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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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-- kein Schluchzen unterbrach das dumpfe, eintönige
Rollen der Todtenwagen ... Rasch, geheimnißvoll schlang
sich der unübersehbare Zug dem Kirchhofe zu, und eiligst
wurden Hohe und Niedrige, Reiche und Arme in weite,
gemeinschaftliche Gruben versenkt und mit Kalk über¬
schüttet ...

Beim ersten Morgengrauen, wie im Hamlet, wenn
sein Vater das markerschütternde "Ade! Ade! Gedenke
mein!" ruft, verstummte das dumpfschaurige Getön, ver¬
schwanden Wagen und Gestalten ... Man konnte andern
Tages wähnen, geträumt zu haben ... Man athmete
auf -- -- bis zur nächsten Mitternachtsstunde, wo sich
dieser grauenhafte Spuk wiederholte ...

Und dazu immer vergebliches Hoffen der Russen auf
die Siegesnachricht von der Erstürmung Warschau's --
auf Frieden!

Ein noch trüberer Schleier legte sich über Peters¬
burg, als Großfürst Konstantin begraben wurde. Wer
dieses Leichenbegängniß mit ansah, hat es sicher nie wieder
vergessen. Es regnete; die Popen in den langen Röcken
und plumpen Stiefeln schleppten sich schwerfällig dem
Leichenwagen nach. Der Kaiser erschien mit seiner Suite
zu Pferd; sein Gesicht war marmorblaß und kalt. Eine
Menge Volks sah gleichgültig den Bruder seines Czaren
bestatten ...

Man hatte Konstantin in Petersburg nicht geliebt,
darum betrauerte man ihn auch nicht. Er hatte dem
Thron entsagt, um die Erwählte seines Herzens heirathen

— kein Schluchzen unterbrach das dumpfe, eintönige
Rollen der Todtenwagen … Raſch, geheimnißvoll ſchlang
ſich der unüberſehbare Zug dem Kirchhofe zu, und eiligſt
wurden Hohe und Niedrige, Reiche und Arme in weite,
gemeinſchaftliche Gruben verſenkt und mit Kalk über¬
ſchüttet …

Beim erſten Morgengrauen, wie im Hamlet, wenn
ſein Vater das markerſchütternde »Ade! Ade! Gedenke
mein!« ruft, verſtummte das dumpfſchaurige Getön, ver¬
ſchwanden Wagen und Geſtalten … Man konnte andern
Tages wähnen, geträumt zu haben … Man athmete
auf — — bis zur nächſten Mitternachtsſtunde, wo ſich
dieſer grauenhafte Spuk wiederholte …

Und dazu immer vergebliches Hoffen der Ruſſen auf
die Siegesnachricht von der Erſtürmung Warſchau's —
auf Frieden!

Ein noch trüberer Schleier legte ſich über Peters¬
burg, als Großfürſt Konſtantin begraben wurde. Wer
dieſes Leichenbegängniß mit anſah, hat es ſicher nie wieder
vergeſſen. Es regnete; die Popen in den langen Röcken
und plumpen Stiefeln ſchleppten ſich ſchwerfällig dem
Leichenwagen nach. Der Kaiſer erſchien mit ſeiner Suite
zu Pferd; ſein Geſicht war marmorblaß und kalt. Eine
Menge Volks ſah gleichgültig den Bruder ſeines Czaren
beſtatten …

Man hatte Konſtantin in Petersburg nicht geliebt,
darum betrauerte man ihn auch nicht. Er hatte dem
Thron entſagt, um die Erwählte ſeines Herzens heirathen

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[208/0236] — kein Schluchzen unterbrach das dumpfe, eintönige Rollen der Todtenwagen … Raſch, geheimnißvoll ſchlang ſich der unüberſehbare Zug dem Kirchhofe zu, und eiligſt wurden Hohe und Niedrige, Reiche und Arme in weite, gemeinſchaftliche Gruben verſenkt und mit Kalk über¬ ſchüttet … Beim erſten Morgengrauen, wie im Hamlet, wenn ſein Vater das markerſchütternde »Ade! Ade! Gedenke mein!« ruft, verſtummte das dumpfſchaurige Getön, ver¬ ſchwanden Wagen und Geſtalten … Man konnte andern Tages wähnen, geträumt zu haben … Man athmete auf — — bis zur nächſten Mitternachtsſtunde, wo ſich dieſer grauenhafte Spuk wiederholte … Und dazu immer vergebliches Hoffen der Ruſſen auf die Siegesnachricht von der Erſtürmung Warſchau's — auf Frieden! Ein noch trüberer Schleier legte ſich über Peters¬ burg, als Großfürſt Konſtantin begraben wurde. Wer dieſes Leichenbegängniß mit anſah, hat es ſicher nie wieder vergeſſen. Es regnete; die Popen in den langen Röcken und plumpen Stiefeln ſchleppten ſich ſchwerfällig dem Leichenwagen nach. Der Kaiſer erſchien mit ſeiner Suite zu Pferd; ſein Geſicht war marmorblaß und kalt. Eine Menge Volks ſah gleichgültig den Bruder ſeines Czaren beſtatten … Man hatte Konſtantin in Petersburg nicht geliebt, darum betrauerte man ihn auch nicht. Er hatte dem Thron entſagt, um die Erwählte ſeines Herzens heirathen

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/236>, abgerufen am 02.05.2024.