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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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mer für die Bühne. Ich mußte ihm in Karlsruhe
manchmal vorlesen. Er war einmal außer sich, daß ich
die Marianne in den "Geschwistern" von Goethe so ge¬
fühllos auffaßte, und besonders die Worte: "Wilhelm!
was war das für ein Kuß?" -- gesprochen hätte, wie:
"Wilhelm! -- wie viel Uhr ist es?"

Ich begrüßte ihn mit der heiteren Frage: "Haben
Sie mir jetzt verziehen, was ich als Marianne ge¬
sündigt?"

"Immer noch so muthwillig?" lächelte Sternberg.
"Aber lasen Sie wirklich nicht absichtlich so gefühllos?"

"Die Hand auf's Herz, Herr Baron, nein! Noch
jetzt will mir die Phrase nicht gelingen, und stammt sie
auch aus Goethe's Feder. Ueberhaupt ist mir die Ma¬
rianne nie recht sympathisch geworden. Und -- seien
wir mal ehrlich: Würden "die Geschwister" heute
noch lebensfähig auf der Bühne sein, wenn nicht der
Name Goethe auf dem Zettel stände?"

"Aber Kind, woher haben Sie nur diese gottlosen
revolutionären Ideen? Aus dem bösen Peterburg?"

Lachend zeigte ich auf meine Stirn.

"Ja, Herr Baron, sie hat immer noch ihren un¬
vorsichtigen Kindskopf!" seufzte die Mutter.

Zu meiner Freude erfuhr ich, daß Sternberg mit
Tieck traulich verkehre. Er versprach, mich dem Dra¬
maturgen vorzustellen.

Bei Tisch hatten wir einen lieben Gast: Baron von
Maltitz, der wegen seines Stücks: "Der alte Student"

mer für die Bühne. Ich mußte ihm in Karlsruhe
manchmal vorleſen. Er war einmal außer ſich, daß ich
die Marianne in den »Geſchwiſtern« von Goethe ſo ge¬
fühllos auffaßte, und beſonders die Worte: »Wilhelm!
was war das für ein Kuß?« — geſprochen hätte, wie:
»Wilhelm! — wie viel Uhr iſt es?«

Ich begrüßte ihn mit der heiteren Frage: »Haben
Sie mir jetzt verziehen, was ich als Marianne ge¬
ſündigt?«

»Immer noch ſo muthwillig?« lächelte Sternberg.
»Aber laſen Sie wirklich nicht abſichtlich ſo gefühllos?«

»Die Hand auf's Herz, Herr Baron, nein! Noch
jetzt will mir die Phraſe nicht gelingen, und ſtammt ſie
auch aus Goethe's Feder. Ueberhaupt iſt mir die Ma¬
rianne nie recht ſympathiſch geworden. Und — ſeien
wir mal ehrlich: Würden »die Geſchwiſter« heute
noch lebensfähig auf der Bühne ſein, wenn nicht der
Name Goethe auf dem Zettel ſtände?«

»Aber Kind, woher haben Sie nur dieſe gottloſen
revolutionären Ideen? Aus dem böſen Peterburg?«

Lachend zeigte ich auf meine Stirn.

»Ja, Herr Baron, ſie hat immer noch ihren un¬
vorſichtigen Kindskopf!« ſeufzte die Mutter.

Zu meiner Freude erfuhr ich, daß Sternberg mit
Tieck traulich verkehre. Er verſprach, mich dem Dra¬
maturgen vorzuſtellen.

Bei Tiſch hatten wir einen lieben Gaſt: Baron von
Maltitz, der wegen ſeines Stücks: »Der alte Student«

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[343/0371] mer für die Bühne. Ich mußte ihm in Karlsruhe manchmal vorleſen. Er war einmal außer ſich, daß ich die Marianne in den »Geſchwiſtern« von Goethe ſo ge¬ fühllos auffaßte, und beſonders die Worte: »Wilhelm! was war das für ein Kuß?« — geſprochen hätte, wie: »Wilhelm! — wie viel Uhr iſt es?« Ich begrüßte ihn mit der heiteren Frage: »Haben Sie mir jetzt verziehen, was ich als Marianne ge¬ ſündigt?« »Immer noch ſo muthwillig?« lächelte Sternberg. »Aber laſen Sie wirklich nicht abſichtlich ſo gefühllos?« »Die Hand auf's Herz, Herr Baron, nein! Noch jetzt will mir die Phraſe nicht gelingen, und ſtammt ſie auch aus Goethe's Feder. Ueberhaupt iſt mir die Ma¬ rianne nie recht ſympathiſch geworden. Und — ſeien wir mal ehrlich: Würden »die Geſchwiſter« heute noch lebensfähig auf der Bühne ſein, wenn nicht der Name Goethe auf dem Zettel ſtände?« »Aber Kind, woher haben Sie nur dieſe gottloſen revolutionären Ideen? Aus dem böſen Peterburg?« Lachend zeigte ich auf meine Stirn. »Ja, Herr Baron, ſie hat immer noch ihren un¬ vorſichtigen Kindskopf!« ſeufzte die Mutter. Zu meiner Freude erfuhr ich, daß Sternberg mit Tieck traulich verkehre. Er verſprach, mich dem Dra¬ maturgen vorzuſtellen. Bei Tiſch hatten wir einen lieben Gaſt: Baron von Maltitz, der wegen ſeines Stücks: »Der alte Student«

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/371>, abgerufen am 22.11.2024.