Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768].

Bild:
<< vorherige Seite
Uebungen des Verstandes,
fahren zu haben vorgiebt, der weiß die Wahrheit
gewiß, wie eine Feuersbrunst und einen dauerhaf-
ten Trompeten-Schall.
3) Aber zuweilen sagen die Zeugen, anstatt
dessen, was sie gesehn und gehört haben, unver-
sehens ihre Vermuthungen
aus dem Gesehe-
nen und Gehörten, z. E. sie haben nur die Equi-
page eines Mannes und sein gewöhnliches Kleid
gesehn; sie haben nur den Ausdruck des Worts
Schelm von einem Zornigen gehört, und sie sagen
dennoch, der Mann sey vorbey gefahren, der Zornige
habe gescholten.
4) Niemand sagt mit Wissen die Un-
wahrheit
in ernsthaften Sachen auf eine stand-
hafte Weise, ohne Vermuthung seines Vortheils
und mit Vermuthung seines Schadens.
5) Viele Zeugnisse von verschiednen bey der
Sache gegenwärtigen Zeugen, wenn sie in der
Hauptsache übereinstimmen, und nur in Neben-
sachen, woran eine kleine Unachtsamkeit Schuld
seyn kann, nicht übereinstimmen, sind ein wahres
Zeugniß von der Hauptsache, wenn ein jedes vor
sich betrachtet, auch nur wahrscheinlich ist, vornehm-
lich, wenn durch einige Zeugnisse mehr Umstände
entschieden werden, als durch die andern, und wenn
bey vorausgesetzter Wahrheit der Hauptsache alle
diese Umstände gewöhnlich sind.
6) Die
Uebungen des Verſtandes,
fahren zu haben vorgiebt, der weiß die Wahrheit
gewiß, wie eine Feuersbrunſt und einen dauerhaf-
ten Trompeten-Schall.
3) Aber zuweilen ſagen die Zeugen, anſtatt
deſſen, was ſie geſehn und gehoͤrt haben, unver-
ſehens ihre Vermuthungen
aus dem Geſehe-
nen und Gehoͤrten, z. E. ſie haben nur die Equi-
page eines Mannes und ſein gewoͤhnliches Kleid
geſehn; ſie haben nur den Ausdruck des Worts
Schelm von einem Zornigen gehoͤrt, und ſie ſagen
dennoch, der Mann ſey vorbey gefahren, der Zornige
habe geſcholten.
4) Niemand ſagt mit Wiſſen die Un-
wahrheit
in ernſthaften Sachen auf eine ſtand-
hafte Weiſe, ohne Vermuthung ſeines Vortheils
und mit Vermuthung ſeines Schadens.
5) Viele Zeugniſſe von verſchiednen bey der
Sache gegenwaͤrtigen Zeugen, wenn ſie in der
Hauptſache übereinſtimmen, und nur in Neben-
ſachen, woran eine kleine Unachtſamkeit Schuld
ſeyn kann, nicht uͤbereinſtimmen, ſind ein wahres
Zeugniß von der Hauptſache, wenn ein jedes vor
ſich betrachtet, auch nur wahrſcheinlich iſt, vornehm-
lich, wenn durch einige Zeugniſſe mehr Umſtaͤnde
entſchieden werden, als durch die andern, und wenn
bey vorausgeſetzter Wahrheit der Hauptſache alle
dieſe Umſtaͤnde gewoͤhnlich ſind.
6) Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <list>
            <item><pb facs="#f0166" n="142"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Uebungen des Ver&#x017F;tandes,</hi></fw><lb/>
fahren zu haben vorgiebt, der weiß die Wahrheit<lb/>
gewiß, wie eine Feuersbrun&#x017F;t und einen dauerhaf-<lb/>
ten Trompeten-Schall.</item><lb/>
            <item>3) Aber zuweilen &#x017F;agen die Zeugen, an&#x017F;tatt<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie ge&#x017F;ehn und geho&#x0364;rt haben, <hi rendition="#fr">unver-<lb/>
&#x017F;ehens ihre Vermuthungen</hi> aus dem Ge&#x017F;ehe-<lb/>
nen und Geho&#x0364;rten, z. E. &#x017F;ie haben nur die Equi-<lb/>
page eines Mannes und &#x017F;ein gewo&#x0364;hnliches Kleid<lb/>
ge&#x017F;ehn; &#x017F;ie haben nur den Ausdruck des Worts<lb/><hi rendition="#fr">Schelm</hi> von einem Zornigen geho&#x0364;rt, und &#x017F;ie &#x017F;agen<lb/>
dennoch, der Mann &#x017F;ey vorbey gefahren, der Zornige<lb/>
habe ge&#x017F;cholten.</item><lb/>
            <item>4) <hi rendition="#fr">Niemand &#x017F;agt mit Wi&#x017F;&#x017F;en die Un-<lb/>
wahrheit</hi> in ern&#x017F;thaften Sachen auf eine &#x017F;tand-<lb/>
hafte Wei&#x017F;e, ohne Vermuthung &#x017F;eines Vortheils<lb/>
und mit Vermuthung &#x017F;eines Schadens.</item><lb/>
            <item>5) <hi rendition="#fr">Viele Zeugni&#x017F;&#x017F;e</hi> von ver&#x017F;chiednen bey der<lb/>
Sache gegenwa&#x0364;rtigen Zeugen, wenn &#x017F;ie in der<lb/>
Haupt&#x017F;ache <hi rendition="#fr">überein&#x017F;timmen,</hi> und nur in Neben-<lb/>
&#x017F;achen, woran eine kleine Unacht&#x017F;amkeit Schuld<lb/>
&#x017F;eyn kann, nicht u&#x0364;berein&#x017F;timmen, &#x017F;ind ein wahres<lb/>
Zeugniß von der Haupt&#x017F;ache, wenn ein jedes vor<lb/>
&#x017F;ich betrachtet, auch nur wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t, vornehm-<lb/>
lich, wenn durch einige Zeugni&#x017F;&#x017F;e mehr Um&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
ent&#x017F;chieden werden, als durch die andern, und wenn<lb/>
bey vorausge&#x017F;etzter Wahrheit der Haupt&#x017F;ache alle<lb/>
die&#x017F;e Um&#x017F;ta&#x0364;nde gewo&#x0364;hnlich &#x017F;ind.</item>
          </list><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">6) Die</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0166] Uebungen des Verſtandes, fahren zu haben vorgiebt, der weiß die Wahrheit gewiß, wie eine Feuersbrunſt und einen dauerhaf- ten Trompeten-Schall. 3) Aber zuweilen ſagen die Zeugen, anſtatt deſſen, was ſie geſehn und gehoͤrt haben, unver- ſehens ihre Vermuthungen aus dem Geſehe- nen und Gehoͤrten, z. E. ſie haben nur die Equi- page eines Mannes und ſein gewoͤhnliches Kleid geſehn; ſie haben nur den Ausdruck des Worts Schelm von einem Zornigen gehoͤrt, und ſie ſagen dennoch, der Mann ſey vorbey gefahren, der Zornige habe geſcholten. 4) Niemand ſagt mit Wiſſen die Un- wahrheit in ernſthaften Sachen auf eine ſtand- hafte Weiſe, ohne Vermuthung ſeines Vortheils und mit Vermuthung ſeines Schadens. 5) Viele Zeugniſſe von verſchiednen bey der Sache gegenwaͤrtigen Zeugen, wenn ſie in der Hauptſache übereinſtimmen, und nur in Neben- ſachen, woran eine kleine Unachtſamkeit Schuld ſeyn kann, nicht uͤbereinſtimmen, ſind ein wahres Zeugniß von der Hauptſache, wenn ein jedes vor ſich betrachtet, auch nur wahrſcheinlich iſt, vornehm- lich, wenn durch einige Zeugniſſe mehr Umſtaͤnde entſchieden werden, als durch die andern, und wenn bey vorausgeſetzter Wahrheit der Hauptſache alle dieſe Umſtaͤnde gewoͤhnlich ſind. 6) Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/166
Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/166>, abgerufen am 24.11.2024.