Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

einst ihr überschwängliches Entzücken über diese Dichtung
äußerte, sagte Dorothea einfach, ernst: "Ich wünschte,
mein Vater hätte Accorombona nie geschrieben."

Trat Tieck aus seinem Arbeitszimmer unter die
stets zahlreich versammelten Gäste, so glaubte man,
trotz der Gicht, einen Grand Seigneur zu seinem Hof¬
staat herabsteigen zu sehen. Bei aller Würde und Artig¬
keit, mit der er Fremde empfing, lag doch in seinem
ganzen Wesen ein wenig Herablassung, selbst gegen Vor¬
nehme und Berühmtheiten. Prächtig aber gefiel es mir,
wenn der geistvolle Uebersetzer von Shakespeare, der in
alle Feinheiten der Sprache so tief eingedrungen war,
und der das Französische so elegant zu plaudern ver¬
stand, auf die Ansprache der Engländer und Franzosen
in ihrer Muttersprache stets mit seinem Lächeln antwor¬
tete: "Ich spreche nur deutsch!" -- und die Verdutzten
durch den Blick seiner großen, klugen Augen dann
vollends verblüffte.

Unter den oft wiederkehrenden fremden Gästen des
Eckhauses am Altmarkt war mir der liebste: Friedrich
von Raumer, der berühmte Geschichtschreiber der Hohen¬
staufen. Wie geistreich und unterhaltend und dabei doch
so einfach, bescheiden und gemüthlich plauderte er mit dem
jungen lustigen Volk! Auch die ernste, sinnige Dorothea
wurde heiterer, theilnehmender, wenn Raumer bei ihnen
weilte.

Tieck, von der Gicht immer mehr zusammengekrümmt,
verließ seine traute Dichterburg selten. Nur wenn er

einſt ihr überſchwängliches Entzücken über dieſe Dichtung
äußerte, ſagte Dorothea einfach, ernſt: »Ich wünſchte,
mein Vater hätte Accorombona nie geſchrieben.«

Trat Tieck aus ſeinem Arbeitszimmer unter die
ſtets zahlreich verſammelten Gäſte, ſo glaubte man,
trotz der Gicht, einen Grand Seigneur zu ſeinem Hof¬
ſtaat herabſteigen zu ſehen. Bei aller Würde und Artig¬
keit, mit der er Fremde empfing, lag doch in ſeinem
ganzen Weſen ein wenig Herablaſſung, ſelbſt gegen Vor¬
nehme und Berühmtheiten. Prächtig aber gefiel es mir,
wenn der geiſtvolle Ueberſetzer von Shakeſpeare, der in
alle Feinheiten der Sprache ſo tief eingedrungen war,
und der das Franzöſiſche ſo elegant zu plaudern ver¬
ſtand, auf die Anſprache der Engländer und Franzoſen
in ihrer Mutterſprache ſtets mit ſeinem Lächeln antwor¬
tete: »Ich ſpreche nur deutſch!« — und die Verdutzten
durch den Blick ſeiner großen, klugen Augen dann
vollends verblüffte.

Unter den oft wiederkehrenden fremden Gäſten des
Eckhauſes am Altmarkt war mir der liebſte: Friedrich
von Raumer, der berühmte Geſchichtſchreiber der Hohen¬
ſtaufen. Wie geiſtreich und unterhaltend und dabei doch
ſo einfach, beſcheiden und gemüthlich plauderte er mit dem
jungen luſtigen Volk! Auch die ernſte, ſinnige Dorothea
wurde heiterer, theilnehmender, wenn Raumer bei ihnen
weilte.

Tieck, von der Gicht immer mehr zuſammengekrümmt,
verließ ſeine traute Dichterburg ſelten. Nur wenn er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0432" n="404"/>
ein&#x017F;t ihr über&#x017F;chwängliches Entzücken über die&#x017F;e Dichtung<lb/>
äußerte, &#x017F;agte Dorothea einfach, ern&#x017F;t: »Ich wün&#x017F;chte,<lb/>
mein Vater hätte Accorombona nie ge&#x017F;chrieben.«</p><lb/>
        <p>Trat Tieck aus &#x017F;einem Arbeitszimmer unter die<lb/>
&#x017F;tets zahlreich ver&#x017F;ammelten Gä&#x017F;te, &#x017F;o glaubte man,<lb/>
trotz der Gicht, einen Grand Seigneur zu &#x017F;einem Hof¬<lb/>
&#x017F;taat herab&#x017F;teigen zu &#x017F;ehen. Bei aller Würde und Artig¬<lb/>
keit, mit der er Fremde empfing, lag doch in &#x017F;einem<lb/>
ganzen We&#x017F;en ein wenig Herabla&#x017F;&#x017F;ung, &#x017F;elb&#x017F;t gegen Vor¬<lb/>
nehme und Berühmtheiten. Prächtig aber gefiel es mir,<lb/>
wenn der gei&#x017F;tvolle Ueber&#x017F;etzer von Shake&#x017F;peare, der in<lb/>
alle Feinheiten der Sprache &#x017F;o tief eingedrungen war,<lb/>
und der das Franzö&#x017F;i&#x017F;che &#x017F;o elegant zu plaudern ver¬<lb/>
&#x017F;tand, auf die An&#x017F;prache der Engländer und Franzo&#x017F;en<lb/>
in ihrer Mutter&#x017F;prache &#x017F;tets mit &#x017F;einem Lächeln antwor¬<lb/>
tete: »Ich &#x017F;preche nur deut&#x017F;ch!« &#x2014; und die Verdutzten<lb/>
durch den Blick &#x017F;einer großen, klugen Augen dann<lb/>
vollends verblüffte.</p><lb/>
        <p>Unter den oft wiederkehrenden fremden Gä&#x017F;ten des<lb/>
Eckhau&#x017F;es am Altmarkt war mir der lieb&#x017F;te: Friedrich<lb/>
von Raumer, der berühmte Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber der Hohen¬<lb/>
&#x017F;taufen. Wie gei&#x017F;treich und unterhaltend und dabei doch<lb/>
&#x017F;o einfach, be&#x017F;cheiden und gemüthlich plauderte er mit dem<lb/>
jungen lu&#x017F;tigen Volk! Auch die ern&#x017F;te, &#x017F;innige Dorothea<lb/>
wurde heiterer, theilnehmender, wenn Raumer bei ihnen<lb/>
weilte.</p><lb/>
        <p>Tieck, von der Gicht immer mehr zu&#x017F;ammengekrümmt,<lb/>
verließ &#x017F;eine traute Dichterburg &#x017F;elten. Nur wenn er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0432] einſt ihr überſchwängliches Entzücken über dieſe Dichtung äußerte, ſagte Dorothea einfach, ernſt: »Ich wünſchte, mein Vater hätte Accorombona nie geſchrieben.« Trat Tieck aus ſeinem Arbeitszimmer unter die ſtets zahlreich verſammelten Gäſte, ſo glaubte man, trotz der Gicht, einen Grand Seigneur zu ſeinem Hof¬ ſtaat herabſteigen zu ſehen. Bei aller Würde und Artig¬ keit, mit der er Fremde empfing, lag doch in ſeinem ganzen Weſen ein wenig Herablaſſung, ſelbſt gegen Vor¬ nehme und Berühmtheiten. Prächtig aber gefiel es mir, wenn der geiſtvolle Ueberſetzer von Shakeſpeare, der in alle Feinheiten der Sprache ſo tief eingedrungen war, und der das Franzöſiſche ſo elegant zu plaudern ver¬ ſtand, auf die Anſprache der Engländer und Franzoſen in ihrer Mutterſprache ſtets mit ſeinem Lächeln antwor¬ tete: »Ich ſpreche nur deutſch!« — und die Verdutzten durch den Blick ſeiner großen, klugen Augen dann vollends verblüffte. Unter den oft wiederkehrenden fremden Gäſten des Eckhauſes am Altmarkt war mir der liebſte: Friedrich von Raumer, der berühmte Geſchichtſchreiber der Hohen¬ ſtaufen. Wie geiſtreich und unterhaltend und dabei doch ſo einfach, beſcheiden und gemüthlich plauderte er mit dem jungen luſtigen Volk! Auch die ernſte, ſinnige Dorothea wurde heiterer, theilnehmender, wenn Raumer bei ihnen weilte. Tieck, von der Gicht immer mehr zuſammengekrümmt, verließ ſeine traute Dichterburg ſelten. Nur wenn er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/432
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/432>, abgerufen am 15.05.2024.