Fiedel war wohl noch nie so sehr von kleinen Tänzerinnen in Anspruch genommen worden, wie zu dieser Zeit. Es stand ein seltenes Kinderfest bevor. Die Frau Markgräfin gab auf Wunsch ihrer Tochter Elisabeth, Kaiserin von Rußland, die in Karlsruhe zum Besuch und eine große Kinderfreundin war, ihren lieblichen Enkelinnen, Prin¬ zessinnen Cäcilie und Amalie von Schweden, Töchter des unglücklichen vertriebenen Schwedenkönigs, der damals als Oberst Gustafsson still und fast vergessen in Deutsch¬ land lebte, im Schlosse einen fröhlichen Kinderball. Alle 4-10jährigen Töchterchen von Offizieren, höheren Staats¬ beamten und sonstigen Honoratioren von Karlsruhe waren eingeladen. Die größeren Mädchen übten die Tänze als Herren ein. Durch die Generalin von Freistedt erging noch in den letzten Tagen vor dem Fest auch an mich eine Einladung. Wer war glücklicher als ich! "Aber Linchen hat ja kein Ballkleid!" -- dies Bedenken hätte fast meine ganze Freude zerinnen lassen. Doch ich wußte Rath. "Ich habe zu Hause ein wunderhübsches Jungen-Kostüm, denn bis zum vorigen Sommer kleidete mich die Mutter gleich den Brüdern. Der Kittel ist von grünem Percal, dazu weiße Höschen und eine lange grüne Atlas-Schärpe -- das wird mir die Mutter schicken. Da bin ich der einzige Herr unter den Tänzern und Herr Richard sagt, ich tanze am besten von allen kleinen Mädchen als Herr ..." Und die Mutter schickte mein Jungen-Kostüm und dazu funkelnagelneue grüne Atlasschuhe. Ich war selig. Etwas Schöneres auf der Welt, als diese kleinen Schuhe, gab
Erinnerungen etc. 30
Fiedel war wohl noch nie ſo ſehr von kleinen Tänzerinnen in Anſpruch genommen worden, wie zu dieſer Zeit. Es ſtand ein ſeltenes Kinderfeſt bevor. Die Frau Markgräfin gab auf Wunſch ihrer Tochter Eliſabeth, Kaiſerin von Rußland, die in Karlsruhe zum Beſuch und eine große Kinderfreundin war, ihren lieblichen Enkelinnen, Prin¬ zeſſinnen Cäcilie und Amalie von Schweden, Töchter des unglücklichen vertriebenen Schwedenkönigs, der damals als Oberſt Guſtafsſon ſtill und faſt vergeſſen in Deutſch¬ land lebte, im Schloſſe einen fröhlichen Kinderball. Alle 4–10jährigen Töchterchen von Offizieren, höheren Staats¬ beamten und ſonſtigen Honoratioren von Karlsruhe waren eingeladen. Die größeren Mädchen übten die Tänze als Herren ein. Durch die Generalin von Freiſtedt erging noch in den letzten Tagen vor dem Feſt auch an mich eine Einladung. Wer war glücklicher als ich! »Aber Linchen hat ja kein Ballkleid!« — dies Bedenken hätte faſt meine ganze Freude zerinnen laſſen. Doch ich wußte Rath. »Ich habe zu Hauſe ein wunderhübſches Jungen-Koſtüm, denn bis zum vorigen Sommer kleidete mich die Mutter gleich den Brüdern. Der Kittel iſt von grünem Percal, dazu weiße Höschen und eine lange grüne Atlas-Schärpe — das wird mir die Mutter ſchicken. Da bin ich der einzige Herr unter den Tänzern und Herr Richard ſagt, ich tanze am beſten von allen kleinen Mädchen als Herr …« Und die Mutter ſchickte mein Jungen-Koſtüm und dazu funkelnagelneue grüne Atlasſchuhe. Ich war ſelig. Etwas Schöneres auf der Welt, als dieſe kleinen Schuhe, gab
Erinnerungen ꝛc. 30
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Fiedel war wohl noch nie ſo ſehr von kleinen Tänzerinnen
in Anſpruch genommen worden, wie zu dieſer Zeit. Es
ſtand ein ſeltenes Kinderfeſt bevor. Die Frau Markgräfin
gab auf Wunſch ihrer Tochter Eliſabeth, Kaiſerin von
Rußland, die in Karlsruhe zum Beſuch und eine große
Kinderfreundin war, ihren lieblichen Enkelinnen, Prin¬
zeſſinnen Cäcilie und Amalie von Schweden, Töchter des
unglücklichen vertriebenen Schwedenkönigs, der damals
als Oberſt Guſtafsſon ſtill und faſt vergeſſen in Deutſch¬
land lebte, im Schloſſe einen fröhlichen Kinderball. Alle
4–10jährigen Töchterchen von Offizieren, höheren Staats¬
beamten und ſonſtigen Honoratioren von Karlsruhe waren
eingeladen. Die größeren Mädchen übten die Tänze als
Herren ein. Durch die Generalin von Freiſtedt erging
noch in den letzten Tagen vor dem Feſt auch an mich
eine Einladung. Wer war glücklicher als ich! »Aber
Linchen hat ja kein Ballkleid!« — dies Bedenken hätte faſt
meine ganze Freude zerinnen laſſen. Doch ich wußte Rath.
»Ich habe zu Hauſe ein wunderhübſches Jungen-Koſtüm,
denn bis zum vorigen Sommer kleidete mich die Mutter
gleich den Brüdern. Der Kittel iſt von grünem Percal,
dazu weiße Höschen und eine lange grüne Atlas-Schärpe
— das wird mir die Mutter ſchicken. Da bin ich der
einzige Herr unter den Tänzern und Herr Richard ſagt,
ich tanze am beſten von allen kleinen Mädchen als Herr …«
Und die Mutter ſchickte mein Jungen-Koſtüm und dazu
funkelnagelneue grüne Atlasſchuhe. Ich war ſelig. Etwas
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/493>, abgerufen am 22.11.2024.
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