grundlage, und (unter den daraus gezogenen Lehren) also naturgemäss, in Behandlung zu ziehen.
Als Vorbereitung, eine gesicherte Grundlage zu breiten, bieten sich die ethnologischen Sammlungen, wenn sie zu dem für statistische Ueberschau erforderlichen Grad der Voll- ständigkeit gelangt. Sie haben die Materialien vorzuführen, um die ethnischen Typen in der psychischen Welt zu ge- winnen, und von den schriftlosen Völkern werden sich in ihnen allein die einzigen Documente bewahren. So ist Acht zu haben, dass wie diese, dem Entwicklungsgange der Ge- schichte gemäss, nacheinander in das Grab steigen, keins derselben aus dem Leben entlassen werde, ehe nicht seine Zeugen im Tempel der Völkerkunde niedergelegt sind, um dem künftigen Studium bewahrt zu bleiben.
Längst schon besitzen wir, wie recht und billig, Museen für Steine, Pflanzen und Thiere und erkennen dieselbe als eine conditio sine qua non für das wissenschaftliche Studium. Für das inductive Studium des Menschen ist im laufenden Jahre erst zum ersten Museum ein erster Baustein gelegt.
"Wir mahnen daran, dass wir Menschen sind, und das Studium des höchsten Geschöpf's der Natur, billig dem der Mäuse, Käfer und all des übrigen zoologischen Ungeziefers voranstehen sollte." So nicht etwa ein Ethnologe, der hier pro domo kämpfen könnte (für die eigene Behausung, die so noththut), sondern ein Zoologe, einer der kenntnissreichsten und geachtetsten seines Faches. Dabei der Nachsatz: "Eile thut Noth, da mit jedem Jahre die Grenzen sich mehr verwischen." Das war im Jahre 1847 gesagt. Wie viel Tage sind seitdem vergangen? und bei den uns (in Europa) räumlich nächsten Objecten ethnologischer Beobachtung "müssen wir beschämt gestehen, dass wir wohl die Mäuse des von den Samojeden bewohnten europäischen Landstrichs scharf zu unterscheiden wissen, die Menschen aber noch nicht ethnographisch be- stimmt haben." Darin ist in der Zwischenzeit noch wenig geändert.
grundlage, und (unter den daraus gezogenen Lehren) also naturgemäss, in Behandlung zu ziehen.
Als Vorbereitung, eine gesicherte Grundlage zu breiten, bieten sich die ethnologischen Sammlungen, wenn sie zu dem für statistische Ueberschau erforderlichen Grad der Voll- ständigkeit gelangt. Sie haben die Materialien vorzuführen, um die ethnischen Typen in der psychischen Welt zu ge- winnen, und von den schriftlosen Völkern werden sich in ihnen allein die einzigen Documente bewahren. So ist Acht zu haben, dass wie diese, dem Entwicklungsgange der Ge- schichte gemäss, nacheinander in das Grab steigen, keins derselben aus dem Leben entlassen werde, ehe nicht seine Zeugen im Tempel der Völkerkunde niedergelegt sind, um dem künftigen Studium bewahrt zu bleiben.
Längst schon besitzen wir, wie recht und billig, Museen für Steine, Pflanzen und Thiere und erkennen dieselbe als eine conditio sine qua non für das wissenschaftliche Studium. Für das inductive Studium des Menschen ist im laufenden Jahre erst zum ersten Museum ein erster Baustein gelegt.
„Wir mahnen daran, dass wir Menschen sind, und das Studium des höchsten Geschöpf’s der Natur, billig dem der Mäuse, Käfer und all des übrigen zoologischen Ungeziefers voranstehen sollte.“ So nicht etwa ein Ethnologe, der hier pro domo kämpfen könnte (für die eigene Behausung, die so noththut), sondern ein Zoologe, einer der kenntnissreichsten und geachtetsten seines Faches. Dabei der Nachsatz: „Eile thut Noth, da mit jedem Jahre die Grenzen sich mehr verwischen.“ Das war im Jahre 1847 gesagt. Wie viel Tage sind seitdem vergangen? und bei den uns (in Europa) räumlich nächsten Objecten ethnologischer Beobachtung „müssen wir beschämt gestehen, dass wir wohl die Mäuse des von den Samojeden bewohnten europäischen Landstrichs scharf zu unterscheiden wissen, die Menschen aber noch nicht ethnographisch be- stimmt haben.“ Darin ist in der Zwischenzeit noch wenig geändert.
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[11/0045]
grundlage, und (unter den daraus gezogenen Lehren) also
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Als Vorbereitung, eine gesicherte Grundlage zu breiten,
bieten sich die ethnologischen Sammlungen, wenn sie zu dem
für statistische Ueberschau erforderlichen Grad der Voll-
ständigkeit gelangt. Sie haben die Materialien vorzuführen,
um die ethnischen Typen in der psychischen Welt zu ge-
winnen, und von den schriftlosen Völkern werden sich in
ihnen allein die einzigen Documente bewahren. So ist Acht
zu haben, dass wie diese, dem Entwicklungsgange der Ge-
schichte gemäss, nacheinander in das Grab steigen, keins
derselben aus dem Leben entlassen werde, ehe nicht seine
Zeugen im Tempel der Völkerkunde niedergelegt sind, um
dem künftigen Studium bewahrt zu bleiben.
Längst schon besitzen wir, wie recht und billig, Museen
für Steine, Pflanzen und Thiere und erkennen dieselbe als
eine conditio sine qua non für das wissenschaftliche Studium.
Für das inductive Studium des Menschen ist im laufenden
Jahre erst zum ersten Museum ein erster Baustein gelegt.
„Wir mahnen daran, dass wir Menschen sind, und das
Studium des höchsten Geschöpf’s der Natur, billig dem der
Mäuse, Käfer und all des übrigen zoologischen Ungeziefers
voranstehen sollte.“ So nicht etwa ein Ethnologe, der hier
pro domo kämpfen könnte (für die eigene Behausung, die so
noththut), sondern ein Zoologe, einer der kenntnissreichsten und
geachtetsten seines Faches. Dabei der Nachsatz: „Eile thut
Noth, da mit jedem Jahre die Grenzen sich mehr verwischen.“
Das war im Jahre 1847 gesagt. Wie viel Tage sind seitdem
vergangen? und bei den uns (in Europa) räumlich nächsten
Objecten ethnologischer Beobachtung „müssen wir beschämt
gestehen, dass wir wohl die Mäuse des von den Samojeden
bewohnten europäischen Landstrichs scharf zu unterscheiden
wissen, die Menschen aber noch nicht ethnographisch be-
stimmt haben.“ Darin ist in der Zwischenzeit noch wenig
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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/45>, abgerufen am 27.07.2024.
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