Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Wurm*) erstirbt, lebt der denkende Geist auch hienieden
bereits in jenen transcendentalen Welten ewiger Unendlichkeit,
die er zu ahnen befähigt, und so im Sehnsuchts-Streben auch
zu erweisen vermag, als neue Heimath des eigenen Selbst.

Das eidolon ist der von dem soma (als Leichnam) in
die Unterwelt geworfene Schatten, jetzt dort (wie früher der
Leib) die psukhe einschliessend (und dieser beim Herunter-
steigen angebildet), während Heracles als autos (leib-
haftiger) unter den Göttern weilt, und Menelaos (neben
Rhadamanthys) die Unsterblichkeit in den elysäischen Feldern
geniesst, in Hades dagegen, wo Minos sein Richtamt unter
den Todten (bei Homer) und über sie (bei Pindar) fortsetzt,
Teiresias durch die phrenes **) empedoi zur Erkennung des
Odysseus befähigt wird, schon vor dem Bluttrinken, dessen
auch Elpenor (weil sein Körper noch nicht verbrannt ist)
nicht bedarf, um mit ihm zu sprechen. Die aristokratischen
Egi-Seelen Tonga's kehrten zum Hofstaat ihres Ahnengottes
in Bolotu zurück, also zur Heimath, von der sie ausgefahren.
Der Negersklave erhängt sich in solcher Hoffnung.

Indem der Indianer von seinem Lebenstraum***) ein
Geheimniss für mysteriöse Entwickelung auf die Natur ge-
wonnen hat, kann er dieses individuelle Eigenthum auch im

*) Der aus dem Grabe hervorkriechende Wurm weist dem Australier
die Richtung an, wo der Todesfeind zu suchen. Der Leichnam empfindet
den Wurm, der an ihm nagt (nach Schabbath) und wurde, um davor
bewahrt zu werden, aus Liebe gefressen, am Orinoco sowohl, wie (zu Darius
Zeit) in Indien (oder auf Sumatra). Der Todesgott Mawet nagte die Todten
(im Scheol), als Wurm (bei dem Indier), und so Nidhöggr (bei Scandi-
naviern), oder der Leichenwurm Madagascar's.
**) The Tasmanians imagined that some spiritual agency slipped down
a gum tree at their camp fire at night, crept behind a sleeper, stole his
kidney fat and so occasioned his removal to the land of shades (Bonwick).
***) Diese mystische Communication steigerte sich in dem Priester,
als Manitou siou oder Wankanwacipi (those knowing divine things and
dreamers of the gods) bei Algonkin und Dacota (s. Brinton).

dem Wurm*) erstirbt, lebt der denkende Geist auch hienieden
bereits in jenen transcendentalen Welten ewiger Unendlichkeit,
die er zu ahnen befähigt, und so im Sehnsuchts-Streben auch
zu erweisen vermag, als neue Heimath des eigenen Selbst.

Das εἴδωλον ist der von dem σῶμα (als Leichnam) in
die Unterwelt geworfene Schatten, jetzt dort (wie früher der
Leib) die ψυχή einschliessend (und dieser beim Herunter-
steigen angebildet), während Heracles als αὐτός (leib-
haftiger) unter den Göttern weilt, und Menelaos (neben
Rhadamanthys) die Unsterblichkeit in den elysäischen Feldern
geniesst, in Hades dagegen, wo Minos sein Richtamt unter
den Todten (bei Homer) und über sie (bei Pindar) fortsetzt,
Teiresias durch die φρένες **) ἔμπεδοι zur Erkennung des
Odysseus befähigt wird, schon vor dem Bluttrinken, dessen
auch Elpenor (weil sein Körper noch nicht verbrannt ist)
nicht bedarf, um mit ihm zu sprechen. Die aristokratischen
Egi-Seelen Tonga’s kehrten zum Hofstaat ihres Ahnengottes
in Bolotu zurück, also zur Heimath, von der sie ausgefahren.
Der Negersklave erhängt sich in solcher Hoffnung.

Indem der Indianer von seinem Lebenstraum***) ein
Geheimniss für mysteriöse Entwickelung auf die Natur ge-
wonnen hat, kann er dieses individuelle Eigenthum auch im

*) Der aus dem Grabe hervorkriechende Wurm weist dem Australier
die Richtung an, wo der Todesfeind zu suchen. Der Leichnam empfindet
den Wurm, der an ihm nagt (nach Schabbath) und wurde, um davor
bewahrt zu werden, aus Liebe gefressen, am Orinoco sowohl, wie (zu Darius
Zeit) in Indien (oder auf Sumatra). Der Todesgott Mawet nagte die Todten
(im Scheol), als Wurm (bei dem Indier), und so Nidhöggr (bei Scandi-
naviern), oder der Leichenwurm Madagascar’s.
**) The Tasmanians imagined that some spiritual agency slipped down
a gum tree at their camp fire at night, crept behind a sleeper, stole his
kidney fat and so occasioned his removal to the land of shades (Bonwick).
***) Diese mystische Communication steigerte sich in dem Priester,
als Manitou siou oder Wankanwacipi (those knowing divine things and
dreamers of the gods) bei Algonkin und Dacota (s. Brinton).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="42"/>
dem Wurm<note place="foot" n="*)">Der aus dem Grabe hervorkriechende Wurm weist dem Australier<lb/>
die Richtung an, wo der Todesfeind zu suchen. Der Leichnam empfindet<lb/>
den Wurm, der an ihm nagt (nach Schabbath) und wurde, um davor<lb/>
bewahrt zu werden, aus Liebe gefressen, am Orinoco sowohl, wie (zu Darius<lb/>
Zeit) in Indien (oder auf Sumatra). Der Todesgott Mawet nagte die Todten<lb/>
(im Scheol), als Wurm (bei dem Indier), und so Nidhöggr (bei Scandi-<lb/>
naviern), oder der Leichenwurm Madagascar&#x2019;s.</note> erstirbt, lebt der denkende Geist auch hienieden<lb/>
bereits in jenen transcendentalen Welten ewiger Unendlichkeit,<lb/>
die er zu ahnen befähigt, und so im Sehnsuchts-Streben auch<lb/>
zu erweisen vermag, als neue Heimath des eigenen Selbst.</p><lb/>
        <p>Das &#x03B5;&#x1F34;&#x03B4;&#x03C9;&#x03BB;&#x03BF;&#x03BD; ist der von dem &#x03C3;&#x1FF6;&#x03BC;&#x03B1; (als Leichnam) in<lb/>
die Unterwelt geworfene Schatten, jetzt dort (wie früher der<lb/>
Leib) die &#x03C8;&#x03C5;&#x03C7;&#x03AE; einschliessend (und dieser beim Herunter-<lb/>
steigen angebildet), während Heracles als &#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03CC;&#x03C2; (leib-<lb/>
haftiger) unter den Göttern weilt, und Menelaos (neben<lb/>
Rhadamanthys) die Unsterblichkeit in den elysäischen Feldern<lb/>
geniesst, in Hades dagegen, wo Minos sein Richtamt unter<lb/>
den Todten (bei Homer) und über sie (bei Pindar) fortsetzt,<lb/>
Teiresias durch die &#x03C6;&#x03C1;&#x03AD;&#x03BD;&#x03B5;&#x03C2; <note place="foot" n="**)">The Tasmanians imagined that some spiritual agency slipped down<lb/>
a gum tree at their camp fire at night, crept behind a sleeper, stole his<lb/>
kidney fat and so occasioned his removal to the land of shades (Bonwick).</note> &#x1F14;&#x03BC;&#x03C0;&#x03B5;&#x03B4;&#x03BF;&#x03B9; zur Erkennung des<lb/>
Odysseus befähigt wird, schon vor dem Bluttrinken, dessen<lb/>
auch Elpenor (weil sein Körper noch nicht verbrannt ist)<lb/>
nicht bedarf, um mit ihm zu sprechen. Die aristokratischen<lb/>
Egi-Seelen Tonga&#x2019;s kehrten zum Hofstaat ihres Ahnengottes<lb/>
in Bolotu zurück, also zur Heimath, von der sie ausgefahren.<lb/>
Der Negersklave erhängt sich in solcher Hoffnung.</p><lb/>
        <p>Indem der Indianer von seinem Lebenstraum<note place="foot" n="***)">Diese mystische Communication steigerte sich in dem Priester,<lb/>
als Manitou siou oder Wankanwacipi (those knowing divine things and<lb/>
dreamers of the gods) bei Algonkin und Dacota (s. Brinton).</note> ein<lb/>
Geheimniss für mysteriöse Entwickelung auf die Natur ge-<lb/>
wonnen hat, kann er dieses individuelle Eigenthum auch im<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0076] dem Wurm *) erstirbt, lebt der denkende Geist auch hienieden bereits in jenen transcendentalen Welten ewiger Unendlichkeit, die er zu ahnen befähigt, und so im Sehnsuchts-Streben auch zu erweisen vermag, als neue Heimath des eigenen Selbst. Das εἴδωλον ist der von dem σῶμα (als Leichnam) in die Unterwelt geworfene Schatten, jetzt dort (wie früher der Leib) die ψυχή einschliessend (und dieser beim Herunter- steigen angebildet), während Heracles als αὐτός (leib- haftiger) unter den Göttern weilt, und Menelaos (neben Rhadamanthys) die Unsterblichkeit in den elysäischen Feldern geniesst, in Hades dagegen, wo Minos sein Richtamt unter den Todten (bei Homer) und über sie (bei Pindar) fortsetzt, Teiresias durch die φρένες **) ἔμπεδοι zur Erkennung des Odysseus befähigt wird, schon vor dem Bluttrinken, dessen auch Elpenor (weil sein Körper noch nicht verbrannt ist) nicht bedarf, um mit ihm zu sprechen. Die aristokratischen Egi-Seelen Tonga’s kehrten zum Hofstaat ihres Ahnengottes in Bolotu zurück, also zur Heimath, von der sie ausgefahren. Der Negersklave erhängt sich in solcher Hoffnung. Indem der Indianer von seinem Lebenstraum ***) ein Geheimniss für mysteriöse Entwickelung auf die Natur ge- wonnen hat, kann er dieses individuelle Eigenthum auch im *) Der aus dem Grabe hervorkriechende Wurm weist dem Australier die Richtung an, wo der Todesfeind zu suchen. Der Leichnam empfindet den Wurm, der an ihm nagt (nach Schabbath) und wurde, um davor bewahrt zu werden, aus Liebe gefressen, am Orinoco sowohl, wie (zu Darius Zeit) in Indien (oder auf Sumatra). Der Todesgott Mawet nagte die Todten (im Scheol), als Wurm (bei dem Indier), und so Nidhöggr (bei Scandi- naviern), oder der Leichenwurm Madagascar’s. **) The Tasmanians imagined that some spiritual agency slipped down a gum tree at their camp fire at night, crept behind a sleeper, stole his kidney fat and so occasioned his removal to the land of shades (Bonwick). ***) Diese mystische Communication steigerte sich in dem Priester, als Manitou siou oder Wankanwacipi (those knowing divine things and dreamers of the gods) bei Algonkin und Dacota (s. Brinton).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/76
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/76>, abgerufen am 22.11.2024.