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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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Regentropfen fielen die Worte langsam -- eintönig von
den blassen Lippen. Sie sagte mir durchaus kein un¬
freundliches Wort -- sie sprach verständig, gebildet und
mit einer gewissen stolzen Sicherheit ... aber ich fühlte
mich in ihrer Marmornähe mit erstarren und kürzte den
Besuch ab.

Und doch, wie bewundere ich die vierzigjährige Frau
noch heute auf den Brettern als Iphigenie, als Elvira
im Don Juan, als Fee in Spontini's Nurmahal und
vor Allem als Alceste ... die junonische, plastisch schöne
Gestalt, das tragische Spiel, der Zauber der metall¬
reichsten, süßesten Stimme! ... Sie soll auch im bürger¬
lichen Leben gut und sehr wohlthätig sein ... aber die
Grazien standen nicht an ihrer Wiege -- oder -- was
muß dies Herz erlebt haben, ehe es so erstarren konnte!

Spontini könnte als Pendant zur Milder dienen,
was die Theilnahmlosigkeit, das kalte zurückhaltende Wesen
betrifft. Nur muß Letztere mit einer edlen Marmorstatue,
und Spontini mit einer Wachsfigur verglichen werden.

Der italienische Maestro hat unschöne Züge, gelb¬
weißlichen Teint, trägt große Vatermörder, immense
weiße Halsbinde, in welche sein Kinn stets zu versinken
droht. Die schwarzen Haare sind als ungewöhnlich hoher
Titus auffrisirt, die Nase flach, der Mund breit. Die
hagere Gestalt sieht vornehm aus, besonders wenn Spon¬
tini vor dem Dirigenten-Pult steht und äußerst graziös
den kleinen Stab schwingt. Er steht beim Könige in
großer Gunst -- beim Publikum aber fast gar nicht.

Regentropfen fielen die Worte langſam — eintönig von
den blaſſen Lippen. Sie ſagte mir durchaus kein un¬
freundliches Wort — ſie ſprach verſtändig, gebildet und
mit einer gewiſſen ſtolzen Sicherheit … aber ich fühlte
mich in ihrer Marmornähe mit erſtarren und kürzte den
Beſuch ab.

Und doch, wie bewundere ich die vierzigjährige Frau
noch heute auf den Brettern als Iphigenie, als Elvira
im Don Juan, als Fee in Spontini's Nurmahal und
vor Allem als Alceſte … die junoniſche, plaſtiſch ſchöne
Geſtalt, das tragiſche Spiel, der Zauber der metall¬
reichſten, ſüßeſten Stimme! … Sie ſoll auch im bürger¬
lichen Leben gut und ſehr wohlthätig ſein … aber die
Grazien ſtanden nicht an ihrer Wiege — oder — was
muß dies Herz erlebt haben, ehe es ſo erſtarren konnte!

Spontini könnte als Pendant zur Milder dienen,
was die Theilnahmloſigkeit, das kalte zurückhaltende Weſen
betrifft. Nur muß Letztere mit einer edlen Marmorſtatue,
und Spontini mit einer Wachsfigur verglichen werden.

Der italieniſche Maeſtro hat unſchöne Züge, gelb¬
weißlichen Teint, trägt große Vatermörder, immenſe
weiße Halsbinde, in welche ſein Kinn ſtets zu verſinken
droht. Die ſchwarzen Haare ſind als ungewöhnlich hoher
Titus auffriſirt, die Naſe flach, der Mund breit. Die
hagere Geſtalt ſieht vornehm aus, beſonders wenn Spon¬
tini vor dem Dirigenten-Pult ſteht und äußerſt graziös
den kleinen Stab ſchwingt. Er ſteht beim Könige in
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[93/0121] Regentropfen fielen die Worte langſam — eintönig von den blaſſen Lippen. Sie ſagte mir durchaus kein un¬ freundliches Wort — ſie ſprach verſtändig, gebildet und mit einer gewiſſen ſtolzen Sicherheit … aber ich fühlte mich in ihrer Marmornähe mit erſtarren und kürzte den Beſuch ab. Und doch, wie bewundere ich die vierzigjährige Frau noch heute auf den Brettern als Iphigenie, als Elvira im Don Juan, als Fee in Spontini's Nurmahal und vor Allem als Alceſte … die junoniſche, plaſtiſch ſchöne Geſtalt, das tragiſche Spiel, der Zauber der metall¬ reichſten, ſüßeſten Stimme! … Sie ſoll auch im bürger¬ lichen Leben gut und ſehr wohlthätig ſein … aber die Grazien ſtanden nicht an ihrer Wiege — oder — was muß dies Herz erlebt haben, ehe es ſo erſtarren konnte! Spontini könnte als Pendant zur Milder dienen, was die Theilnahmloſigkeit, das kalte zurückhaltende Weſen betrifft. Nur muß Letztere mit einer edlen Marmorſtatue, und Spontini mit einer Wachsfigur verglichen werden. Der italieniſche Maeſtro hat unſchöne Züge, gelb¬ weißlichen Teint, trägt große Vatermörder, immenſe weiße Halsbinde, in welche ſein Kinn ſtets zu verſinken droht. Die ſchwarzen Haare ſind als ungewöhnlich hoher Titus auffriſirt, die Naſe flach, der Mund breit. Die hagere Geſtalt ſieht vornehm aus, beſonders wenn Spon¬ tini vor dem Dirigenten-Pult ſteht und äußerſt graziös den kleinen Stab ſchwingt. Er ſteht beim Könige in großer Gunſt — beim Publikum aber faſt gar nicht.

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/121>, abgerufen am 23.11.2024.