nach Berlin überzusiedeln und die Sommermonate im Park von Sanssouci zu verleben und den König durch sein Talent als Vorleser zu erfreuen!
Tieck's wahre Freunde in Dresden athmeten auf. Diese königliche Gnade war der beste Balsam für das wunde Herz des Vaters. Und auch der alte Dramaturg sollte in Berlin noch eine hohe Freude erleben: der König ließ durch ihn die Antigone mit Mendelssohn's Musik auf¬ führen! Das war seit Jahren ein Lieblingswunsch Tieck's gewesen. Nach Berlin wurde die Antigone auch in Dresden und anderen großen deutschen Theatern aufgeführt.
Was der alte Dramaturg für Dresden gewesen war, empfanden wir erst bei seinem Scheiden. Dresden hatte mit Tieck einen anziehenden Mittelpunkt für das geistige Leben verloren. Die interessanten Fremden und die be¬ deutendsten Träger der einheimischen Kunst und Wissen¬ schaft fanden im Eckhause des Altmarktes nicht mehr das lockende Irrlicht, das es so hübsch verstand, die Geister im brillanten Farbenspiel aufeinander platzen zu lassen. Und Dresdens Bühne -- hat sie je eine glänzendere Zeit gehabt, als unter der Herrschaft Ludwig Tieck's? War dieser Herrscher auch oft launenhaft, eigenwillig, ungerecht -- so überwogen doch die belebenden, leuchtenden Strahlen seines Genies und seiner Liebenswürdigkeit. Und wer herrschte nach Tieck's Scheiden auf Dresdens Bühne? Zunächst ein ästhetischer Theeklub von zartbesaiteten, sogenannten kunstsinnigen Damen, deren Einfluß der In¬ tendant von Lüttichau sich nicht zu entziehen vermochte.
nach Berlin überzuſiedeln und die Sommermonate im Park von Sansſouci zu verleben und den König durch ſein Talent als Vorleſer zu erfreuen!
Tieck's wahre Freunde in Dresden athmeten auf. Dieſe königliche Gnade war der beſte Balſam für das wunde Herz des Vaters. Und auch der alte Dramaturg ſollte in Berlin noch eine hohe Freude erleben: der König ließ durch ihn die Antigone mit Mendelsſohn's Muſik auf¬ führen! Das war ſeit Jahren ein Lieblingswunſch Tieck's geweſen. Nach Berlin wurde die Antigone auch in Dresden und anderen großen deutſchen Theatern aufgeführt.
Was der alte Dramaturg für Dresden geweſen war, empfanden wir erſt bei ſeinem Scheiden. Dresden hatte mit Tieck einen anziehenden Mittelpunkt für das geiſtige Leben verloren. Die intereſſanten Fremden und die be¬ deutendſten Träger der einheimiſchen Kunſt und Wiſſen¬ ſchaft fanden im Eckhauſe des Altmarktes nicht mehr das lockende Irrlicht, das es ſo hübſch verſtand, die Geiſter im brillanten Farbenſpiel aufeinander platzen zu laſſen. Und Dresdens Bühne — hat ſie je eine glänzendere Zeit gehabt, als unter der Herrſchaft Ludwig Tieck's? War dieſer Herrſcher auch oft launenhaft, eigenwillig, ungerecht — ſo überwogen doch die belebenden, leuchtenden Strahlen ſeines Genies und ſeiner Liebenswürdigkeit. Und wer herrſchte nach Tieck's Scheiden auf Dresdens Bühne? Zunächſt ein äſthetiſcher Theeklub von zartbeſaiteten, ſogenannten kunſtſinnigen Damen, deren Einfluß der In¬ tendant von Lüttichau ſich nicht zu entziehen vermochte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0457"n="429"/>
nach Berlin überzuſiedeln und die Sommermonate im<lb/>
Park von Sansſouci zu verleben und den König durch<lb/>ſein Talent als Vorleſer zu erfreuen!</p><lb/><p>Tieck's wahre Freunde in Dresden athmeten auf.<lb/>
Dieſe königliche Gnade war der beſte Balſam für das<lb/>
wunde Herz des Vaters. Und auch der alte Dramaturg<lb/>ſollte in Berlin noch eine hohe Freude erleben: der König<lb/>
ließ durch ihn die Antigone mit Mendelsſohn's Muſik auf¬<lb/>
führen! Das war ſeit Jahren ein Lieblingswunſch Tieck's<lb/>
geweſen. Nach Berlin wurde die Antigone auch in Dresden<lb/>
und anderen großen deutſchen Theatern aufgeführt.</p><lb/><p>Was der alte Dramaturg für Dresden geweſen war,<lb/>
empfanden wir erſt bei ſeinem Scheiden. Dresden hatte<lb/>
mit Tieck einen anziehenden Mittelpunkt für das geiſtige<lb/>
Leben verloren. Die intereſſanten Fremden und die be¬<lb/>
deutendſten Träger der einheimiſchen Kunſt und Wiſſen¬<lb/>ſchaft fanden im Eckhauſe des Altmarktes nicht mehr das<lb/>
lockende Irrlicht, das es ſo hübſch verſtand, die Geiſter<lb/>
im brillanten Farbenſpiel aufeinander platzen zu laſſen.<lb/>
Und Dresdens Bühne — hat ſie je eine glänzendere<lb/>
Zeit gehabt, als unter der Herrſchaft Ludwig Tieck's?<lb/>
War dieſer Herrſcher auch oft launenhaft, eigenwillig,<lb/>
ungerecht —ſo überwogen doch die belebenden, leuchtenden<lb/>
Strahlen ſeines Genies und ſeiner Liebenswürdigkeit. Und<lb/>
wer herrſchte nach Tieck's Scheiden auf Dresdens Bühne?<lb/>
Zunächſt ein äſthetiſcher Theeklub von zartbeſaiteten,<lb/>ſogenannten kunſtſinnigen Damen, deren Einfluß der In¬<lb/>
tendant von Lüttichau ſich nicht zu entziehen vermochte.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[429/0457]
nach Berlin überzuſiedeln und die Sommermonate im
Park von Sansſouci zu verleben und den König durch
ſein Talent als Vorleſer zu erfreuen!
Tieck's wahre Freunde in Dresden athmeten auf.
Dieſe königliche Gnade war der beſte Balſam für das
wunde Herz des Vaters. Und auch der alte Dramaturg
ſollte in Berlin noch eine hohe Freude erleben: der König
ließ durch ihn die Antigone mit Mendelsſohn's Muſik auf¬
führen! Das war ſeit Jahren ein Lieblingswunſch Tieck's
geweſen. Nach Berlin wurde die Antigone auch in Dresden
und anderen großen deutſchen Theatern aufgeführt.
Was der alte Dramaturg für Dresden geweſen war,
empfanden wir erſt bei ſeinem Scheiden. Dresden hatte
mit Tieck einen anziehenden Mittelpunkt für das geiſtige
Leben verloren. Die intereſſanten Fremden und die be¬
deutendſten Träger der einheimiſchen Kunſt und Wiſſen¬
ſchaft fanden im Eckhauſe des Altmarktes nicht mehr das
lockende Irrlicht, das es ſo hübſch verſtand, die Geiſter
im brillanten Farbenſpiel aufeinander platzen zu laſſen.
Und Dresdens Bühne — hat ſie je eine glänzendere
Zeit gehabt, als unter der Herrſchaft Ludwig Tieck's?
War dieſer Herrſcher auch oft launenhaft, eigenwillig,
ungerecht — ſo überwogen doch die belebenden, leuchtenden
Strahlen ſeines Genies und ſeiner Liebenswürdigkeit. Und
wer herrſchte nach Tieck's Scheiden auf Dresdens Bühne?
Zunächſt ein äſthetiſcher Theeklub von zartbeſaiteten,
ſogenannten kunſtſinnigen Damen, deren Einfluß der In¬
tendant von Lüttichau ſich nicht zu entziehen vermochte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/457>, abgerufen am 22.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.