Gieb andern oft Gelegenheit, ihren Verstand, ihre Geschicklichkeit und ihre Tugend zu zeigen. Raube sie ihnen nicht durch Gespräche von dir selbst. Es ist vortheilhafter, gefällig zu seyn, als unser eigen Lob auszubreiten.
Eine stumme Gesellschaft wird schläfrig und misvergnügt. Führe etwas auf die Bahn, wenn niemand redet. Zu diesem Ende lies eine Zeitung und richte dich auf gute Gespräche. Er- kundige dich nach der Kunst, die dein Gesellschafter weis, oder nach seinem Handwerke und Gewerbe. Dieses ist ihm angenehm und dir lehrreich.
Aber laß deine Gespräche vollkommen ehr- bar und niemanden eckelhaft seyn.
Verachte keinen Stand, kein Gewerbe, keine Kunst, keine Wissenschaft. Es ist nöthig, daß die mehresten neben einander da sind. Du kannst ohnmöglich alle ihre Vorzüge wissen. Die Vergleichung ist unnütz und vielem Widerspruche unterworfen.
Jn fremden Gesellschaften, deren Glieder du nicht kennst, rede mit solcher Vorsichtigkeit, als wenn du gewiß wärest, daß irgend einer das Gegentheil derjenigen Meynung glaubt, welche du vortragen willst.
§. 43.
Die Sittenlehre
Gieb andern oft Gelegenheit, ihren Verſtand, ihre Geſchicklichkeit und ihre Tugend zu zeigen. Raube ſie ihnen nicht durch Geſpräche von dir ſelbſt. Es iſt vortheilhafter, gefaͤllig zu ſeyn, als unſer eigen Lob auszubreiten.
Eine ſtumme Geſellſchaft wird ſchlaͤfrig und misvergnuͤgt. Fuͤhre etwas auf die Bahn, wenn niemand redet. Zu dieſem Ende lies eine Zeitung und richte dich auf gute Geſpraͤche. Er- kundige dich nach der Kunſt, die dein Geſellſchafter weis, oder nach ſeinem Handwerke und Gewerbe. Dieſes iſt ihm angenehm und dir lehrreich.
Aber laß deine Geſpraͤche vollkommen ehr- bar und niemanden eckelhaft ſeyn.
Verachte keinen Stand, kein Gewerbe, keine Kunſt, keine Wiſſenſchaft. Es iſt noͤthig, daß die mehreſten neben einander da ſind. Du kannſt ohnmoͤglich alle ihre Vorzuͤge wiſſen. Die Vergleichung iſt unnuͤtz und vielem Widerſpruche unterworfen.
Jn fremden Geſellſchaften, deren Glieder du nicht kennſt, rede mit ſolcher Vorſichtigkeit, als wenn du gewiß waͤreſt, daß irgend einer das Gegentheil derjenigen Meynung glaubt, welche du vortragen willſt.
§. 43.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0116"n="92"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die Sittenlehre</hi></fw><lb/><p>Gieb andern oft Gelegenheit, ihren Verſtand,<lb/>
ihre Geſchicklichkeit und ihre Tugend zu zeigen.<lb/>
Raube ſie ihnen nicht durch <hirendition="#fr">Geſpräche von dir<lb/>ſelbſt.</hi> Es iſt vortheilhafter, gefaͤllig zu ſeyn,<lb/>
als unſer eigen Lob auszubreiten.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Eine ſtumme Geſellſchaft</hi> wird ſchlaͤfrig<lb/>
und misvergnuͤgt. Fuͤhre etwas auf die Bahn,<lb/>
wenn niemand redet. Zu dieſem Ende lies eine<lb/>
Zeitung und richte dich auf gute Geſpraͤche. Er-<lb/>
kundige dich nach der Kunſt, die dein Geſellſchafter<lb/>
weis, oder nach ſeinem Handwerke und Gewerbe.<lb/>
Dieſes iſt ihm angenehm und dir lehrreich.</p><lb/><p>Aber laß deine Geſpraͤche <hirendition="#fr">vollkommen ehr-<lb/>
bar</hi> und niemanden eckelhaft ſeyn.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Verachte keinen Stand,</hi> kein Gewerbe,<lb/>
keine Kunſt, keine Wiſſenſchaft. Es iſt noͤthig,<lb/>
daß die mehreſten neben einander da ſind. Du<lb/>
kannſt ohnmoͤglich alle ihre Vorzuͤge wiſſen. Die<lb/>
Vergleichung iſt unnuͤtz und vielem Widerſpruche<lb/>
unterworfen.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Jn fremden Geſellſchaften,</hi> deren Glieder<lb/>
du nicht kennſt, rede mit ſolcher Vorſichtigkeit,<lb/>
als wenn du gewiß waͤreſt, daß irgend einer das<lb/>
Gegentheil derjenigen Meynung glaubt, welche<lb/>
du vortragen willſt.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">§. 43.</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[92/0116]
Die Sittenlehre
Gieb andern oft Gelegenheit, ihren Verſtand,
ihre Geſchicklichkeit und ihre Tugend zu zeigen.
Raube ſie ihnen nicht durch Geſpräche von dir
ſelbſt. Es iſt vortheilhafter, gefaͤllig zu ſeyn,
als unſer eigen Lob auszubreiten.
Eine ſtumme Geſellſchaft wird ſchlaͤfrig
und misvergnuͤgt. Fuͤhre etwas auf die Bahn,
wenn niemand redet. Zu dieſem Ende lies eine
Zeitung und richte dich auf gute Geſpraͤche. Er-
kundige dich nach der Kunſt, die dein Geſellſchafter
weis, oder nach ſeinem Handwerke und Gewerbe.
Dieſes iſt ihm angenehm und dir lehrreich.
Aber laß deine Geſpraͤche vollkommen ehr-
bar und niemanden eckelhaft ſeyn.
Verachte keinen Stand, kein Gewerbe,
keine Kunſt, keine Wiſſenſchaft. Es iſt noͤthig,
daß die mehreſten neben einander da ſind. Du
kannſt ohnmoͤglich alle ihre Vorzuͤge wiſſen. Die
Vergleichung iſt unnuͤtz und vielem Widerſpruche
unterworfen.
Jn fremden Geſellſchaften, deren Glieder
du nicht kennſt, rede mit ſolcher Vorſichtigkeit,
als wenn du gewiß waͤreſt, daß irgend einer das
Gegentheil derjenigen Meynung glaubt, welche
du vortragen willſt.
§. 43.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/116>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.