Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

hätte erreichen können. Doch blieb sie dort noch mehr be-
schreibende Naturgeschichte, als erklärende Naturlehre, da
soweit kein natürlicher Anschluss gefunden ist für das ge-
netische Princip, dem Condillac*) in der Fingirung seiner
Statue zu genügen suchte, Beneke dagegen in seiner, mit Waitz
übereinstimmenden, Auffassung der Psychologie als Natur-
wissenschaft, während von Fichte (und Hegel, mit seiner in der
dialectischen Methode durch die Begriffe hindurchgeführten
Evolutionslehre) her, der Idealismus mit Herbart (unter An-
sätzen zu mathematischer Behandlung) in die Völker-Psycho-
logie verlief.

Im gäocentrischen Weltsystem hätte die anthropologische
Auffassung des Mikrokosmos die metaphysischen Reconstruc-
tionen des All's (in der Naturphilosophie) entschuldigt, aber
auch excentrisch gestellt, konnte (bei Beneke) gesagt werden,
dass die (nicht meta-physisch, sondern physisch zu begrün-
dende) Psychologie "die tiefste Grundlage für alle übrigen
philosophischen Wissenschaften" bildet**) (weil allein erst das
Verständniss ermittelnd). All the sciences have a relation
(s. Hume) to human nature (in the science of man).

Nach jonischer Allbeseelung schied Anaxagoras nous
und ule, und Pythagoras phrenes, nous und thumos. Nach
Plato hat die in der Sinnenwelt lebende Seele mittelst der Ver-
nunft zugleich Theil an der Ideenwelt und bei Aristoteles
(unter Einführung der Psychologie in die Philosophie)***) er-

*) Il semble que, pour etudier la nature humain, il faudrait observer
dans les enfants les premiers developpements de nos facultes ou se rappeler
ce qui nous est arrivee a nous-memes.
**) Indem der einzig mögliche Ausgangspunkt für die Fortbildung der
allgemeinen Weltansicht die Betrachtung des Menschen ist, so ergiebt sich
"die allgemeine Aufgabe der philosophischen Grundwissenschaft, der Psy-
chologie" (s. Waitz). Lotze erkennt "die Philosophie der Geschichte als
nothwendige Ergänzung der Psychologie".
***) Innerhalb der Philosophie wird das Leben der Seele in der Psy-
chologie von dem Standpunkt der Physik aufgefasst, wogegen das Denken

hätte erreichen können. Doch blieb sie dort noch mehr be-
schreibende Naturgeschichte, als erklärende Naturlehre, da
soweit kein natürlicher Anschluss gefunden ist für das ge-
netische Princip, dem Condillac*) in der Fingirung seiner
Statue zu genügen suchte, Beneke dagegen in seiner, mit Waitz
übereinstimmenden, Auffassung der Psychologie als Natur-
wissenschaft, während von Fichte (und Hegel, mit seiner in der
dialectischen Methode durch die Begriffe hindurchgeführten
Evolutionslehre) her, der Idealismus mit Herbart (unter An-
sätzen zu mathematischer Behandlung) in die Völker-Psycho-
logie verlief.

Im gäocentrischen Weltsystem hätte die anthropologische
Auffassung des Mikrokosmos die metaphysischen Reconstruc-
tionen des All’s (in der Naturphilosophie) entschuldigt, aber
auch excentrisch gestellt, konnte (bei Beneke) gesagt werden,
dass die (nicht meta-physisch, sondern physisch zu begrün-
dende) Psychologie „die tiefste Grundlage für alle übrigen
philosophischen Wissenschaften“ bildet**) (weil allein erst das
Verständniss ermittelnd). All the sciences have a relation
(s. Hume) to human nature (in the science of man).

Nach jonischer Allbeseelung schied Anaxagoras νοῦς
und ὕλη, und Pythagoras φρένες, νοῦς und ϑυμός. Nach
Plato hat die in der Sinnenwelt lebende Seele mittelst der Ver-
nunft zugleich Theil an der Ideenwelt und bei Aristoteles
(unter Einführung der Psychologie in die Philosophie)***) er-

*) Il semble que, pour étudier la nature humain, il faudrait observer
dans les enfants les premiers dévéloppements de nos facultés ou se rappeler
ce qui nous est arrivée à nous-mêmes.
**) Indem der einzig mögliche Ausgangspunkt für die Fortbildung der
allgemeinen Weltansicht die Betrachtung des Menschen ist, so ergiebt sich
„die allgemeine Aufgabe der philosophischen Grundwissenschaft, der Psy-
chologie“ (s. Waitz). Lotze erkennt „die Philosophie der Geschichte als
nothwendige Ergänzung der Psychologie“.
***) Innerhalb der Philosophie wird das Leben der Seele in der Psy-
chologie von dem Standpunkt der Physik aufgefasst, wogegen das Denken
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0113" n="79"/>
hätte erreichen können. Doch blieb sie dort noch mehr be-<lb/>
schreibende Naturgeschichte, als erklärende Naturlehre, da<lb/>
soweit kein natürlicher Anschluss gefunden ist für das ge-<lb/>
netische Princip, dem Condillac<note place="foot" n="*)">Il semble que, pour étudier la nature humain, il faudrait observer<lb/>
dans les enfants les premiers dévéloppements de nos facultés ou se rappeler<lb/>
ce qui nous est arrivée à nous-mêmes.</note> in der Fingirung seiner<lb/>
Statue zu genügen suchte, Beneke dagegen in seiner, mit Waitz<lb/>
übereinstimmenden, Auffassung der Psychologie als Natur-<lb/>
wissenschaft, während von Fichte (und Hegel, mit seiner in der<lb/>
dialectischen Methode durch die Begriffe hindurchgeführten<lb/>
Evolutionslehre) her, der Idealismus mit Herbart (unter An-<lb/>
sätzen zu mathematischer Behandlung) in die Völker-Psycho-<lb/>
logie verlief.</p><lb/>
        <p>Im gäocentrischen Weltsystem hätte die anthropologische<lb/>
Auffassung des Mikrokosmos die metaphysischen Reconstruc-<lb/>
tionen des All&#x2019;s (in der Naturphilosophie) entschuldigt, aber<lb/>
auch excentrisch gestellt, konnte (bei Beneke) gesagt werden,<lb/>
dass die (nicht meta-physisch, sondern physisch zu begrün-<lb/>
dende) Psychologie &#x201E;die tiefste Grundlage für alle übrigen<lb/>
philosophischen Wissenschaften&#x201C; bildet<note place="foot" n="**)">Indem der einzig mögliche Ausgangspunkt für die Fortbildung der<lb/>
allgemeinen Weltansicht die Betrachtung des Menschen ist, so ergiebt sich<lb/>
&#x201E;die allgemeine Aufgabe der philosophischen Grundwissenschaft, der Psy-<lb/>
chologie&#x201C; (s. Waitz). Lotze erkennt &#x201E;die Philosophie der Geschichte als<lb/>
nothwendige Ergänzung der Psychologie&#x201C;.</note> (weil allein erst das<lb/>
Verständniss ermittelnd). All the sciences have a relation<lb/>
(s. <hi rendition="#i">Hume</hi>) to human nature (in the science of man).</p><lb/>
        <p>Nach jonischer Allbeseelung schied Anaxagoras &#x03BD;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03C2;<lb/>
und &#x1F55;&#x03BB;&#x03B7;, und Pythagoras &#x03C6;&#x03C1;&#x03AD;&#x03BD;&#x03B5;&#x03C2;, &#x03BD;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03C2; und &#x03D1;&#x03C5;&#x03BC;&#x03CC;&#x03C2;. Nach<lb/>
Plato hat die in der Sinnenwelt lebende Seele mittelst der Ver-<lb/>
nunft zugleich Theil an der Ideenwelt und bei Aristoteles<lb/>
(unter Einführung der Psychologie in die Philosophie)<note xml:id="seg2pn_10_1" next="#seg2pn_10_2" place="foot" n="***)">Innerhalb der Philosophie wird das Leben der Seele in der Psy-<lb/>
chologie von dem Standpunkt der Physik aufgefasst, wogegen das Denken</note> er-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0113] hätte erreichen können. Doch blieb sie dort noch mehr be- schreibende Naturgeschichte, als erklärende Naturlehre, da soweit kein natürlicher Anschluss gefunden ist für das ge- netische Princip, dem Condillac *) in der Fingirung seiner Statue zu genügen suchte, Beneke dagegen in seiner, mit Waitz übereinstimmenden, Auffassung der Psychologie als Natur- wissenschaft, während von Fichte (und Hegel, mit seiner in der dialectischen Methode durch die Begriffe hindurchgeführten Evolutionslehre) her, der Idealismus mit Herbart (unter An- sätzen zu mathematischer Behandlung) in die Völker-Psycho- logie verlief. Im gäocentrischen Weltsystem hätte die anthropologische Auffassung des Mikrokosmos die metaphysischen Reconstruc- tionen des All’s (in der Naturphilosophie) entschuldigt, aber auch excentrisch gestellt, konnte (bei Beneke) gesagt werden, dass die (nicht meta-physisch, sondern physisch zu begrün- dende) Psychologie „die tiefste Grundlage für alle übrigen philosophischen Wissenschaften“ bildet **) (weil allein erst das Verständniss ermittelnd). All the sciences have a relation (s. Hume) to human nature (in the science of man). Nach jonischer Allbeseelung schied Anaxagoras νοῦς und ὕλη, und Pythagoras φρένες, νοῦς und ϑυμός. Nach Plato hat die in der Sinnenwelt lebende Seele mittelst der Ver- nunft zugleich Theil an der Ideenwelt und bei Aristoteles (unter Einführung der Psychologie in die Philosophie) ***) er- *) Il semble que, pour étudier la nature humain, il faudrait observer dans les enfants les premiers dévéloppements de nos facultés ou se rappeler ce qui nous est arrivée à nous-mêmes. **) Indem der einzig mögliche Ausgangspunkt für die Fortbildung der allgemeinen Weltansicht die Betrachtung des Menschen ist, so ergiebt sich „die allgemeine Aufgabe der philosophischen Grundwissenschaft, der Psy- chologie“ (s. Waitz). Lotze erkennt „die Philosophie der Geschichte als nothwendige Ergänzung der Psychologie“. ***) Innerhalb der Philosophie wird das Leben der Seele in der Psy- chologie von dem Standpunkt der Physik aufgefasst, wogegen das Denken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/113
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/113>, abgerufen am 10.10.2024.