Ein jeder zum Nachdenken gewöhnter Mensch ist sich bewußt, daß er an seinen Gliedern (und den Nerven derselben) sinnliche Eindrücke wahr- nimmt, sich des Vergangenen erinnert, etwas Künftiges voraussieht oder vermuthet, Verdruß und Vergnügen empfindet, vieles begehrt und verabscheuet, und nach seinen Trieben einigermas- sen sowohl den Lauf seiner Gedanken als die Be- wegung der Glieder regiert. Diese Wirksam- keiten des Menschen sind unsichtbar und heissen geistig.
Man kann die geistigen Wirksamkeiten in zwey Classen theilen, in blosse Vorstellungen des Verstandes, und in Gesinnungen des Willens. Bey dem Menschen ist also Verstand und ist Wille.
Ein Wesen, welches Verstand und Willen hat, heißt ein geistiges Wesen. Also ist ein geistiges Wesen in dem Menschen.
Ein geistiges Wesen, welches durch einen be- sondern Körper sinnliche Eindrücke wahrnimmt, und denselben zum Theil nach seinem Willen re- giert, oder doch wenigstens eine zeitlang in solcher Vereinigung mit einem Körper steht, heißt eine Seele. Es ist also sonder Zweifel bey dem Men- schen eine Seele.
§. 3.
Eignes Nachdenken
Ein jeder zum Nachdenken gewoͤhnter Menſch iſt ſich bewußt, daß er an ſeinen Gliedern (und den Nerven derſelben) ſinnliche Eindruͤcke wahr- nimmt, ſich des Vergangenen erinnert, etwas Kuͤnftiges vorausſieht oder vermuthet, Verdruß und Vergnuͤgen empfindet, vieles begehrt und verabſcheuet, und nach ſeinen Trieben einigermaſ- ſen ſowohl den Lauf ſeiner Gedanken als die Be- wegung der Glieder regiert. Dieſe Wirkſam- keiten des Menſchen ſind unſichtbar und heiſſen geiſtig.
Man kann die geiſtigen Wirkſamkeiten in zwey Claſſen theilen, in bloſſe Vorſtellungen des Verſtandes, und in Geſinnungen des Willens. Bey dem Menſchen iſt alſo Verſtand und iſt Wille.
Ein Weſen, welches Verſtand und Willen hat, heißt ein geiſtiges Weſen. Alſo iſt ein geiſtiges Weſen in dem Menſchen.
Ein geiſtiges Weſen, welches durch einen be- ſondern Koͤrper ſinnliche Eindruͤcke wahrnimmt, und denſelben zum Theil nach ſeinem Willen re- giert, oder doch wenigſtens eine zeitlang in ſolcher Vereinigung mit einem Koͤrper ſteht, heißt eine Seele. Es iſt alſo ſonder Zweifel bey dem Men- ſchen eine Seele.
§. 3.
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Eignes Nachdenken
Ein jeder zum Nachdenken gewoͤhnter Menſch
iſt ſich bewußt, daß er an ſeinen Gliedern (und
den Nerven derſelben) ſinnliche Eindruͤcke wahr-
nimmt, ſich des Vergangenen erinnert, etwas
Kuͤnftiges vorausſieht oder vermuthet, Verdruß
und Vergnuͤgen empfindet, vieles begehrt und
verabſcheuet, und nach ſeinen Trieben einigermaſ-
ſen ſowohl den Lauf ſeiner Gedanken als die Be-
wegung der Glieder regiert. Dieſe Wirkſam-
keiten des Menſchen ſind unſichtbar und heiſſen
geiſtig.
Man kann die geiſtigen Wirkſamkeiten in
zwey Claſſen theilen, in bloſſe Vorſtellungen
des Verſtandes, und in Geſinnungen des
Willens. Bey dem Menſchen iſt alſo Verſtand
und iſt Wille.
Ein Weſen, welches Verſtand und Willen
hat, heißt ein geiſtiges Weſen. Alſo iſt ein
geiſtiges Weſen in dem Menſchen.
Ein geiſtiges Weſen, welches durch einen be-
ſondern Koͤrper ſinnliche Eindruͤcke wahrnimmt,
und denſelben zum Theil nach ſeinem Willen re-
giert, oder doch wenigſtens eine zeitlang in ſolcher
Vereinigung mit einem Koͤrper ſteht, heißt eine
Seele. Es iſt alſo ſonder Zweifel bey dem Men-
ſchen eine Seele.
§. 3.
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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/26>, abgerufen am 22.07.2024.
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