Ὥριον ἀνθήσαντας ὑπὸ κροτάφοισιν ἰούλους pba_123.025
κειράμενος, γενύων ἄρσενας ἀγλα ΐας, pba_123.026
Φοίβῳ θῆκε Λύκων, πρῶτον γέρας· εὔξατο δ'οὕτως pba_123.027
καὶ πολιὴν λευκῶν κεῖραι ἀπὸ κροτάφων. pba_123.028
Τοίην άλλ' ἐπίνευε, τίθει δέ μιν. ὡς πρό γε τοὶον, pba_123.029
ὥς αὖτις πολιῷ γήραϊ νιφόμενον.
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Hier hat Herder die ersten beiden Distichen zwar sehr ungenau, doch pba_123.031
dem Sinne nach richtig übersetzt: aber das dritte, den Aufschluß, pba_123.032
durch den das Epigramm erst entsteht, hat er einfach fortgelassen! pba_123.033
Die Schlußwendung ist sogar eine doppelte, und dieses Epigramm des pba_123.034
Antipater, statt von „rührender Einfalt“ und „simpler Kürze“ zu sein, pba_123.035
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gekünstelt ist, und statt daß es „bloße Exposition“ enthielte, ist offenbar pba_123.037
die Exposition nur um der zwiefachen Pointe willen da. Es möchte pba_123.038
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