pba_091.001 sich selbst genugsam erklärend, von Goethe unter seine Gedichte aufgenommen pba_091.002 werden konnte. Ganz denselben Charakter tragen jedoch solche pba_091.003 Stücke, in denen der Dichter in eigener Person spricht -- wie dieselbe pba_091.004 im Grunde auch im "Prometheus" unter der Maske zu erkennen ist --, pba_091.005 und wo er mit der Kunst des Meisters die Anlaß und Erklärung gebende pba_091.006 Situation mitten in dem ihr entspringenden Strom der Gedanken und pba_091.007 Gefühle durch vollauf genügende Andeutung darzustellen weiß; so in pba_091.008 "Wandrers Sturmlied," "Schwager Kronos," dem so ganz pba_091.009 individuellen Liede "Harzreise im Winter". So willkommen uns die pba_091.010 authentische Angabe des Dichters über die veranlassenden historischen pba_091.011 Momente zu dem letzten Gedichte sind, so bedarf es, um verstanden und pba_091.012 genossen zu werden, derselben doch nicht, weil das Einzelne in die Sphäre pba_091.013 des Allgemeinen gehoben ist; wie auch "Wandrers Sturmlied," bei dem pba_091.014 ein solcher ins Einzelne gehender, authentischer Kommentar fehlt, sich mit pba_091.015 völliger Deutlichkeit selbst erklärt.
pba_091.016 Den Uebergang zu der allegorischen Gattung bilden solche Gedichte, pba_091.017 in welchen entweder ein Gleichnis angedeutet ist, wie in "Meine pba_091.018 Göttin," oder vollständig durchgeführt, wie in dem "Gesang der pba_091.019 Geister über dem Wasser".
pba_091.020 Nun aber die eigentlich allegorischen Gedichte! Jn schroffem pba_091.021 Gegensatze gegen die beliebte Theorie, daß jede Allegorie aus der Kunst pba_091.022 absolut zu verbannen sei, sind es gerade die vollendetsten unter den der pba_091.023 reflektierenden Gattung zugehörigen Dichtungen Goethes, welche entschiedene pba_091.024 und mit strengster Konsequenz durchgeführte Allegorie enthalten. pba_091.025 Zum Beweise mögen die folgenden drei Gedichte dienen, welche sicherlich pba_091.026 ein jeder wenigstens zu den schönsten zählen wird: "Mahomets Gesang," pba_091.027 "Seefahrt" und "Adler und Taube".
pba_091.028 Nach der Quinctilianischen Erklärung ist die Allegorie eine pba_091.029 Redeweise, welche etwas Anderes sagt und etwas Anderes bedeutet; pba_091.030 Lessing fügt dazu die sehr notwendige Einschränkung, daß dieses andre pba_091.031 dem, was es bedeuten soll, ähnlich sein müsse. Aber auch diese Einschränkung pba_091.032 genügt noch nicht, wenigstens nicht für diejenige Art der pba_091.033 Allegorie, welcher das Bürgerrecht in der Kunst gebührt.
pba_091.034 Jedes Kunstmittel, welches nicht einem höheren Zwecke in solcher pba_091.035 Weise dient, daß derselbe auf anderem Wege nicht erreicht werden kann, pba_091.036 ist in der Kunst nicht allein überflüssig, sondern als unnützes Spielwerk pba_091.037 ihrer unwürdig. Wenn also nicht schon in dem Wesen der Allegorie pba_091.038 ihre Unentbehrlichkeit für die Zwecke der Kunst nachgewiesen werden pba_091.039 kann, und ebenso aus ihrer Definition nicht schon von vornherein erkennbar pba_091.040 ist, in welchem Falle sie denselben widerspricht, so müßte sie
pba_091.001 sich selbst genugsam erklärend, von Goethe unter seine Gedichte aufgenommen pba_091.002 werden konnte. Ganz denselben Charakter tragen jedoch solche pba_091.003 Stücke, in denen der Dichter in eigener Person spricht — wie dieselbe pba_091.004 im Grunde auch im „Prometheus“ unter der Maske zu erkennen ist —, pba_091.005 und wo er mit der Kunst des Meisters die Anlaß und Erklärung gebende pba_091.006 Situation mitten in dem ihr entspringenden Strom der Gedanken und pba_091.007 Gefühle durch vollauf genügende Andeutung darzustellen weiß; so in pba_091.008 „Wandrers Sturmlied,“ „Schwager Kronos,“ dem so ganz pba_091.009 individuellen Liede „Harzreise im Winter“. So willkommen uns die pba_091.010 authentische Angabe des Dichters über die veranlassenden historischen pba_091.011 Momente zu dem letzten Gedichte sind, so bedarf es, um verstanden und pba_091.012 genossen zu werden, derselben doch nicht, weil das Einzelne in die Sphäre pba_091.013 des Allgemeinen gehoben ist; wie auch „Wandrers Sturmlied,“ bei dem pba_091.014 ein solcher ins Einzelne gehender, authentischer Kommentar fehlt, sich mit pba_091.015 völliger Deutlichkeit selbst erklärt.
pba_091.016 Den Uebergang zu der allegorischen Gattung bilden solche Gedichte, pba_091.017 in welchen entweder ein Gleichnis angedeutet ist, wie in „Meine pba_091.018 Göttin,“ oder vollständig durchgeführt, wie in dem „Gesang der pba_091.019 Geister über dem Wasser“.
pba_091.020 Nun aber die eigentlich allegorischen Gedichte! Jn schroffem pba_091.021 Gegensatze gegen die beliebte Theorie, daß jede Allegorie aus der Kunst pba_091.022 absolut zu verbannen sei, sind es gerade die vollendetsten unter den der pba_091.023 reflektierenden Gattung zugehörigen Dichtungen Goethes, welche entschiedene pba_091.024 und mit strengster Konsequenz durchgeführte Allegorie enthalten. pba_091.025 Zum Beweise mögen die folgenden drei Gedichte dienen, welche sicherlich pba_091.026 ein jeder wenigstens zu den schönsten zählen wird: „Mahomets Gesang,“ pba_091.027 „Seefahrt“ und „Adler und Taube“.
pba_091.028 Nach der Quinctilianischen Erklärung ist die Allegorie eine pba_091.029 Redeweise, welche etwas Anderes sagt und etwas Anderes bedeutet; pba_091.030 Lessing fügt dazu die sehr notwendige Einschränkung, daß dieses andre pba_091.031 dem, was es bedeuten soll, ähnlich sein müsse. Aber auch diese Einschränkung pba_091.032 genügt noch nicht, wenigstens nicht für diejenige Art der pba_091.033 Allegorie, welcher das Bürgerrecht in der Kunst gebührt.
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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/109>, abgerufen am 09.11.2024.
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