Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Witthauer sitzt im -- Magen -- -- schlechte Verdauung
-- ergo Hypochondrie -- ergo ..."

"Herr Dr. Witthauer", meldete Sepperl und seine
Angströhre gab zugleich triumphirend zwei Billets zur
Knillwurst her.

Und der geschätzte Jugendfreund aus Berlin stand
vor uns. Aber war das derselbe blühende, lebensfrische,
fröhliche Witthauer, -- vor neun Jahren das belebende
Element aller Gesellschaften in der Stadt der Intelligenz
und der ästhetischen Thees? Er sah blaß, müde, schwer¬
müthig aus. Er freute sich sichtbar unseres Wiedersehens,
aber der alte heitere Herzenston wollte nicht wieder an¬
klingen.

Da sagte ich betrübt über diese Veränderung: "Und
muß ich Sie denn daran erinnern, daß heute der 28. Mai
ist ... und daß mich heute vor neun Jahren unter der
Ueberfülle von Geschenken, Blumen und Gedichten nichts
so sehr erfreute, als ein Rosenstock mit hundert Blüthen
und Knospen und einem Rosablättchen mit den Worten:
"Ein armer Gelehrter hat auf Ihren Lebensweg nur
Blumen zu streuen ..."

"Ist's möglich -- heut Ihr Geburtstag -- und
ich konnte den vergessen ..." und sein Auge war
feucht.

Da wußte ich, daß der Sitz seiner Schwermuth
doch nicht im Magen war ...

Armer Freund! Er ist nie wieder froh geworden,
wie damals, als wir mit einander die hundert Knospen

Witthauer ſitzt im — Magen — — ſchlechte Verdauung
ergo Hypochondrie — ergo …«

»Herr Dr. Witthauer«, meldete Sepperl und ſeine
Angſtröhre gab zugleich triumphirend zwei Billets zur
Knillwurſt her.

Und der geſchätzte Jugendfreund aus Berlin ſtand
vor uns. Aber war das derſelbe blühende, lebensfriſche,
fröhliche Witthauer, — vor neun Jahren das belebende
Element aller Geſellſchaften in der Stadt der Intelligenz
und der äſthetiſchen Thees? Er ſah blaß, müde, ſchwer¬
müthig aus. Er freute ſich ſichtbar unſeres Wiederſehens,
aber der alte heitere Herzenston wollte nicht wieder an¬
klingen.

Da ſagte ich betrübt über dieſe Veränderung: »Und
muß ich Sie denn daran erinnern, daß heute der 28. Mai
iſt … und daß mich heute vor neun Jahren unter der
Ueberfülle von Geſchenken, Blumen und Gedichten nichts
ſo ſehr erfreute, als ein Roſenſtock mit hundert Blüthen
und Knoſpen und einem Roſablättchen mit den Worten:
»Ein armer Gelehrter hat auf Ihren Lebensweg nur
Blumen zu ſtreuen …«

»Iſt's möglich — heut Ihr Geburtstag — und
ich konnte den vergeſſen …« und ſein Auge war
feucht.

Da wußte ich, daß der Sitz ſeiner Schwermuth
doch nicht im Magen war …

Armer Freund! Er iſt nie wieder froh geworden,
wie damals, als wir mit einander die hundert Knoſpen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0286" n="258"/>
Witthauer &#x017F;itzt im &#x2014; Magen &#x2014; &#x2014; &#x017F;chlechte Verdauung<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#aq">ergo</hi> Hypochondrie &#x2014; <hi rendition="#aq">ergo</hi> &#x2026;«</p><lb/>
        <p>»Herr <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Witthauer«, meldete Sepperl und &#x017F;eine<lb/>
Ang&#x017F;tröhre gab zugleich triumphirend zwei Billets zur<lb/>
Knillwur&#x017F;t her.</p><lb/>
        <p>Und der ge&#x017F;chätzte Jugendfreund aus Berlin &#x017F;tand<lb/>
vor uns. Aber war das der&#x017F;elbe blühende, lebensfri&#x017F;che,<lb/>
fröhliche Witthauer, &#x2014; vor neun Jahren das belebende<lb/>
Element aller Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften in der Stadt der Intelligenz<lb/>
und der ä&#x017F;theti&#x017F;chen Thees? Er &#x017F;ah blaß, müde, &#x017F;chwer¬<lb/>
müthig aus. Er freute &#x017F;ich &#x017F;ichtbar un&#x017F;eres Wieder&#x017F;ehens,<lb/>
aber der alte heitere Herzenston wollte nicht wieder an¬<lb/>
klingen.</p><lb/>
        <p>Da &#x017F;agte ich betrübt über die&#x017F;e Veränderung: »Und<lb/>
muß ich Sie denn daran erinnern, daß heute der 28. Mai<lb/>
i&#x017F;t &#x2026; und daß mich heute vor neun Jahren unter der<lb/>
Ueberfülle von Ge&#x017F;chenken, Blumen und Gedichten nichts<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr erfreute, als ein Ro&#x017F;en&#x017F;tock mit hundert Blüthen<lb/>
und Kno&#x017F;pen und einem Ro&#x017F;ablättchen mit den Worten:<lb/>
»Ein armer Gelehrter hat auf Ihren Lebensweg nur<lb/>
Blumen zu &#x017F;treuen &#x2026;«</p><lb/>
        <p>»I&#x017F;t's möglich &#x2014; heut Ihr Geburtstag &#x2014; und<lb/>
ich konnte den verge&#x017F;&#x017F;en &#x2026;« und &#x017F;ein Auge war<lb/>
feucht.</p><lb/>
        <p>Da wußte ich, daß der Sitz &#x017F;einer Schwermuth<lb/>
doch nicht im Magen war &#x2026;</p><lb/>
        <p>Armer Freund! Er i&#x017F;t nie wieder froh geworden,<lb/>
wie damals, als wir mit einander die hundert Kno&#x017F;pen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0286] Witthauer ſitzt im — Magen — — ſchlechte Verdauung — ergo Hypochondrie — ergo …« »Herr Dr. Witthauer«, meldete Sepperl und ſeine Angſtröhre gab zugleich triumphirend zwei Billets zur Knillwurſt her. Und der geſchätzte Jugendfreund aus Berlin ſtand vor uns. Aber war das derſelbe blühende, lebensfriſche, fröhliche Witthauer, — vor neun Jahren das belebende Element aller Geſellſchaften in der Stadt der Intelligenz und der äſthetiſchen Thees? Er ſah blaß, müde, ſchwer¬ müthig aus. Er freute ſich ſichtbar unſeres Wiederſehens, aber der alte heitere Herzenston wollte nicht wieder an¬ klingen. Da ſagte ich betrübt über dieſe Veränderung: »Und muß ich Sie denn daran erinnern, daß heute der 28. Mai iſt … und daß mich heute vor neun Jahren unter der Ueberfülle von Geſchenken, Blumen und Gedichten nichts ſo ſehr erfreute, als ein Roſenſtock mit hundert Blüthen und Knoſpen und einem Roſablättchen mit den Worten: »Ein armer Gelehrter hat auf Ihren Lebensweg nur Blumen zu ſtreuen …« »Iſt's möglich — heut Ihr Geburtstag — und ich konnte den vergeſſen …« und ſein Auge war feucht. Da wußte ich, daß der Sitz ſeiner Schwermuth doch nicht im Magen war … Armer Freund! Er iſt nie wieder froh geworden, wie damals, als wir mit einander die hundert Knoſpen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/286
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/286>, abgerufen am 17.05.2024.