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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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"Garcinsky ist sicher mit in den Fluten der Weichsel
begraben," sagte ich leise und traurig zur Mutter.

"Sehen Sie doch nicht so nachdenklich traurig aus,
das ist hier gefährlich!" flüsterte mir ein Landsmann zu,
der Komiker Walter, der berühmte Staberl-Spieler,
ebenfalls in Riga gastirend, -- "man beobachtet Sie
schon ... Und: "Hurrah! Hurrah!" rief er laut, --
"Es lebe der Kaiser! nun werden immer mehr Sieges¬
nachrichten eintreffen ..."


Die Weiterreise nach Petersburg war sehr un¬
erquicklich und anstrengend.

Nichts ermüdet die Sehnerven in dem Grade, als
immerwährende Ebenen. Ein Dorf glich im Aussehen
dem andern; saubere, zierlich gebaute Holzhäuser, wenig
Leben, Alles still, man möchte sagen schlummerartig!
In den Stationslokalen fanden wir überall große Zimmer
und mit schwarzem Leder überzogene Sophas; die Wirths¬
leute und Posthalter waren höflich, sprachen auch deutsch,
aber sie erschienen mir theilnahmlos, stumpf, gleichsam
resignirt im ewigen Einerlei ohne Wunsch und Klage
dahinvegetirend. Als ein schöner Menschenschlag zeichneten
sich die Bauern aus, vor Allem die Männer mit ihren
gutmüthigen, freundlichen Physiognomien. Die Frauen,
obwohl auch von blühender Gesichtsfarbe, hatten nicht so
regelmäßige Züge, aus den Augen sprach wenig Intelli¬
genz, auch waren sie meistens zu stark, beinahe plump

»Garcinsky iſt ſicher mit in den Fluten der Weichſel
begraben,« ſagte ich leiſe und traurig zur Mutter.

»Sehen Sie doch nicht ſo nachdenklich traurig aus,
das iſt hier gefährlich!« flüſterte mir ein Landsmann zu,
der Komiker Walter, der berühmte Staberl-Spieler,
ebenfalls in Riga gaſtirend, — »man beobachtet Sie
ſchon … Und: »Hurrah! Hurrah!« rief er laut, —
»Es lebe der Kaiſer! nun werden immer mehr Sieges¬
nachrichten eintreffen …«


Die Weiterreiſe nach Petersburg war ſehr un¬
erquicklich und anſtrengend.

Nichts ermüdet die Sehnerven in dem Grade, als
immerwährende Ebenen. Ein Dorf glich im Ausſehen
dem andern; ſaubere, zierlich gebaute Holzhäuſer, wenig
Leben, Alles ſtill, man möchte ſagen ſchlummerartig!
In den Stationslokalen fanden wir überall große Zimmer
und mit ſchwarzem Leder überzogene Sophas; die Wirths¬
leute und Poſthalter waren höflich, ſprachen auch deutſch,
aber ſie erſchienen mir theilnahmlos, ſtumpf, gleichſam
reſignirt im ewigen Einerlei ohne Wunſch und Klage
dahinvegetirend. Als ein ſchöner Menſchenſchlag zeichneten
ſich die Bauern aus, vor Allem die Männer mit ihren
gutmüthigen, freundlichen Phyſiognomien. Die Frauen,
obwohl auch von blühender Geſichtsfarbe, hatten nicht ſo
regelmäßige Züge, aus den Augen ſprach wenig Intelli¬
genz, auch waren ſie meiſtens zu ſtark, beinahe plump

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[190/0218] »Garcinsky iſt ſicher mit in den Fluten der Weichſel begraben,« ſagte ich leiſe und traurig zur Mutter. »Sehen Sie doch nicht ſo nachdenklich traurig aus, das iſt hier gefährlich!« flüſterte mir ein Landsmann zu, der Komiker Walter, der berühmte Staberl-Spieler, ebenfalls in Riga gaſtirend, — »man beobachtet Sie ſchon … Und: »Hurrah! Hurrah!« rief er laut, — »Es lebe der Kaiſer! nun werden immer mehr Sieges¬ nachrichten eintreffen …« Die Weiterreiſe nach Petersburg war ſehr un¬ erquicklich und anſtrengend. Nichts ermüdet die Sehnerven in dem Grade, als immerwährende Ebenen. Ein Dorf glich im Ausſehen dem andern; ſaubere, zierlich gebaute Holzhäuſer, wenig Leben, Alles ſtill, man möchte ſagen ſchlummerartig! In den Stationslokalen fanden wir überall große Zimmer und mit ſchwarzem Leder überzogene Sophas; die Wirths¬ leute und Poſthalter waren höflich, ſprachen auch deutſch, aber ſie erſchienen mir theilnahmlos, ſtumpf, gleichſam reſignirt im ewigen Einerlei ohne Wunſch und Klage dahinvegetirend. Als ein ſchöner Menſchenſchlag zeichneten ſich die Bauern aus, vor Allem die Männer mit ihren gutmüthigen, freundlichen Phyſiognomien. Die Frauen, obwohl auch von blühender Geſichtsfarbe, hatten nicht ſo regelmäßige Züge, aus den Augen ſprach wenig Intelli¬ genz, auch waren ſie meiſtens zu ſtark, beinahe plump

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/218>, abgerufen am 02.05.2024.