verzehrender Inbrunst ihrer Aufgabe hin -- und hauchte ihre große, schöne Seele ganz ihren Gestalten, ihren Schöpfungen ein. Das konnte eine so zart und reich besaitete Natur nicht lange ertragen. Aber es lebt augen¬ blicklich noch eine geistige Schwester von Sophie Müller ..."
"Und auf welcher deutschen Bühne?" fiel Tieck ge¬ spannt ein. "Wie heißt sie?"
"Auf keiner deutschen Bühne, Herr Hofrath. Ich meine die Mars vom Theatre francais. Ich habe sie oft -- sehr oft in Paris spielen sehen und jedesmal er¬ innerte sie mich lebhaft an unsere Sophie Müller: durch die Innigkeit des Gefühls, holde Weiblichkeit, süßes Organ und das Maßvolle, Lebenswahre in ihrem ganzen Auftreten und Spiel. Ja, die Mars ist die einzige französische Schauspielerin, die -- echt deutsch spielt und von ihren Landsmänninnen nur die unnachahmliche Grazie und das Moussirende des Esprit adoptirt hat. Die guten Pariser bewundern in ihrer "göttlichen Mars" -- freilich ohne es zu ahnen, denn sonst würde der Stolz der grande nation diese Bewunderung nicht zulassen -- deutsche Kunst, deutsche Seele, deutsches Spiel! -- Besonders erinnerte mich auch die "blinde Valerie" der Mars erschütternd an die blinde Gabriele unserer Sophie Müller. Und ich sah die Mars fünfmal in dieser schweren Rolle. Beide gaben die Blinde -- im Gegensatz zu der sonstigen lang¬ weiligen Auffassung, die uns durch das Monotone, Schleppende, Sentimentale des Spiels die Unglückliche wohl bemitleiden, aber nicht so recht herzlich liebgewinnen
verzehrender Inbrunſt ihrer Aufgabe hin — und hauchte ihre große, ſchöne Seele ganz ihren Geſtalten, ihren Schöpfungen ein. Das konnte eine ſo zart und reich beſaitete Natur nicht lange ertragen. Aber es lebt augen¬ blicklich noch eine geiſtige Schweſter von Sophie Müller …«
»Und auf welcher deutſchen Bühne?« fiel Tieck ge¬ ſpannt ein. »Wie heißt ſie?«
»Auf keiner deutſchen Bühne, Herr Hofrath. Ich meine die Mars vom Théâtre français. Ich habe ſie oft — ſehr oft in Paris ſpielen ſehen und jedesmal er¬ innerte ſie mich lebhaft an unſere Sophie Müller: durch die Innigkeit des Gefühls, holde Weiblichkeit, ſüßes Organ und das Maßvolle, Lebenswahre in ihrem ganzen Auftreten und Spiel. Ja, die Mars iſt die einzige franzöſiſche Schauſpielerin, die — echt deutſch ſpielt und von ihren Landsmänninnen nur die unnachahmliche Grazie und das Mouſſirende des Esprit adoptirt hat. Die guten Pariſer bewundern in ihrer »göttlichen Mars« — freilich ohne es zu ahnen, denn ſonſt würde der Stolz der grande nation dieſe Bewunderung nicht zulaſſen — deutſche Kunſt, deutſche Seele, deutſches Spiel! — Beſonders erinnerte mich auch die »blinde Valerie« der Mars erſchütternd an die blinde Gabriele unſerer Sophie Müller. Und ich ſah die Mars fünfmal in dieſer ſchweren Rolle. Beide gaben die Blinde — im Gegenſatz zu der ſonſtigen lang¬ weiligen Auffaſſung, die uns durch das Monotone, Schleppende, Sentimentale des Spiels die Unglückliche wohl bemitleiden, aber nicht ſo recht herzlich liebgewinnen
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verzehrender Inbrunſt ihrer Aufgabe hin — und hauchte
ihre große, ſchöne Seele ganz ihren Geſtalten, ihren
Schöpfungen ein. Das konnte eine ſo zart und reich
beſaitete Natur nicht lange ertragen. Aber es lebt augen¬
blicklich noch eine geiſtige Schweſter von Sophie Müller …«
»Und auf welcher deutſchen Bühne?« fiel Tieck ge¬
ſpannt ein. »Wie heißt ſie?«
»Auf keiner deutſchen Bühne, Herr Hofrath. Ich
meine die Mars vom Théâtre français. Ich habe ſie
oft — ſehr oft in Paris ſpielen ſehen und jedesmal er¬
innerte ſie mich lebhaft an unſere Sophie Müller: durch
die Innigkeit des Gefühls, holde Weiblichkeit, ſüßes
Organ und das Maßvolle, Lebenswahre in ihrem ganzen
Auftreten und Spiel. Ja, die Mars iſt die einzige
franzöſiſche Schauſpielerin, die — echt deutſch ſpielt und
von ihren Landsmänninnen nur die unnachahmliche Grazie
und das Mouſſirende des Esprit adoptirt hat. Die guten
Pariſer bewundern in ihrer »göttlichen Mars« — freilich
ohne es zu ahnen, denn ſonſt würde der Stolz der grande
nation dieſe Bewunderung nicht zulaſſen — deutſche Kunſt,
deutſche Seele, deutſches Spiel! — Beſonders erinnerte
mich auch die »blinde Valerie« der Mars erſchütternd
an die blinde Gabriele unſerer Sophie Müller. Und ich
ſah die Mars fünfmal in dieſer ſchweren Rolle. Beide
gaben die Blinde — im Gegenſatz zu der ſonſtigen lang¬
weiligen Auffaſſung, die uns durch das Monotone,
Schleppende, Sentimentale des Spiels die Unglückliche
wohl bemitleiden, aber nicht ſo recht herzlich liebgewinnen
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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