Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

(mit Zuschneidung nach denselben) nicht anders, als zu
Missverständnissen führen kann. Schon in den Sinnes-
auffassungen, als combinirten, bedarf es einer physiologischen
Analyse, um nicht unrichtig zu subsummiren. Die Ansichten
sog. Farbenblindheit sind bereits darnach zu modificiren,
indem z. B. die Farbenklassen nach Merkmalen des Stumpfen,
Schillernden oder anderen Eindruck's auf das Auge zusammen-
gefasst sein können, und deshalb nicht mit derjenigen Farben-
scala zusammenfallen mögen, die nach der scharfen Scheidung
des Spectrum aufgestellt ist. Aehnlicherweise entstehen
Incongruenzen bei Uebertragung der aus Grammaticalisch
festgelegten Sprachen entnommenen Principien auf die im
gewöhnlichen Leben flüssigen. Indem wir mit dem Gesicht
vorzugsweise lernen, und deshalb aus Erinnerung des Buch-
stabirens die einzelnen Buchstaben scharf und bestimmt im
Gedächtniss tragen, sprechen wir sie mit festerer Präcision
im überdachten Reden aus, als der oft nach den augenblick-
lichen Eindrücken des Rythmus oder anderen Rücksichten
geleitete Naturmensch seine für ihn selbst (bei mangelnder
Schrift) nicht stereotyp festgelegten Worte.

Vor Allem ist dann, um den Ideenkreis eines Volkes
zu begreifen, zu unterscheiden zwischen den augenblicklichen
Eindrücken des gewöhnlichen Tagesleben (in kurz abge-
schlossener Frage und Antwort) und den Combinations-
ergebnissen andauernder Meditation, wie sie mit verschieden-
artigen Lebensverhältnissen dauernd verwachsen sind. Die
uns ferner stehenden Vorstellungen des Naturmenschen
machen zunächst häufig einfach den Eindruck des fremd-
artig Sonderbaren und mögen dann damit beseitigt werden,
wogegen sich beim weiteren Ueberdenken eine Menge auf-
klärender Analogien in vergleichender Methode ergeben würden.
Werden die Gedanken nicht (wie es in der Praxis häufig
verlangt wird) kurz und rasch abgeschnitten, überlässt man
sich vielmehr dem Fluss der Gedanken, so dass sie nach
ihrer ganzen Breite und Weite, so zu sagen, auswachsen

(mit Zuschneidung nach denselben) nicht anders, als zu
Missverständnissen führen kann. Schon in den Sinnes-
auffassungen, als combinirten, bedarf es einer physiologischen
Analyse, um nicht unrichtig zu subsummiren. Die Ansichten
sog. Farbenblindheit sind bereits darnach zu modificiren,
indem z. B. die Farbenklassen nach Merkmalen des Stumpfen,
Schillernden oder anderen Eindruck’s auf das Auge zusammen-
gefasst sein können, und deshalb nicht mit derjenigen Farben-
scala zusammenfallen mögen, die nach der scharfen Scheidung
des Spectrum aufgestellt ist. Aehnlicherweise entstehen
Incongruenzen bei Uebertragung der aus Grammaticalisch
festgelegten Sprachen entnommenen Principien auf die im
gewöhnlichen Leben flüssigen. Indem wir mit dem Gesicht
vorzugsweise lernen, und deshalb aus Erinnerung des Buch-
stabirens die einzelnen Buchstaben scharf und bestimmt im
Gedächtniss tragen, sprechen wir sie mit festerer Präcision
im überdachten Reden aus, als der oft nach den augenblick-
lichen Eindrücken des Rythmus oder anderen Rücksichten
geleitete Naturmensch seine für ihn selbst (bei mangelnder
Schrift) nicht stereotyp festgelegten Worte.

Vor Allem ist dann, um den Ideenkreis eines Volkes
zu begreifen, zu unterscheiden zwischen den augenblicklichen
Eindrücken des gewöhnlichen Tagesleben (in kurz abge-
schlossener Frage und Antwort) und den Combinations-
ergebnissen andauernder Meditation, wie sie mit verschieden-
artigen Lebensverhältnissen dauernd verwachsen sind. Die
uns ferner stehenden Vorstellungen des Naturmenschen
machen zunächst häufig einfach den Eindruck des fremd-
artig Sonderbaren und mögen dann damit beseitigt werden,
wogegen sich beim weiteren Ueberdenken eine Menge auf-
klärender Analogien in vergleichender Methode ergeben würden.
Werden die Gedanken nicht (wie es in der Praxis häufig
verlangt wird) kurz und rasch abgeschnitten, überlässt man
sich vielmehr dem Fluss der Gedanken, so dass sie nach
ihrer ganzen Breite und Weite, so zu sagen, auswachsen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0107" n="73"/>
(mit Zuschneidung nach denselben) nicht anders, als zu<lb/>
Missverständnissen führen kann. Schon in den Sinnes-<lb/>
auffassungen, als combinirten, bedarf es einer physiologischen<lb/>
Analyse, um nicht unrichtig zu subsummiren. Die Ansichten<lb/>
sog. Farbenblindheit sind bereits darnach zu modificiren,<lb/>
indem z. B. die Farbenklassen nach Merkmalen des Stumpfen,<lb/>
Schillernden oder anderen Eindruck&#x2019;s auf das Auge zusammen-<lb/>
gefasst sein können, und deshalb nicht mit derjenigen Farben-<lb/>
scala zusammenfallen mögen, die nach der scharfen Scheidung<lb/>
des Spectrum aufgestellt ist. Aehnlicherweise entstehen<lb/>
Incongruenzen bei Uebertragung der aus Grammaticalisch<lb/>
festgelegten Sprachen entnommenen Principien auf die im<lb/>
gewöhnlichen Leben flüssigen. Indem wir mit dem Gesicht<lb/>
vorzugsweise lernen, und deshalb aus Erinnerung des Buch-<lb/>
stabirens die einzelnen Buchstaben scharf und bestimmt im<lb/>
Gedächtniss tragen, sprechen wir sie mit festerer Präcision<lb/>
im überdachten Reden aus, als der oft nach den augenblick-<lb/>
lichen Eindrücken des Rythmus oder anderen Rücksichten<lb/>
geleitete Naturmensch seine für ihn selbst (bei mangelnder<lb/>
Schrift) nicht stereotyp festgelegten Worte.</p><lb/>
        <p>Vor Allem ist dann, um den Ideenkreis eines Volkes<lb/>
zu begreifen, zu unterscheiden zwischen den augenblicklichen<lb/>
Eindrücken des gewöhnlichen Tagesleben (in kurz abge-<lb/>
schlossener Frage und Antwort) und den Combinations-<lb/>
ergebnissen andauernder Meditation, wie sie mit verschieden-<lb/>
artigen Lebensverhältnissen dauernd verwachsen sind. Die<lb/>
uns ferner stehenden Vorstellungen des Naturmenschen<lb/>
machen zunächst häufig einfach den Eindruck des fremd-<lb/>
artig Sonderbaren und mögen dann damit beseitigt werden,<lb/>
wogegen sich beim weiteren Ueberdenken eine Menge auf-<lb/>
klärender Analogien in vergleichender Methode ergeben würden.<lb/>
Werden die Gedanken nicht (wie es in der Praxis häufig<lb/>
verlangt wird) kurz und rasch abgeschnitten, überlässt man<lb/>
sich vielmehr dem Fluss der Gedanken, so dass sie nach<lb/>
ihrer ganzen Breite und Weite, so zu sagen, auswachsen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0107] (mit Zuschneidung nach denselben) nicht anders, als zu Missverständnissen führen kann. Schon in den Sinnes- auffassungen, als combinirten, bedarf es einer physiologischen Analyse, um nicht unrichtig zu subsummiren. Die Ansichten sog. Farbenblindheit sind bereits darnach zu modificiren, indem z. B. die Farbenklassen nach Merkmalen des Stumpfen, Schillernden oder anderen Eindruck’s auf das Auge zusammen- gefasst sein können, und deshalb nicht mit derjenigen Farben- scala zusammenfallen mögen, die nach der scharfen Scheidung des Spectrum aufgestellt ist. Aehnlicherweise entstehen Incongruenzen bei Uebertragung der aus Grammaticalisch festgelegten Sprachen entnommenen Principien auf die im gewöhnlichen Leben flüssigen. Indem wir mit dem Gesicht vorzugsweise lernen, und deshalb aus Erinnerung des Buch- stabirens die einzelnen Buchstaben scharf und bestimmt im Gedächtniss tragen, sprechen wir sie mit festerer Präcision im überdachten Reden aus, als der oft nach den augenblick- lichen Eindrücken des Rythmus oder anderen Rücksichten geleitete Naturmensch seine für ihn selbst (bei mangelnder Schrift) nicht stereotyp festgelegten Worte. Vor Allem ist dann, um den Ideenkreis eines Volkes zu begreifen, zu unterscheiden zwischen den augenblicklichen Eindrücken des gewöhnlichen Tagesleben (in kurz abge- schlossener Frage und Antwort) und den Combinations- ergebnissen andauernder Meditation, wie sie mit verschieden- artigen Lebensverhältnissen dauernd verwachsen sind. Die uns ferner stehenden Vorstellungen des Naturmenschen machen zunächst häufig einfach den Eindruck des fremd- artig Sonderbaren und mögen dann damit beseitigt werden, wogegen sich beim weiteren Ueberdenken eine Menge auf- klärender Analogien in vergleichender Methode ergeben würden. Werden die Gedanken nicht (wie es in der Praxis häufig verlangt wird) kurz und rasch abgeschnitten, überlässt man sich vielmehr dem Fluss der Gedanken, so dass sie nach ihrer ganzen Breite und Weite, so zu sagen, auswachsen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/107
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/107>, abgerufen am 27.11.2024.