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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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mythischen Frühmorgens daraus vertrieben sind (und ehe
noch die Kraft genugsam gewachsen, um den in das Unend-
liche fortstreichenden Tangenten zu folgen). Vorläufig ist
das an sich Gegebene entgegenzunehmen, um die Total-
bedeutung aus den Verhältnisswerthen (die sich, mit fort-
schreitender Auflösung der Unbekannten, in Formeln fixiren
lassen) herauszurechnen. Wenn dann einst ein höherer Calcül
(für psychologische Arithmetik) erfunden, wird sich auch das
Uebrige schon finden.

Die Gesellschaft nun (die in ihrer Morphologie auf
Familie, Stamm, Staat, in ihrer Biologie auf Sippe, Volk,
Nation führen würde) steht, ob gross oder klein, überall
vor Augen, wo dieses den Menschen schaut, denn in der
Realität existirt dieser als Gesellschaftswesen, als Einzelwesen*)
nur in der Abstraction, und noch in der Paarung, der für
Arterhaltung erforderlichen Ehe, kaum sporadisch (von
der Bedeutung als Theilgrösse innerhalb höherer Ganzen
abgesehen).

Mancherlei Missverständnisse entstehen hier aus unbe-
stimmter Terminologie, wie in Verwendung von "Stamm"
(Clan, Geschlecht, Bande u. s. w.), für Tribus und Phyle
(von Curie und Phratrie abgesehen) für genos (ganas) und
gens, dann auch aus den in der Behandlung der Cultur-
geschichte nächstvorliegenden Prototypen in der römischen
Gens (und ihrer patria potestas mit den daraus fliessenden
Folgen), da gerade diese einen auffälligen (einen für das
Uebergewicht der dadurch bedingten Geschichtsentwickelung
desto bedeutungsvolleren) Ausnahmsfall unter der ungeheuren
Masse des in der Ethnologie zusammenströmenden Beweis-
materials bildet, mit äusserst wenigen Coincidenzen (wie bei

*) Die Nation ist Ein Wesen sowohl wie der Einzelne (W. v. Hum-
boldt). Wenn die Individuen von einem Geist bewegt sind, dem kein
Einzelner sich eigen und auch keiner sich fremd fühlt, so mögen sie ihn
ansehen, wie eine Seele, die in ihnen Allem, in ihrer Gesammtheit lebt
(s. Herbart), als beseelte Gesellschaft (oder Volksseele).

mythischen Frühmorgens daraus vertrieben sind (und ehe
noch die Kraft genugsam gewachsen, um den in das Unend-
liche fortstreichenden Tangenten zu folgen). Vorläufig ist
das an sich Gegebene entgegenzunehmen, um die Total-
bedeutung aus den Verhältnisswerthen (die sich, mit fort-
schreitender Auflösung der Unbekannten, in Formeln fixiren
lassen) herauszurechnen. Wenn dann einst ein höherer Calcül
(für psychologische Arithmetik) erfunden, wird sich auch das
Uebrige schon finden.

Die Gesellschaft nun (die in ihrer Morphologie auf
Familie, Stamm, Staat, in ihrer Biologie auf Sippe, Volk,
Nation führen würde) steht, ob gross oder klein, überall
vor Augen, wo dieses den Menschen schaut, denn in der
Realität existirt dieser als Gesellschaftswesen, als Einzelwesen*)
nur in der Abstraction, und noch in der Paarung, der für
Arterhaltung erforderlichen Ehe, kaum sporadisch (von
der Bedeutung als Theilgrösse innerhalb höherer Ganzen
abgesehen).

Mancherlei Missverständnisse entstehen hier aus unbe-
stimmter Terminologie, wie in Verwendung von „Stamm“
(Clan, Geschlecht, Bande u. s. w.), für Tribus und Phyle
(von Curie und Phratrie abgesehen) für γενος (ganas) und
gens, dann auch aus den in der Behandlung der Cultur-
geschichte nächstvorliegenden Prototypen in der römischen
Gens (und ihrer patria potestas mit den daraus fliessenden
Folgen), da gerade diese einen auffälligen (einen für das
Uebergewicht der dadurch bedingten Geschichtsentwickelung
desto bedeutungsvolleren) Ausnahmsfall unter der ungeheuren
Masse des in der Ethnologie zusammenströmenden Beweis-
materials bildet, mit äusserst wenigen Coincidenzen (wie bei

*) Die Nation ist Ein Wesen sowohl wie der Einzelne (W. v. Hum-
boldt). Wenn die Individuen von einem Geist bewegt sind, dem kein
Einzelner sich eigen und auch keiner sich fremd fühlt, so mögen sie ihn
ansehen, wie eine Seele, die in ihnen Allem, in ihrer Gesammtheit lebt
(s. Herbart), als beseelte Gesellschaft (oder Volksseele).
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[20/0054] mythischen Frühmorgens daraus vertrieben sind (und ehe noch die Kraft genugsam gewachsen, um den in das Unend- liche fortstreichenden Tangenten zu folgen). Vorläufig ist das an sich Gegebene entgegenzunehmen, um die Total- bedeutung aus den Verhältnisswerthen (die sich, mit fort- schreitender Auflösung der Unbekannten, in Formeln fixiren lassen) herauszurechnen. Wenn dann einst ein höherer Calcül (für psychologische Arithmetik) erfunden, wird sich auch das Uebrige schon finden. Die Gesellschaft nun (die in ihrer Morphologie auf Familie, Stamm, Staat, in ihrer Biologie auf Sippe, Volk, Nation führen würde) steht, ob gross oder klein, überall vor Augen, wo dieses den Menschen schaut, denn in der Realität existirt dieser als Gesellschaftswesen, als Einzelwesen *) nur in der Abstraction, und noch in der Paarung, der für Arterhaltung erforderlichen Ehe, kaum sporadisch (von der Bedeutung als Theilgrösse innerhalb höherer Ganzen abgesehen). Mancherlei Missverständnisse entstehen hier aus unbe- stimmter Terminologie, wie in Verwendung von „Stamm“ (Clan, Geschlecht, Bande u. s. w.), für Tribus und Phyle (von Curie und Phratrie abgesehen) für γενος (ganas) und gens, dann auch aus den in der Behandlung der Cultur- geschichte nächstvorliegenden Prototypen in der römischen Gens (und ihrer patria potestas mit den daraus fliessenden Folgen), da gerade diese einen auffälligen (einen für das Uebergewicht der dadurch bedingten Geschichtsentwickelung desto bedeutungsvolleren) Ausnahmsfall unter der ungeheuren Masse des in der Ethnologie zusammenströmenden Beweis- materials bildet, mit äusserst wenigen Coincidenzen (wie bei *) Die Nation ist Ein Wesen sowohl wie der Einzelne (W. v. Hum- boldt). Wenn die Individuen von einem Geist bewegt sind, dem kein Einzelner sich eigen und auch keiner sich fremd fühlt, so mögen sie ihn ansehen, wie eine Seele, die in ihnen Allem, in ihrer Gesammtheit lebt (s. Herbart), als beseelte Gesellschaft (oder Volksseele).

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/54>, abgerufen am 22.11.2024.