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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Dichtern, die Früchte von Landwirthen gepflegt, aber dann
erst
, als die Zellentheorie zum ernstlichen Studium der bisher
verachteten und vernachlässigten Kryptogamen führte, hat
man in ihnen das Entwicklungsgesetz erkannt, das es uns
jetzt in der Pflanzenphysiologie ermöglicht, auch die com-
plicirten Gebilde mit dem Auge begreifenden Verständnisses
zu durchschauen. Wie nun, nachdem wir das Zellleben in
durchsichtigen Zoophyten verfolgt, sich daraus für die Agri-
cultur sowohl (in Vorbeugung parasitischer Zerstörungen),
wie für die Medicin (in pathologischer Anatomie) allerlei
Anhaltpunkte ergeben mögen, so aus dem Begriff des Ge-
sellschaftsorganismus im einfachen Naturstamm Aufklärungen
für den eigenen auf höheren Stufengraden.

Wir haben uns somit der Beobachtung der Naturvölker
zuzuwenden, einem systematischen Studium derselben, um
zunächst in diesen einfachen Organismen die Grundgedanken
aller derjenigen Formen zu erkennen, die den Organismus
der Gesellschaft überall zusammenzusetzen haben, ob im
Grossen, ob im Kleinen. Der Vortheil liegt eben darin,
dass, indem wir hinabblicken zu diesen engen Gesellschafts-
gestaltungen, wir dort mit einem Blick, in nuce so zu sagen,
das überschauen, was, wenn wir es bei den Culturvölkern
suchen, in unendlichen Entfernungen auseinanderliegt, zeitlich
und räumlich zerstreut ist, so dass Verirrung nahe droht auf
durchkreuzenden Nebenwegen, und Verwirrung gar manche
und böse, von zufälligen Ornamenten über den Kernpunkt
der Fragen getäuscht. Sobald es uns gelungen, in den Natur
völkern den Gang der Entwicklung zu durch
schauen, haben wir dann gewissermaassen einen
Schlüssel gewonnen, um mit seiner Hülfe auch die
complicirteren Gestaltungen höherer Gebilde auf-
zuschliessen
.

Darin liegt die Bedeutung der Naturvölker für die
Ethnologie, die Zeitanforderung ihres Studiums, ihres ein-
gehenden Verständnisses zum Besten höherer Cultur, und

Dichtern, die Früchte von Landwirthen gepflegt, aber dann
erst
, als die Zellentheorie zum ernstlichen Studium der bisher
verachteten und vernachlässigten Kryptogamen führte, hat
man in ihnen das Entwicklungsgesetz erkannt, das es uns
jetzt in der Pflanzenphysiologie ermöglicht, auch die com-
plicirten Gebilde mit dem Auge begreifenden Verständnisses
zu durchschauen. Wie nun, nachdem wir das Zellleben in
durchsichtigen Zoophyten verfolgt, sich daraus für die Agri-
cultur sowohl (in Vorbeugung parasitischer Zerstörungen),
wie für die Medicin (in pathologischer Anatomie) allerlei
Anhaltpunkte ergeben mögen, so aus dem Begriff des Ge-
sellschaftsorganismus im einfachen Naturstamm Aufklärungen
für den eigenen auf höheren Stufengraden.

Wir haben uns somit der Beobachtung der Naturvölker
zuzuwenden, einem systematischen Studium derselben, um
zunächst in diesen einfachen Organismen die Grundgedanken
aller derjenigen Formen zu erkennen, die den Organismus
der Gesellschaft überall zusammenzusetzen haben, ob im
Grossen, ob im Kleinen. Der Vortheil liegt eben darin,
dass, indem wir hinabblicken zu diesen engen Gesellschafts-
gestaltungen, wir dort mit einem Blick, in nuce so zu sagen,
das überschauen, was, wenn wir es bei den Culturvölkern
suchen, in unendlichen Entfernungen auseinanderliegt, zeitlich
und räumlich zerstreut ist, so dass Verirrung nahe droht auf
durchkreuzenden Nebenwegen, und Verwirrung gar manche
und böse, von zufälligen Ornamenten über den Kernpunkt
der Fragen getäuscht. Sobald es uns gelungen, in den Natur
völkern den Gang der Entwicklung zu durch
schauen, haben wir dann gewissermaassen einen
Schlüssel gewonnen, um mit seiner Hülfe auch die
complicirteren Gestaltungen höherer Gebilde auf-
zuschliessen
.

Darin liegt die Bedeutung der Naturvölker für die
Ethnologie, die Zeitanforderung ihres Studiums, ihres ein-
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[175/0209] Dichtern, die Früchte von Landwirthen gepflegt, aber dann erst, als die Zellentheorie zum ernstlichen Studium der bisher verachteten und vernachlässigten Kryptogamen führte, hat man in ihnen das Entwicklungsgesetz erkannt, das es uns jetzt in der Pflanzenphysiologie ermöglicht, auch die com- plicirten Gebilde mit dem Auge begreifenden Verständnisses zu durchschauen. Wie nun, nachdem wir das Zellleben in durchsichtigen Zoophyten verfolgt, sich daraus für die Agri- cultur sowohl (in Vorbeugung parasitischer Zerstörungen), wie für die Medicin (in pathologischer Anatomie) allerlei Anhaltpunkte ergeben mögen, so aus dem Begriff des Ge- sellschaftsorganismus im einfachen Naturstamm Aufklärungen für den eigenen auf höheren Stufengraden. Wir haben uns somit der Beobachtung der Naturvölker zuzuwenden, einem systematischen Studium derselben, um zunächst in diesen einfachen Organismen die Grundgedanken aller derjenigen Formen zu erkennen, die den Organismus der Gesellschaft überall zusammenzusetzen haben, ob im Grossen, ob im Kleinen. Der Vortheil liegt eben darin, dass, indem wir hinabblicken zu diesen engen Gesellschafts- gestaltungen, wir dort mit einem Blick, in nuce so zu sagen, das überschauen, was, wenn wir es bei den Culturvölkern suchen, in unendlichen Entfernungen auseinanderliegt, zeitlich und räumlich zerstreut ist, so dass Verirrung nahe droht auf durchkreuzenden Nebenwegen, und Verwirrung gar manche und böse, von zufälligen Ornamenten über den Kernpunkt der Fragen getäuscht. Sobald es uns gelungen, in den Natur völkern den Gang der Entwicklung zu durch schauen, haben wir dann gewissermaassen einen Schlüssel gewonnen, um mit seiner Hülfe auch die complicirteren Gestaltungen höherer Gebilde auf- zuschliessen. Darin liegt die Bedeutung der Naturvölker für die Ethnologie, die Zeitanforderung ihres Studiums, ihres ein- gehenden Verständnisses zum Besten höherer Cultur, und

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/209>, abgerufen am 19.05.2024.