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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

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Brunfels Herbarium oder sonst zusammengeworfenen, aber auf
Grund darauf erst war es später Tournefort und dann Linne
ermöglicht, Licht in die Systeme zu bringen. In den Büchern
früherer Chemiker herrscht für uns ungeordnete Verwirrung,
aber ohne dieses Durchgangsstudium wären wir nicht zu der
jetzigen Klärung in Theorien gekommen.

Als Bacon es aussprach, dass der Syllogismus, der Vor-

Beobachtern auf, anfangs als ganz unbestimmte gelegentliche Wahrnehmung,
der man zunächst keinen grossen Werth beilegte" (s. Sachs), sich dann
aber von Brunfels bis Caspar Bauhin und Lobelius aufmerksamer zu-
wandte, so dass die Erkenntniss der verwandtschaftlichen Gruppirung
im Pflanzenreich deutlicher hervortrat. In der Zwischenzeit musste (im
Anschluss an Caesalpinus' philosophische Erwägungen über eine systema-
tische Behandlung des Pflanzenreichs), der Uebersichtlichkeit wegen künst-
liche Systeme (nach Merkmalen, deren systematischer Werth a priori be-
stimmt wurde) aushelfen und obwohl Linne sich diesen, von gleichem Ge-
sichtspunkt aus, anschloss, sprach er doch mit Bestimmtheit aus, "dass es
ein natürliches System der Pflanzen gebe" (nach dem bisherigen Verfahren
nicht charakterisirbar), dass indess "die Regeln, nach denen das wahre und
einzig natürliche System aufgestellt werden müsse, noch unbekannt sind,
und dass erst weitere Forschungen im Stande sein werden, das natürliche
System aufzufinden" (s. Sachs). Genau das Seitenstück zu der Entwicklung
dieser botanischen Naturwissenschaft, bereitet die der Ethnologie, in welcher
gerade jetzt die Ahnung der Verwandtschaft in der vergleichenden Psy-
chologie erwacht ist, mit der Hoffnung, nach genügender Ansammlung von
Material das "wahre und einzig natürliche System" zu erlangen. "Die
Wahrnehmung der natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse konnte aber
nur aus tausendfältig wiederholter genauer Einzelbeschreibung (nicht aber
aus den Abstractionen der aristotelischen Schule, welche wesentlich auf
oberflächliche Beobachtungen beruhten) gewonnen werden" und so wird die
Ethnologie in ihren Materialiensammlungen für Einzelnbeobachtungen zu-
nächst noch nicht ermüden dürfen. Der Verstand hat nicht den Objecten,
sondern die Objecte dem Verstand Vorschriften zu geben (s. Sachs) in der
Naturforschung (im Gegensatz zur Scholastik). Und so hat sich auch ge-
schichtlich Alles in organischer Entwicklung gebildet, in Sprache oder Rechts-
wissenschaft oder sonst durchweg. Statt gelegentlich für die Forderung des
Augenblicks ernannter Commissionen (einzelner Fälle) folgten (nach perio-
dischen Quaestores Parricidii und Dummviri Perduellionis) mit der lex
Calpurnia de Repetundis die erste Quaestio perpetua u. dgl. m.

Brunfels Herbarium oder sonst zusammengeworfenen, aber auf
Grund darauf erst war es später Tournefort und dann Linné
ermöglicht, Licht in die Systeme zu bringen. In den Büchern
früherer Chemiker herrscht für uns ungeordnete Verwirrung,
aber ohne dieses Durchgangsstudium wären wir nicht zu der
jetzigen Klärung in Theorien gekommen.

Als Bacon es aussprach, dass der Syllogismus, der Vor-

Beobachtern auf, anfangs als ganz unbestimmte gelegentliche Wahrnehmung,
der man zunächst keinen grossen Werth beilegte“ (s. Sachs), sich dann
aber von Brunfels bis Caspar Bauhin und Lobelius aufmerksamer zu-
wandte, so dass die Erkenntniss der verwandtschaftlichen Gruppirung
im Pflanzenreich deutlicher hervortrat. In der Zwischenzeit musste (im
Anschluss an Caesalpinus’ philosophische Erwägungen über eine systema-
tische Behandlung des Pflanzenreichs), der Uebersichtlichkeit wegen künst-
liche Systeme (nach Merkmalen, deren systematischer Werth a priori be-
stimmt wurde) aushelfen und obwohl Linné sich diesen, von gleichem Ge-
sichtspunkt aus, anschloss, sprach er doch mit Bestimmtheit aus, „dass es
ein natürliches System der Pflanzen gebe“ (nach dem bisherigen Verfahren
nicht charakterisirbar), dass indess „die Regeln, nach denen das wahre und
einzig natürliche System aufgestellt werden müsse, noch unbekannt sind,
und dass erst weitere Forschungen im Stande sein werden, das natürliche
System aufzufinden“ (s. Sachs). Genau das Seitenstück zu der Entwicklung
dieser botanischen Naturwissenschaft, bereitet die der Ethnologie, in welcher
gerade jetzt die Ahnung der Verwandtschaft in der vergleichenden Psy-
chologie erwacht ist, mit der Hoffnung, nach genügender Ansammlung von
Material das „wahre und einzig natürliche System“ zu erlangen. „Die
Wahrnehmung der natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse konnte aber
nur aus tausendfältig wiederholter genauer Einzelbeschreibung (nicht aber
aus den Abstractionen der aristotelischen Schule, welche wesentlich auf
oberflächliche Beobachtungen beruhten) gewonnen werden“ und so wird die
Ethnologie in ihren Materialiensammlungen für Einzelnbeobachtungen zu-
nächst noch nicht ermüden dürfen. Der Verstand hat nicht den Objecten,
sondern die Objecte dem Verstand Vorschriften zu geben (s. Sachs) in der
Naturforschung (im Gegensatz zur Scholastik). Und so hat sich auch ge-
schichtlich Alles in organischer Entwicklung gebildet, in Sprache oder Rechts-
wissenschaft oder sonst durchweg. Statt gelegentlich für die Forderung des
Augenblicks ernannter Commissionen (einzelner Fälle) folgten (nach perio-
dischen Quaestores Parricidii und Dummviri Perduellionis) mit der lex
Calpurnia de Repetundis die erste Quaestio perpetua u. dgl. m.
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[87/0121] Brunfels Herbarium oder sonst zusammengeworfenen, aber auf Grund darauf erst war es später Tournefort und dann Linné ermöglicht, Licht in die Systeme zu bringen. In den Büchern früherer Chemiker herrscht für uns ungeordnete Verwirrung, aber ohne dieses Durchgangsstudium wären wir nicht zu der jetzigen Klärung in Theorien gekommen. Als Bacon es aussprach, dass der Syllogismus, der Vor- *) *) Beobachtern auf, anfangs als ganz unbestimmte gelegentliche Wahrnehmung, der man zunächst keinen grossen Werth beilegte“ (s. Sachs), sich dann aber von Brunfels bis Caspar Bauhin und Lobelius aufmerksamer zu- wandte, so dass die Erkenntniss der verwandtschaftlichen Gruppirung im Pflanzenreich deutlicher hervortrat. In der Zwischenzeit musste (im Anschluss an Caesalpinus’ philosophische Erwägungen über eine systema- tische Behandlung des Pflanzenreichs), der Uebersichtlichkeit wegen künst- liche Systeme (nach Merkmalen, deren systematischer Werth a priori be- stimmt wurde) aushelfen und obwohl Linné sich diesen, von gleichem Ge- sichtspunkt aus, anschloss, sprach er doch mit Bestimmtheit aus, „dass es ein natürliches System der Pflanzen gebe“ (nach dem bisherigen Verfahren nicht charakterisirbar), dass indess „die Regeln, nach denen das wahre und einzig natürliche System aufgestellt werden müsse, noch unbekannt sind, und dass erst weitere Forschungen im Stande sein werden, das natürliche System aufzufinden“ (s. Sachs). Genau das Seitenstück zu der Entwicklung dieser botanischen Naturwissenschaft, bereitet die der Ethnologie, in welcher gerade jetzt die Ahnung der Verwandtschaft in der vergleichenden Psy- chologie erwacht ist, mit der Hoffnung, nach genügender Ansammlung von Material das „wahre und einzig natürliche System“ zu erlangen. „Die Wahrnehmung der natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse konnte aber nur aus tausendfältig wiederholter genauer Einzelbeschreibung (nicht aber aus den Abstractionen der aristotelischen Schule, welche wesentlich auf oberflächliche Beobachtungen beruhten) gewonnen werden“ und so wird die Ethnologie in ihren Materialiensammlungen für Einzelnbeobachtungen zu- nächst noch nicht ermüden dürfen. Der Verstand hat nicht den Objecten, sondern die Objecte dem Verstand Vorschriften zu geben (s. Sachs) in der Naturforschung (im Gegensatz zur Scholastik). Und so hat sich auch ge- schichtlich Alles in organischer Entwicklung gebildet, in Sprache oder Rechts- wissenschaft oder sonst durchweg. Statt gelegentlich für die Forderung des Augenblicks ernannter Commissionen (einzelner Fälle) folgten (nach perio- dischen Quaestores Parricidii und Dummviri Perduellionis) mit der lex Calpurnia de Repetundis die erste Quaestio perpetua u. dgl. m.

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Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/121>, abgerufen am 24.11.2024.