Menschheit als Gesellschaftskreis der mit ihr abgerundeten Erde.
"Wollte sich die Statistik die Auffindung von Gesetzen, d. h. allgemein gültiger Regeln für das Leben der Mensch- heit zur Aufgabe setzen, so müsste sie vorläufig zur Fest- stellung ihrer Resultate noch so viele geschichtliche Gesichts- punkte herbeiziehen, dass damit ihr eigenthümlicher Character verloren ginge" (Jonak), aber ein ethnographischer gewonnen wäre.
Die allgemein vergleichende Statistik (neben der Special- Statistik) trägt vielleicht noch "die Elemente oder die Keime von neuen besonderen Disciplinen in sich, deren Begriff bis jetzt mehr geahnt als klar erkannt worden, wenn man ge- sprochen hat von einer exacten Gesellschaftswissenschaft oder einer Mechanik der Gesellschaft oder einer Physique sociale, die Quetelet erstrebt, oder was man auch wohl bezeichnet hat, als Naturlehre des Staats oder der Gesellschaft oder als "Gesellschaft-Psychologie" sagt Wappäus (s. Gandil) über die "Zukunftswissenschaft". Zu dieser wird die jüngste der Wissenschaften zu rechnen sein, die Ethnologie, in natur- wissenschaftlicher Durchbildung der Psychologie zur Wissen- schaft vom Menschen.
Seit der mit dem Weltverkehr eingeleiteten Krisis wird in der Ethnologie der Zögernde die eigene Schuld zu zahlen haben, wie bei den sibyllischen Büchern, den tria e ennea. Wie aus alten Weisthümern hervor, wie in den Versen Hero- phyle's, als marpessischer Sibylle (oder Amalthea's, der Amme des idäischen Zeus in ihrer Beziehung zu Adrastea, als Nemesis), Traumerinnerungen klangen, wie dort in dunkler Orakeldeutungen mancher aus eigenem Alterthum, so hallt es ahnungsvoll wundersam, in vorzeitlichen Mythen, rings um den Erdball, gleichsam auch hier heilige Palladien kündend, worin bei jenen die "fata romana" 23) eingeschlossen lagen. Nicht jedoch hier im acrostichischen Spiel dürfen die Inter- essen des Wissens aufs Spiel 24) gesetzt werden, sondern
Menschheit als Gesellschaftskreis der mit ihr abgerundeten Erde.
„Wollte sich die Statistik die Auffindung von Gesetzen, d. h. allgemein gültiger Regeln für das Leben der Mensch- heit zur Aufgabe setzen, so müsste sie vorläufig zur Fest- stellung ihrer Resultate noch so viele geschichtliche Gesichts- punkte herbeiziehen, dass damit ihr eigenthümlicher Character verloren ginge“ (Jonák), aber ein ethnographischer gewonnen wäre.
Die allgemein vergleichende Statistik (neben der Special- Statistik) trägt vielleicht noch „die Elemente oder die Keime von neuen besonderen Disciplinen in sich, deren Begriff bis jetzt mehr geahnt als klar erkannt worden, wenn man ge- sprochen hat von einer exacten Gesellschaftswissenschaft oder einer Mechanik der Gesellschaft oder einer Physique sociale, die Quetelet erstrebt, oder was man auch wohl bezeichnet hat, als Naturlehre des Staats oder der Gesellschaft oder als „Gesellschaft-Psychologie“ sagt Wappäus (s. Gandil) über die „Zukunftswissenschaft“. Zu dieser wird die jüngste der Wissenschaften zu rechnen sein, die Ethnologie, in natur- wissenschaftlicher Durchbildung der Psychologie zur Wissen- schaft vom Menschen.
Seit der mit dem Weltverkehr eingeleiteten Krisis wird in der Ethnologie der Zögernde die eigene Schuld zu zahlen haben, wie bei den sibyllischen Büchern, den τρία ἣ ἐννέα. Wie aus alten Weisthümern hervor, wie in den Versen Hero- phyle’s, als marpessischer Sibylle (oder Amalthea’s, der Amme des idäischen Zeus in ihrer Beziehung zu Adrastea, als Nemesis), Traumerinnerungen klangen, wie dort in dunkler Orakeldeutungen mancher aus eigenem Alterthum, so hallt es ahnungsvoll wundersam, in vorzeitlichen Mythen, rings um den Erdball, gleichsam auch hier heilige Palladien kündend, worin bei jenen die „fata romana“ 23) eingeschlossen lagen. Nicht jedoch hier im acrostichischen Spiel dürfen die Inter- essen des Wissens aufs Spiel 24) gesetzt werden, sondern
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[XVI/0022]
Menschheit als Gesellschaftskreis der mit ihr abgerundeten
Erde.
„Wollte sich die Statistik die Auffindung von Gesetzen,
d. h. allgemein gültiger Regeln für das Leben der Mensch-
heit zur Aufgabe setzen, so müsste sie vorläufig zur Fest-
stellung ihrer Resultate noch so viele geschichtliche Gesichts-
punkte herbeiziehen, dass damit ihr eigenthümlicher Character
verloren ginge“ (Jonák), aber ein ethnographischer gewonnen
wäre.
Die allgemein vergleichende Statistik (neben der Special-
Statistik) trägt vielleicht noch „die Elemente oder die Keime
von neuen besonderen Disciplinen in sich, deren Begriff bis
jetzt mehr geahnt als klar erkannt worden, wenn man ge-
sprochen hat von einer exacten Gesellschaftswissenschaft oder
einer Mechanik der Gesellschaft oder einer Physique sociale,
die Quetelet erstrebt, oder was man auch wohl bezeichnet
hat, als Naturlehre des Staats oder der Gesellschaft oder
als „Gesellschaft-Psychologie“ sagt Wappäus (s. Gandil)
über die „Zukunftswissenschaft“. Zu dieser wird die jüngste
der Wissenschaften zu rechnen sein, die Ethnologie, in natur-
wissenschaftlicher Durchbildung der Psychologie zur Wissen-
schaft vom Menschen.
Seit der mit dem Weltverkehr eingeleiteten Krisis wird
in der Ethnologie der Zögernde die eigene Schuld zu zahlen
haben, wie bei den sibyllischen Büchern, den τρία ἣ ἐννέα.
Wie aus alten Weisthümern hervor, wie in den Versen Hero-
phyle’s, als marpessischer Sibylle (oder Amalthea’s, der Amme
des idäischen Zeus in ihrer Beziehung zu Adrastea, als
Nemesis), Traumerinnerungen klangen, wie dort in dunkler
Orakeldeutungen mancher aus eigenem Alterthum, so hallt es
ahnungsvoll wundersam, in vorzeitlichen Mythen, rings um
den Erdball, gleichsam auch hier heilige Palladien kündend,
worin bei jenen die „fata romana“
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eingeschlossen lagen.
Nicht jedoch hier im acrostichischen Spiel dürfen die Inter-
essen des Wissens aufs Spiel
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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/22>, abgerufen am 27.07.2024.
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