Mir war die schwerste Aufgabe zugefallen, -- selbst für erfahrene Künstler eine schwierige: den Prolog zu sprechen.
Mir liegt ein alter, vergilbter Brief an meinen Bruder Louis vor. Diese verblaßten Schriftzüge werden jenen Tag am frischesten schildern:
"Seit zwei Uhr wogte bereits die Menschenmasse auf dem Ochsenmarkte und kaum vermochten wir Schauspieler uns durchzudrängen. Ich hatte zu Hause meine Toilette vollendet, fuhr im geschlossenen Wagen über den Platz, und die tausend neugierigen Augen vermehrten meine Angst. Mein Herz bebte stärker, als in Karlsruhe vor dem ersten entscheidenden Auftreten. Zum ersten Mal sollte ich vor dem kunstsinnigen, aber auch streng richten¬ den Publikum Berlins erscheinen, noch dazu in der undankbaren Aufgabe als Sprecherin eines Prologs ... und in dem ganzen großen Berlin verschwanden die wenigen mir freundlich Gesinnten in der Masse.
Auf der Bühne reichten wir uns stumm die Hand. Das Herz war uns zu voll, um reden zu können. Die elf Damen waren weiß, höchst elegant gekleidet, die vierzehn Herren im schwarzen Gesellschaftsanzuge.
Die hohen Herrschaften waren bis auf den König bereits erschienen.
Ein sehr hübsch erdachter, närrischer Vorprolog sollte das Publikum überraschen.
Das Zeichen zum Beginn der Ouverture wurde ge¬ geben -- der Kapellmeister erhob seinen Taktstock ... aber kein Laut ertönte.
Mir war die ſchwerſte Aufgabe zugefallen, — ſelbſt für erfahrene Künſtler eine ſchwierige: den Prolog zu ſprechen.
Mir liegt ein alter, vergilbter Brief an meinen Bruder Louis vor. Dieſe verblaßten Schriftzüge werden jenen Tag am friſcheſten ſchildern:
»Seit zwei Uhr wogte bereits die Menſchenmaſſe auf dem Ochſenmarkte und kaum vermochten wir Schauſpieler uns durchzudrängen. Ich hatte zu Hauſe meine Toilette vollendet, fuhr im geſchloſſenen Wagen über den Platz, und die tauſend neugierigen Augen vermehrten meine Angſt. Mein Herz bebte ſtärker, als in Karlsruhe vor dem erſten entſcheidenden Auftreten. Zum erſten Mal ſollte ich vor dem kunſtſinnigen, aber auch ſtreng richten¬ den Publikum Berlins erſcheinen, noch dazu in der undankbaren Aufgabe als Sprecherin eines Prologs … und in dem ganzen großen Berlin verſchwanden die wenigen mir freundlich Geſinnten in der Maſſe.
Auf der Bühne reichten wir uns ſtumm die Hand. Das Herz war uns zu voll, um reden zu können. Die elf Damen waren weiß, höchſt elegant gekleidet, die vierzehn Herren im ſchwarzen Geſellſchaftsanzuge.
Die hohen Herrſchaften waren bis auf den König bereits erſchienen.
Ein ſehr hübſch erdachter, närriſcher Vorprolog ſollte das Publikum überraſchen.
Das Zeichen zum Beginn der Ouverture wurde ge¬ geben — der Kapellmeiſter erhob ſeinen Taktſtock … aber kein Laut ertönte.
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Mir war die ſchwerſte Aufgabe zugefallen, — ſelbſt
für erfahrene Künſtler eine ſchwierige: den Prolog zu ſprechen.
Mir liegt ein alter, vergilbter Brief an meinen
Bruder Louis vor. Dieſe verblaßten Schriftzüge werden
jenen Tag am friſcheſten ſchildern:
»Seit zwei Uhr wogte bereits die Menſchenmaſſe auf
dem Ochſenmarkte und kaum vermochten wir Schauſpieler
uns durchzudrängen. Ich hatte zu Hauſe meine Toilette
vollendet, fuhr im geſchloſſenen Wagen über den Platz,
und die tauſend neugierigen Augen vermehrten meine
Angſt. Mein Herz bebte ſtärker, als in Karlsruhe vor
dem erſten entſcheidenden Auftreten. Zum erſten Mal
ſollte ich vor dem kunſtſinnigen, aber auch ſtreng richten¬
den Publikum Berlins erſcheinen, noch dazu in der
undankbaren Aufgabe als Sprecherin eines Prologs …
und in dem ganzen großen Berlin verſchwanden die
wenigen mir freundlich Geſinnten in der Maſſe.
Auf der Bühne reichten wir uns ſtumm die Hand.
Das Herz war uns zu voll, um reden zu können. Die
elf Damen waren weiß, höchſt elegant gekleidet, die
vierzehn Herren im ſchwarzen Geſellſchaftsanzuge.
Die hohen Herrſchaften waren bis auf den König
bereits erſchienen.
Ein ſehr hübſch erdachter, närriſcher Vorprolog
ſollte das Publikum überraſchen.
Das Zeichen zum Beginn der Ouverture wurde ge¬
geben — der Kapellmeiſter erhob ſeinen Taktſtock …
aber kein Laut ertönte.
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/81>, abgerufen am 25.11.2024.
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