Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

-- ich bei meinen vierundsiebenzig Jahren. Aber ich hoffe,
Sie werden auch jetzt, so lange die Sonne der Gnade
über Ihnen scheinen wird, mit den Verstoßenen in Freund¬
schaft leben!"

Ich dankte dem liebenswürdigen, wohlwollenden
Greise herzlich für seine Theilnahme und seinen Rath
und versprach, ihn treu zu befolgen. Ich bat ihn die
Mutter zu besuchen, die noch viel von seinem jungen
Petersburger Freunde zu erzählen hätte, und gelobte,
trotz der verheißenen Tieck'schen Gnadensonne, noch recht
oft die vielen Treppen zu dem alten in Ungnade Ge¬
fallenen hinaufzuklettern, wenn ich -- in Dresden ein
Engagement fände. Das habe ich auch gehalten. Aber
es war mir nur ein Jahr vergönnt. Da starb der liebens¬
würdige Böttiger -- und er hat es richtig nicht mehr
erlebt, daß auch ich bei Tieck -- in Ungnade fiel.

Von Böttiger ging ich zunächst zum Hofrath Winkler,
Theater-Intendant unter dem russisch-preußischen Gouver¬
nement, jetzt Herausgeber der "Abendzeitung" und unter
dem Pseudonym "Theodor Hell" gewandter Uebersetzer
der beliebtesten französischen Theaterstücke. Er wohnte
auf dem Altmarkte in einem Eckhause, Tieck gegenüber.

Die schöne Frau Hofräthin empfing mich auf die
zuvorkommendste Weise. Sie hatte schon vernommen,
daß ich im Theater gewesen war und so aufmerksam zu¬
gehört hatte, daß die Mutter so mild und vornehm aus¬
sähe, sogar: daß ich einen wunderhübschen Hut mit wei¬
ßen Rosen aufgehabt ...

— ich bei meinen vierundſiebenzig Jahren. Aber ich hoffe,
Sie werden auch jetzt, ſo lange die Sonne der Gnade
über Ihnen ſcheinen wird, mit den Verſtoßenen in Freund¬
ſchaft leben!«

Ich dankte dem liebenswürdigen, wohlwollenden
Greiſe herzlich für ſeine Theilnahme und ſeinen Rath
und verſprach, ihn treu zu befolgen. Ich bat ihn die
Mutter zu beſuchen, die noch viel von ſeinem jungen
Petersburger Freunde zu erzählen hätte, und gelobte,
trotz der verheißenen Tieck'ſchen Gnadenſonne, noch recht
oft die vielen Treppen zu dem alten in Ungnade Ge¬
fallenen hinaufzuklettern, wenn ich — in Dresden ein
Engagement fände. Das habe ich auch gehalten. Aber
es war mir nur ein Jahr vergönnt. Da ſtarb der liebens¬
würdige Böttiger — und er hat es richtig nicht mehr
erlebt, daß auch ich bei Tieck — in Ungnade fiel.

Von Böttiger ging ich zunächſt zum Hofrath Winkler,
Theater-Intendant unter dem ruſſiſch-preußiſchen Gouver¬
nement, jetzt Herausgeber der »Abendzeitung« und unter
dem Pſeudonym »Theodor Hell« gewandter Ueberſetzer
der beliebteſten franzöſiſchen Theaterſtücke. Er wohnte
auf dem Altmarkte in einem Eckhauſe, Tieck gegenüber.

Die ſchöne Frau Hofräthin empfing mich auf die
zuvorkommendſte Weiſe. Sie hatte ſchon vernommen,
daß ich im Theater geweſen war und ſo aufmerkſam zu¬
gehört hatte, daß die Mutter ſo mild und vornehm aus¬
ſähe, ſogar: daß ich einen wunderhübſchen Hut mit wei¬
ßen Roſen aufgehabt …

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0368" n="340"/>
&#x2014; ich bei meinen vierund&#x017F;iebenzig Jahren. Aber ich hoffe,<lb/>
Sie werden auch jetzt, &#x017F;o lange die Sonne der Gnade<lb/>
über Ihnen &#x017F;cheinen wird, mit den Ver&#x017F;toßenen in Freund¬<lb/>
&#x017F;chaft leben!«</p><lb/>
        <p>Ich dankte dem liebenswürdigen, wohlwollenden<lb/>
Grei&#x017F;e herzlich für &#x017F;eine Theilnahme und &#x017F;einen Rath<lb/>
und ver&#x017F;prach, ihn treu zu befolgen. Ich bat ihn die<lb/>
Mutter zu be&#x017F;uchen, die noch viel von &#x017F;einem jungen<lb/>
Petersburger Freunde zu erzählen hätte, und gelobte,<lb/>
trotz der verheißenen Tieck'&#x017F;chen Gnaden&#x017F;onne, noch recht<lb/>
oft die vielen Treppen zu dem alten in Ungnade Ge¬<lb/>
fallenen hinaufzuklettern, wenn ich &#x2014; in Dresden ein<lb/>
Engagement fände. Das habe ich auch gehalten. Aber<lb/>
es war mir nur ein Jahr vergönnt. Da &#x017F;tarb der liebens¬<lb/>
würdige Böttiger &#x2014; und er hat es richtig nicht mehr<lb/>
erlebt, daß auch ich bei Tieck &#x2014; in Ungnade fiel.</p><lb/>
        <p>Von Böttiger ging ich zunäch&#x017F;t zum Hofrath Winkler,<lb/>
Theater-Intendant unter dem ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ch-preußi&#x017F;chen Gouver¬<lb/>
nement, jetzt Herausgeber der »Abendzeitung« und unter<lb/>
dem P&#x017F;eudonym »Theodor Hell« gewandter Ueber&#x017F;etzer<lb/>
der beliebte&#x017F;ten franzö&#x017F;i&#x017F;chen Theater&#x017F;tücke. Er wohnte<lb/>
auf dem Altmarkte in einem Eckhau&#x017F;e, Tieck gegenüber.</p><lb/>
        <p>Die &#x017F;chöne Frau Hofräthin empfing mich auf die<lb/>
zuvorkommend&#x017F;te Wei&#x017F;e. Sie hatte &#x017F;chon vernommen,<lb/>
daß ich im Theater gewe&#x017F;en war und &#x017F;o aufmerk&#x017F;am zu¬<lb/>
gehört hatte, daß die Mutter &#x017F;o mild und vornehm aus¬<lb/>
&#x017F;ähe, &#x017F;ogar: daß ich einen wunderhüb&#x017F;chen Hut mit wei¬<lb/>
ßen Ro&#x017F;en aufgehabt &#x2026;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0368] — ich bei meinen vierundſiebenzig Jahren. Aber ich hoffe, Sie werden auch jetzt, ſo lange die Sonne der Gnade über Ihnen ſcheinen wird, mit den Verſtoßenen in Freund¬ ſchaft leben!« Ich dankte dem liebenswürdigen, wohlwollenden Greiſe herzlich für ſeine Theilnahme und ſeinen Rath und verſprach, ihn treu zu befolgen. Ich bat ihn die Mutter zu beſuchen, die noch viel von ſeinem jungen Petersburger Freunde zu erzählen hätte, und gelobte, trotz der verheißenen Tieck'ſchen Gnadenſonne, noch recht oft die vielen Treppen zu dem alten in Ungnade Ge¬ fallenen hinaufzuklettern, wenn ich — in Dresden ein Engagement fände. Das habe ich auch gehalten. Aber es war mir nur ein Jahr vergönnt. Da ſtarb der liebens¬ würdige Böttiger — und er hat es richtig nicht mehr erlebt, daß auch ich bei Tieck — in Ungnade fiel. Von Böttiger ging ich zunächſt zum Hofrath Winkler, Theater-Intendant unter dem ruſſiſch-preußiſchen Gouver¬ nement, jetzt Herausgeber der »Abendzeitung« und unter dem Pſeudonym »Theodor Hell« gewandter Ueberſetzer der beliebteſten franzöſiſchen Theaterſtücke. Er wohnte auf dem Altmarkte in einem Eckhauſe, Tieck gegenüber. Die ſchöne Frau Hofräthin empfing mich auf die zuvorkommendſte Weiſe. Sie hatte ſchon vernommen, daß ich im Theater geweſen war und ſo aufmerkſam zu¬ gehört hatte, daß die Mutter ſo mild und vornehm aus¬ ſähe, ſogar: daß ich einen wunderhübſchen Hut mit wei¬ ßen Roſen aufgehabt …

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/368
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/368>, abgerufen am 18.05.2024.