nehmer als vor drei Jahren, da wir die russichen Ver¬ hältnisse noch nicht kannten.
Wir stiegen damals in einem großen Hotel ab, das uns brieflich empfohlen war. Der Direktor des deutschen Theaters, Herr von Helmersen, erwartete uns, begleitet von seinem Faktotum, Herrn Damier, über dessen Bei¬ hülfe beim Aufsuchen einer Wohnung er uns zu verfügen bat; "denn," setzte er hinzu, "hier können Sie nicht wohnen."
"Warum nicht?" fragte ich verwundert. "Wir sind ja doch in einem Gasthofe ..."
"Weil die russischen Familien ihre Betten und Köche stets mitbringen!"
"Also giebts in diesem Gasthofe kein Bett für uns und nichts zu essen?"
"Nein!"
"Sehr tröstlich!"
Helmersen, um in Rücksicht seines Alters seinen völligen Mangel an Energie so schonend wie möglich zu bezeichnen, war ein sanfter, lieber, in diesem Augenblick nur von einer Idee beherrschter Mann, nämlich der meines Auftretens bei Hofe ... und das mußte morgen geschehen, denn übermorgen reiste die kaiserliche Familie nach der Krim ab.
Und so dachte Helmersen weder an unsere Müdigkeit, noch an eine Tasse Kaffee, -- sondern sobald er mich sah, rief er schier athemlos:
"Eilen Sie schnell zum Fürsten Wolkonski, nein, erst zum Oberkammerherrn der Kaiserin, um den
nehmer als vor drei Jahren, da wir die ruſſichen Ver¬ hältniſſe noch nicht kannten.
Wir ſtiegen damals in einem großen Hotel ab, das uns brieflich empfohlen war. Der Direktor des deutſchen Theaters, Herr von Helmerſen, erwartete uns, begleitet von ſeinem Faktotum, Herrn Damier, über deſſen Bei¬ hülfe beim Aufſuchen einer Wohnung er uns zu verfügen bat; »denn,« ſetzte er hinzu, »hier können Sie nicht wohnen.«
»Warum nicht?« fragte ich verwundert. »Wir ſind ja doch in einem Gaſthofe …«
»Weil die ruſſiſchen Familien ihre Betten und Köche ſtets mitbringen!«
»Alſo giebts in dieſem Gaſthofe kein Bett für uns und nichts zu eſſen?«
»Nein!«
»Sehr tröſtlich!«
Helmerſen, um in Rückſicht ſeines Alters ſeinen völligen Mangel an Energie ſo ſchonend wie möglich zu bezeichnen, war ein ſanfter, lieber, in dieſem Augenblick nur von einer Idee beherrſchter Mann, nämlich der meines Auftretens bei Hofe … und das mußte morgen geſchehen, denn übermorgen reiſte die kaiſerliche Familie nach der Krim ab.
Und ſo dachte Helmerſen weder an unſere Müdigkeit, noch an eine Taſſe Kaffee, — ſondern ſobald er mich ſah, rief er ſchier athemlos:
»Eilen Sie ſchnell zum Fürſten Wolkonski, nein, erſt zum Oberkammerherrn der Kaiſerin, um den
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[192/0220]
nehmer als vor drei Jahren, da wir die ruſſichen Ver¬
hältniſſe noch nicht kannten.
Wir ſtiegen damals in einem großen Hotel ab, das
uns brieflich empfohlen war. Der Direktor des deutſchen
Theaters, Herr von Helmerſen, erwartete uns, begleitet
von ſeinem Faktotum, Herrn Damier, über deſſen Bei¬
hülfe beim Aufſuchen einer Wohnung er uns zu verfügen
bat; »denn,« ſetzte er hinzu, »hier können Sie nicht wohnen.«
»Warum nicht?« fragte ich verwundert. »Wir ſind
ja doch in einem Gaſthofe …«
»Weil die ruſſiſchen Familien ihre Betten und Köche
ſtets mitbringen!«
»Alſo giebts in dieſem Gaſthofe kein Bett für uns
und nichts zu eſſen?«
»Nein!«
»Sehr tröſtlich!«
Helmerſen, um in Rückſicht ſeines Alters ſeinen
völligen Mangel an Energie ſo ſchonend wie möglich zu
bezeichnen, war ein ſanfter, lieber, in dieſem Augenblick
nur von einer Idee beherrſchter Mann, nämlich der
meines Auftretens bei Hofe … und das mußte morgen
geſchehen, denn übermorgen reiſte die kaiſerliche Familie
nach der Krim ab.
Und ſo dachte Helmerſen weder an unſere Müdigkeit,
noch an eine Taſſe Kaffee, — ſondern ſobald er mich
ſah, rief er ſchier athemlos:
»Eilen Sie ſchnell zum Fürſten Wolkonski, nein,
erſt zum Oberkammerherrn der Kaiſerin, um den
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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/220>, abgerufen am 22.11.2024.
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