durfte, empfand ich inniges Mitgefühl mit der alten Dichterfreundin.
Ich kam eines Tages, bald nach jener Aufführung der Zauberflöte, zu ungewohnter Stunde in Tieck's Wohnung. Die alte Dienerin sagte mir, daß Nie¬ mand außer der Gräfin zu Hause sei. Zugleich hörte ich aus dem Zimmer der Gräfin ein altes, harfenartig klingendes Spinett und dazu eine traurige, zarte, zitternde Sopranstimme nach einer alten, wehmüthigen italienischen Kirchenmelodie leise singen:
Lacrimosa,
Dum pendebat filius ...
Schluchzen unterbrach den Gesang oft und beim Weiter¬ singen klang die Stimme thränenverschleiert.
Die alte Dienerin erzählte mir: "Der Herr Hofrath hat's auch nicht gern, wenn die Gräfin singt, da sie immer dabei an ihre frohen Mädchentage und an viele todte Lieben denken und so schmerzlich weinen muß. Doch wenn sie allein zu Hause ist und sich unbelauscht glaubt, eilt sie an's Klavier und spielt und singt die alten Stücke, die sie vor vielen Jahren im Hause ihres Vaters gesungen hat -- und weint still vor sich hin ..."
Der Schlußakkord verhallte langsam, leise, gar zu traurig. Dann hörte ich unterdrücktes Schluchzen ... Ich bat die Dienerin, der Gräfin nicht zu sagen, daß ich ihrem Gesange zugehört habe und eilte tiefergriffen fort.
Arme Gräfin! welches Weh mag oft Dein Herz durchzittert haben -- ein Weh, um so tiefer und schmerz¬
durfte, empfand ich inniges Mitgefühl mit der alten Dichterfreundin.
Ich kam eines Tages, bald nach jener Aufführung der Zauberflöte, zu ungewohnter Stunde in Tieck's Wohnung. Die alte Dienerin ſagte mir, daß Nie¬ mand außer der Gräfin zu Hauſe ſei. Zugleich hörte ich aus dem Zimmer der Gräfin ein altes, harfenartig klingendes Spinett und dazu eine traurige, zarte, zitternde Sopranſtimme nach einer alten, wehmüthigen italieniſchen Kirchenmelodie leiſe ſingen:
Lacrimosa,
Dum pendebat filius …
Schluchzen unterbrach den Geſang oft und beim Weiter¬ ſingen klang die Stimme thränenverſchleiert.
Die alte Dienerin erzählte mir: »Der Herr Hofrath hat's auch nicht gern, wenn die Gräfin ſingt, da ſie immer dabei an ihre frohen Mädchentage und an viele todte Lieben denken und ſo ſchmerzlich weinen muß. Doch wenn ſie allein zu Hauſe iſt und ſich unbelauſcht glaubt, eilt ſie an's Klavier und ſpielt und ſingt die alten Stücke, die ſie vor vielen Jahren im Hauſe ihres Vaters geſungen hat — und weint ſtill vor ſich hin …«
Der Schlußakkord verhallte langſam, leiſe, gar zu traurig. Dann hörte ich unterdrücktes Schluchzen … Ich bat die Dienerin, der Gräfin nicht zu ſagen, daß ich ihrem Geſange zugehört habe und eilte tiefergriffen fort.
Arme Gräfin! welches Weh mag oft Dein Herz durchzittert haben — ein Weh, um ſo tiefer und ſchmerz¬
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durfte, empfand ich inniges Mitgefühl mit der alten
Dichterfreundin.
Ich kam eines Tages, bald nach jener Aufführung
der Zauberflöte, zu ungewohnter Stunde in Tieck's
Wohnung. Die alte Dienerin ſagte mir, daß Nie¬
mand außer der Gräfin zu Hauſe ſei. Zugleich hörte
ich aus dem Zimmer der Gräfin ein altes, harfenartig
klingendes Spinett und dazu eine traurige, zarte, zitternde
Sopranſtimme nach einer alten, wehmüthigen italieniſchen
Kirchenmelodie leiſe ſingen:
Lacrimosa,
Dum pendebat filius …
Schluchzen unterbrach den Geſang oft und beim Weiter¬
ſingen klang die Stimme thränenverſchleiert.
Die alte Dienerin erzählte mir: »Der Herr Hofrath
hat's auch nicht gern, wenn die Gräfin ſingt, da ſie
immer dabei an ihre frohen Mädchentage und an viele
todte Lieben denken und ſo ſchmerzlich weinen muß.
Doch wenn ſie allein zu Hauſe iſt und ſich unbelauſcht
glaubt, eilt ſie an's Klavier und ſpielt und ſingt die
alten Stücke, die ſie vor vielen Jahren im Hauſe ihres
Vaters geſungen hat — und weint ſtill vor ſich hin …«
Der Schlußakkord verhallte langſam, leiſe, gar zu
traurig. Dann hörte ich unterdrücktes Schluchzen …
Ich bat die Dienerin, der Gräfin nicht zu ſagen, daß ich
ihrem Geſange zugehört habe und eilte tiefergriffen fort.
Arme Gräfin! welches Weh mag oft Dein Herz
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/437>, abgerufen am 22.11.2024.
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