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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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Mutter ging spurlos vorüber und vor dem Fallen des
Vorhanges erregte das Fortschleppen des großen Geld¬
sackes über die kleine Bühne die ungeheuerste Heiterkeit
des lieben Publikums.

Am andern Morgen fand ich Tieck wie verlegen in
seiner Bibliothek. Er begann ein gleichgültiges Gespräch
und schien Erörterungen über den unglückseligen Glöckner
ausweichen zu wollen. Aber herzhaft sagte ich: "Nicht
wahr, Herr Hofrath, unser Spiel war am gestrigen
Fiasko nicht schuld?"

Da zuckte er auf: "Doch! doch! Sie -- sowie alle
Anderen spielten nicht kühn, nicht großartig romantisch
genug. Niemand verstand es, das Publikum zu packen,
zu überwältigen ..."

"Herr Hofrath!" -- rief ich aufflammend, außer
mir: "Nicht uns Schauspieler hat das Publikum aus¬
gelacht, sondern das jammervolle, lächerliche Stück.
Aber Sie -- Sie sind ungerecht ... Und Sie wissen,
daß ich mit Uebernahme der Esmeralda ein Opfer
brachte, um Ihrem und des Intendanten Wunsch zu
entsprechen ... und dies ist mein Dank!" -- Ich brach
in Thränen aus.

Dorothea war in die Bibliothek getreten. Sie nahm
mich in den Arm, zog mir sanft die Hände von den
Augen -- und sagte herzlich: "Sehen Sie doch nur den
Vater an -- er hat Sie ja so lieb ..." Und richtig,
Tieck lächelte mich gütig an: "Bravo, Kind! Wie das
echte Komödiantenblut aufschäumt! Die Esmeralda spielt

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Mutter ging ſpurlos vorüber und vor dem Fallen des
Vorhanges erregte das Fortſchleppen des großen Geld¬
ſackes über die kleine Bühne die ungeheuerſte Heiterkeit
des lieben Publikums.

Am andern Morgen fand ich Tieck wie verlegen in
ſeiner Bibliothek. Er begann ein gleichgültiges Geſpräch
und ſchien Erörterungen über den unglückſeligen Glöckner
ausweichen zu wollen. Aber herzhaft ſagte ich: »Nicht
wahr, Herr Hofrath, unſer Spiel war am geſtrigen
Fiasko nicht ſchuld?«

Da zuckte er auf: »Doch! doch! Sie — ſowie alle
Anderen ſpielten nicht kühn, nicht großartig romantiſch
genug. Niemand verſtand es, das Publikum zu packen,
zu überwältigen …«

»Herr Hofrath!« — rief ich aufflammend, außer
mir: »Nicht uns Schauſpieler hat das Publikum aus¬
gelacht, ſondern das jammervolle, lächerliche Stück.
Aber Sie — Sie ſind ungerecht … Und Sie wiſſen,
daß ich mit Uebernahme der Esmeralda ein Opfer
brachte, um Ihrem und des Intendanten Wunſch zu
entſprechen … und dies iſt mein Dank!« — Ich brach
in Thränen aus.

Dorothea war in die Bibliothek getreten. Sie nahm
mich in den Arm, zog mir ſanft die Hände von den
Augen — und ſagte herzlich: »Sehen Sie doch nur den
Vater an — er hat Sie ja ſo lieb …« Und richtig,
Tieck lächelte mich gütig an: »Bravo, Kind! Wie das
echte Komödiantenblut aufſchäumt! Die Esmeralda ſpielt

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[419/0447] Mutter ging ſpurlos vorüber und vor dem Fallen des Vorhanges erregte das Fortſchleppen des großen Geld¬ ſackes über die kleine Bühne die ungeheuerſte Heiterkeit des lieben Publikums. Am andern Morgen fand ich Tieck wie verlegen in ſeiner Bibliothek. Er begann ein gleichgültiges Geſpräch und ſchien Erörterungen über den unglückſeligen Glöckner ausweichen zu wollen. Aber herzhaft ſagte ich: »Nicht wahr, Herr Hofrath, unſer Spiel war am geſtrigen Fiasko nicht ſchuld?« Da zuckte er auf: »Doch! doch! Sie — ſowie alle Anderen ſpielten nicht kühn, nicht großartig romantiſch genug. Niemand verſtand es, das Publikum zu packen, zu überwältigen …« »Herr Hofrath!« — rief ich aufflammend, außer mir: »Nicht uns Schauſpieler hat das Publikum aus¬ gelacht, ſondern das jammervolle, lächerliche Stück. Aber Sie — Sie ſind ungerecht … Und Sie wiſſen, daß ich mit Uebernahme der Esmeralda ein Opfer brachte, um Ihrem und des Intendanten Wunſch zu entſprechen … und dies iſt mein Dank!« — Ich brach in Thränen aus. Dorothea war in die Bibliothek getreten. Sie nahm mich in den Arm, zog mir ſanft die Hände von den Augen — und ſagte herzlich: »Sehen Sie doch nur den Vater an — er hat Sie ja ſo lieb …« Und richtig, Tieck lächelte mich gütig an: »Bravo, Kind! Wie das echte Komödiantenblut aufſchäumt! Die Esmeralda ſpielt 27 *

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/447>, abgerufen am 15.05.2024.