Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Lustspiel, haben Sie mich wahrhaft überrascht. Das
war ja eine Tragödie, wie sie im Buche steht: edel, tief
empfunden -- und nicht gespielt, sondern gelebt!"

"Ein herrlicher Künstler und Mensch!" sagte Tieck
gedankenvoll, wie in Erinnerung versunken. "Nach dem
genialen Fleck und meiner großen Bethmann bewunderte
ich in Berlin das Wolff'sche Ehepaar am meisten. Das
waren noch echte Komödianten aus der guten alten
Schule -- mit Leib und Seele ihren so hochgehaltenen
Brettern angehörend. Alexander Wolff's Tod ist ein
unersetzlicher Verlust, nicht nur für Berlin -- sondern
für das ganze deutsche Theater."

"Und doch, Herr Hofrath, seit ich Ihren herrlichen Emil
Devrient als Tasso gesehen habe ..." Aber ich blieb stecken,
Tieck sah mich mit so eigenen, großen Cäsar-Augen an, als
wollte er sagen: "Auch Du, Brutus -- und jetzt schon?"

Zugleich mahnte mich ein freundschaftliches Ellbogen-
Memento Sternberg's daran, daß Emil Devrient in
diesen Räumen eine persona ingrata.

"Haben Sie jemals Sophie Müller gesehen, die so
früh von der Kunst und von uns scheiden mußte?" --
fragte Tieck plötzlich, die peinliche Pause endend. "Wer
hätte gedacht, als sie hier in Dresden die blinde Valerie
so rührend, so innig, so erschütternd ... und so einfach
wahr gab, daß sich diese schönen, klugen, seelenvollen
Augen so bald auf immer schließen sollten ..."

"Ich sah sie als Kind in Karlsruhe und dann in
Berlin. Sie hat sich zu Tode gespielt. Sie gab sich mit

Erinnerungen etc. 24

Luſtſpiel, haben Sie mich wahrhaft überraſcht. Das
war ja eine Tragödie, wie ſie im Buche ſteht: edel, tief
empfunden — und nicht geſpielt, ſondern gelebt

»Ein herrlicher Künſtler und Menſch!« ſagte Tieck
gedankenvoll, wie in Erinnerung verſunken. »Nach dem
genialen Fleck und meiner großen Bethmann bewunderte
ich in Berlin das Wolff'ſche Ehepaar am meiſten. Das
waren noch echte Komödianten aus der guten alten
Schule — mit Leib und Seele ihren ſo hochgehaltenen
Brettern angehörend. Alexander Wolff's Tod iſt ein
unerſetzlicher Verluſt, nicht nur für Berlin — ſondern
für das ganze deutſche Theater.«

»Und doch, Herr Hofrath, ſeit ich Ihren herrlichen Emil
Devrient als Taſſo geſehen habe …« Aber ich blieb ſtecken,
Tieck ſah mich mit ſo eigenen, großen Cäſar-Augen an, als
wollte er ſagen: »Auch Du, Brutus — und jetzt ſchon?«

Zugleich mahnte mich ein freundſchaftliches Ellbogen-
Memento Sternberg's daran, daß Emil Devrient in
dieſen Räumen eine persona ingrata.

»Haben Sie jemals Sophie Müller geſehen, die ſo
früh von der Kunſt und von uns ſcheiden mußte?« —
fragte Tieck plötzlich, die peinliche Pauſe endend. »Wer
hätte gedacht, als ſie hier in Dresden die blinde Valerie
ſo rührend, ſo innig, ſo erſchütternd … und ſo einfach
wahr gab, daß ſich dieſe ſchönen, klugen, ſeelenvollen
Augen ſo bald auf immer ſchließen ſollten …«

»Ich ſah ſie als Kind in Karlsruhe und dann in
Berlin. Sie hat ſich zu Tode geſpielt. Sie gab ſich mit

Erinnerungen ꝛc. 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0397" n="369"/>
Lu&#x017F;t&#x017F;piel, haben Sie mich wahrhaft überra&#x017F;cht. Das<lb/>
war ja eine Tragödie, wie &#x017F;ie im Buche &#x017F;teht: edel, tief<lb/>
empfunden &#x2014; und nicht ge&#x017F;pielt, &#x017F;ondern <hi rendition="#g">gelebt</hi></p><lb/>
        <p>»Ein herrlicher Kün&#x017F;tler und Men&#x017F;ch!« &#x017F;agte Tieck<lb/>
gedankenvoll, wie in Erinnerung ver&#x017F;unken. »Nach dem<lb/>
genialen Fleck und meiner großen Bethmann bewunderte<lb/>
ich in Berlin das Wolff'&#x017F;che Ehepaar am mei&#x017F;ten. Das<lb/>
waren noch echte Komödianten aus der guten alten<lb/>
Schule &#x2014; mit Leib und Seele ihren &#x017F;o hochgehaltenen<lb/>
Brettern angehörend. Alexander Wolff's Tod i&#x017F;t ein<lb/>
uner&#x017F;etzlicher Verlu&#x017F;t, nicht nur für Berlin &#x2014; &#x017F;ondern<lb/>
für das ganze deut&#x017F;che Theater.«</p><lb/>
        <p>»Und doch, Herr Hofrath, &#x017F;eit ich Ihren herrlichen Emil<lb/>
Devrient als Ta&#x017F;&#x017F;o ge&#x017F;ehen habe &#x2026;« Aber ich blieb &#x017F;tecken,<lb/>
Tieck &#x017F;ah mich mit &#x017F;o eigenen, großen Cä&#x017F;ar-Augen an, als<lb/>
wollte er &#x017F;agen: »Auch Du, Brutus &#x2014; und jetzt &#x017F;chon?«</p><lb/>
        <p>Zugleich mahnte mich ein freund&#x017F;chaftliches Ellbogen-<lb/>
Memento Sternberg's daran, daß Emil Devrient in<lb/>
die&#x017F;en Räumen eine <hi rendition="#aq">persona ingrata.</hi></p><lb/>
        <p>»Haben Sie jemals Sophie Müller ge&#x017F;ehen, die &#x017F;o<lb/>
früh von der Kun&#x017F;t und von uns &#x017F;cheiden mußte?« &#x2014;<lb/>
fragte Tieck plötzlich, die peinliche Pau&#x017F;e endend. »Wer<lb/>
hätte gedacht, als &#x017F;ie hier in Dresden die blinde Valerie<lb/>
&#x017F;o rührend, &#x017F;o innig, &#x017F;o er&#x017F;chütternd &#x2026; und &#x017F;o einfach<lb/>
wahr gab, daß &#x017F;ich die&#x017F;e &#x017F;chönen, klugen, &#x017F;eelenvollen<lb/>
Augen &#x017F;o bald auf immer &#x017F;chließen &#x017F;ollten &#x2026;«</p><lb/>
        <p>»Ich &#x017F;ah &#x017F;ie als Kind in Karlsruhe und dann in<lb/>
Berlin. Sie hat &#x017F;ich zu Tode ge&#x017F;pielt. Sie gab &#x017F;ich mit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Erinnerungen &#xA75B;c. 24<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0397] Luſtſpiel, haben Sie mich wahrhaft überraſcht. Das war ja eine Tragödie, wie ſie im Buche ſteht: edel, tief empfunden — und nicht geſpielt, ſondern gelebt!« »Ein herrlicher Künſtler und Menſch!« ſagte Tieck gedankenvoll, wie in Erinnerung verſunken. »Nach dem genialen Fleck und meiner großen Bethmann bewunderte ich in Berlin das Wolff'ſche Ehepaar am meiſten. Das waren noch echte Komödianten aus der guten alten Schule — mit Leib und Seele ihren ſo hochgehaltenen Brettern angehörend. Alexander Wolff's Tod iſt ein unerſetzlicher Verluſt, nicht nur für Berlin — ſondern für das ganze deutſche Theater.« »Und doch, Herr Hofrath, ſeit ich Ihren herrlichen Emil Devrient als Taſſo geſehen habe …« Aber ich blieb ſtecken, Tieck ſah mich mit ſo eigenen, großen Cäſar-Augen an, als wollte er ſagen: »Auch Du, Brutus — und jetzt ſchon?« Zugleich mahnte mich ein freundſchaftliches Ellbogen- Memento Sternberg's daran, daß Emil Devrient in dieſen Räumen eine persona ingrata. »Haben Sie jemals Sophie Müller geſehen, die ſo früh von der Kunſt und von uns ſcheiden mußte?« — fragte Tieck plötzlich, die peinliche Pauſe endend. »Wer hätte gedacht, als ſie hier in Dresden die blinde Valerie ſo rührend, ſo innig, ſo erſchütternd … und ſo einfach wahr gab, daß ſich dieſe ſchönen, klugen, ſeelenvollen Augen ſo bald auf immer ſchließen ſollten …« »Ich ſah ſie als Kind in Karlsruhe und dann in Berlin. Sie hat ſich zu Tode geſpielt. Sie gab ſich mit Erinnerungen ꝛc. 24

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/397
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/397>, abgerufen am 22.11.2024.