pba_096.001 hat, erscheint ihm seine Laufbahn, die Gegenwart, die Vergangenheit und pba_096.002 die Zukunft, als eine herrliche Einheit, welche in ihrer folgerichtigen pba_096.003 Entfaltung durch nichts aufgehalten werden kann. Von dem Gipfel pba_096.004 des errungenen Vertrauens in sich selbst entdeckt sich nun in plötzlich pba_096.005 verbreitetem Lichte dem Genius sein eigenes Werden, welches ihm bis pba_096.006 dahin ein Geheimnis war; von Anbeginn liegt nun sein Lauf vor ihm, pba_096.007 und in triumphierender Zuversicht sieht er diesen Lauf mit der Gewalt pba_096.008 und Notwendigkeit einer Naturkraft sich bis zu seinem glorreichen Ende pba_096.009 fortsetzen. Dieses Ethos ist es, welches die von titanischen Entwürfen pba_096.010 geschwellte Brust des Dichters des Götz und Werther erfüllt, und das pba_096.011 nach einer Form des Ausdrucks verlangt. Für dieses "sublimi feriam pba_096.012 sidera vertice" gibt es aber schwerlich irgend eine Form des Ausdrucks, pba_096.013 welche so angemessen und zugleich so hochpoetisch wäre als die Allegorie,pba_096.014 denn hierbei bleibt erstlich die Person des Dichters ganz aus pba_096.015 dem Spiele und das Ethos kommt rein und objektiv zur Darstellung, pba_096.016 und sodann wird es statt abstrakt beschrieben zu werden, durch die Anschauung pba_096.017 Herz und Gemüt erhebender und bewegender Bilder und Vorgänge pba_096.018 vermittelt. Eine solche Wirkung hat von jeher der Anblick eines pba_096.019 mächtigen Stromes, in allen Teilen seines Laufes von der Quelle bis pba_096.020 zum Meere, auf alle Beschauer ausgeübt. Den Alten verkörperte sich pba_096.021 dieses Ethos in den Mythen von ihren Flußgöttern; der moderne Dichter pba_096.022 ist von demselben schöpferischen Geiste getrieben, indem er überall der pba_096.023 körperlichen Erscheinung eine Seele leiht und die Bewegungen der Materie pba_096.024 als Willensakte vorstellt. So bleibt er vor allem dem poetischen pba_096.025 Grundgesetze getreu, in die Schilderung der körperlichen Natur und pba_096.026 ihrer Bewegung nur einzutreten, insofern sie psychische und ethische Vorgänge pba_096.027 zu erwecken imstande ist, und insofern sie durch sich selbst dazu pba_096.028 fähig ist; was von außen her willkürlich hinzugethan wird um diese pba_096.029 Fähigkeit zu erhöhen, fördert die Wirkung nicht, sondern hebt sie auf. pba_096.030 Gelingt es nun hier dem Dichter, daß, indem er der Natur seines Objektes pba_096.031 durchaus treu bleibt, er zugleich doch eine solche Reihe von Momenten pba_096.032 in der Darstellung desselben hervorhebt, welche durch eine pba_096.033 schlagende Aehnlichkeit an jene ganz persönlichen und doch zugleich typischallgemeinen pba_096.034 Verhältnisse erinnern, die ursprünglich in ihm das treibende pba_096.035 Ethos entzündeten, so ist er der höchsten Wirkung sicher.
pba_096.036 So geschieht es in dem vorliegenden Gedicht:
pba_096.037
Seht den Felsenquell,pba_096.038 Freudehellpba_096.039 Wie ein Sternenblick;pba_096.040 Ueber Wolken
pba_096.001 hat, erscheint ihm seine Laufbahn, die Gegenwart, die Vergangenheit und pba_096.002 die Zukunft, als eine herrliche Einheit, welche in ihrer folgerichtigen pba_096.003 Entfaltung durch nichts aufgehalten werden kann. Von dem Gipfel pba_096.004 des errungenen Vertrauens in sich selbst entdeckt sich nun in plötzlich pba_096.005 verbreitetem Lichte dem Genius sein eigenes Werden, welches ihm bis pba_096.006 dahin ein Geheimnis war; von Anbeginn liegt nun sein Lauf vor ihm, pba_096.007 und in triumphierender Zuversicht sieht er diesen Lauf mit der Gewalt pba_096.008 und Notwendigkeit einer Naturkraft sich bis zu seinem glorreichen Ende pba_096.009 fortsetzen. Dieses Ethos ist es, welches die von titanischen Entwürfen pba_096.010 geschwellte Brust des Dichters des Götz und Werther erfüllt, und das pba_096.011 nach einer Form des Ausdrucks verlangt. Für dieses „sublimi feriam pba_096.012 sidera vertice“ gibt es aber schwerlich irgend eine Form des Ausdrucks, pba_096.013 welche so angemessen und zugleich so hochpoetisch wäre als die Allegorie,pba_096.014 denn hierbei bleibt erstlich die Person des Dichters ganz aus pba_096.015 dem Spiele und das Ethos kommt rein und objektiv zur Darstellung, pba_096.016 und sodann wird es statt abstrakt beschrieben zu werden, durch die Anschauung pba_096.017 Herz und Gemüt erhebender und bewegender Bilder und Vorgänge pba_096.018 vermittelt. Eine solche Wirkung hat von jeher der Anblick eines pba_096.019 mächtigen Stromes, in allen Teilen seines Laufes von der Quelle bis pba_096.020 zum Meere, auf alle Beschauer ausgeübt. Den Alten verkörperte sich pba_096.021 dieses Ethos in den Mythen von ihren Flußgöttern; der moderne Dichter pba_096.022 ist von demselben schöpferischen Geiste getrieben, indem er überall der pba_096.023 körperlichen Erscheinung eine Seele leiht und die Bewegungen der Materie pba_096.024 als Willensakte vorstellt. So bleibt er vor allem dem poetischen pba_096.025 Grundgesetze getreu, in die Schilderung der körperlichen Natur und pba_096.026 ihrer Bewegung nur einzutreten, insofern sie psychische und ethische Vorgänge pba_096.027 zu erwecken imstande ist, und insofern sie durch sich selbst dazu pba_096.028 fähig ist; was von außen her willkürlich hinzugethan wird um diese pba_096.029 Fähigkeit zu erhöhen, fördert die Wirkung nicht, sondern hebt sie auf. pba_096.030 Gelingt es nun hier dem Dichter, daß, indem er der Natur seines Objektes pba_096.031 durchaus treu bleibt, er zugleich doch eine solche Reihe von Momenten pba_096.032 in der Darstellung desselben hervorhebt, welche durch eine pba_096.033 schlagende Aehnlichkeit an jene ganz persönlichen und doch zugleich typischallgemeinen pba_096.034 Verhältnisse erinnern, die ursprünglich in ihm das treibende pba_096.035 Ethos entzündeten, so ist er der höchsten Wirkung sicher.
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/114>, abgerufen am 24.11.2024.
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