Die Jugend kann ohne die Gunst der Alten nicht glücklich werden. Eine unbescheidene Zu- verläßigkeit aber ist im höchsten Grade mißfällig. Also, mein Sohn, bestrebe dich nach der deinem Alter nöthigen Bescheidenheit. Halte dich in Gesellschaften nicht für wichtig. Höre viel, und denke in der Stille nach; aber rede wenig. Mußt du dem Urtheile der Alten widersprechen; so trage das Deinige so vor, als wenn du das Jhrige nicht verstanden hättest.
So lange du unter häuslicher Herrschaft stehst, so beobachte ihren Vortheil in grossen und kleinen Dingen so beständig und so sichtbar, daß sie dich für ein nöthiges Werkzeug ihres Glückes halten. Die Nachläßigkeit kann so viele Wir- kungen haben, als die Untreue; und die Unvor- sichtigkeit schadet in einem Augenblicke oft mehr, als die längste Nachläßigkeit. Handle so treu, als wenn allenthalben lauter Augen deiner Herrschaft wären. Ein jeder Unterschleif, ein jeder Genuß solcher Dinge, welche man dir nicht zugedacht hat, ist ein Betrug und ein Diebstahl, dessen Gewohn- heit zu einem gewissen Unglücke der Jugend ohn- fehlbar bald entdeckt, verabscheut und bestraft wird. Laß dich das böse Exempel deiner Mitgenossen nicht locken. Du siehst ihre Sünden, aber nicht die künftigen und verborgnen Wirkungen derselben.
Wun-
F
aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc.
Die Jugend kann ohne die Gunſt der Alten nicht gluͤcklich werden. Eine unbeſcheidene Zu- verlaͤßigkeit aber iſt im hoͤchſten Grade mißfaͤllig. Alſo, mein Sohn, beſtrebe dich nach der deinem Alter noͤthigen Beſcheidenheit. Halte dich in Geſellſchaften nicht fuͤr wichtig. Hoͤre viel, und denke in der Stille nach; aber rede wenig. Mußt du dem Urtheile der Alten widerſprechen; ſo trage das Deinige ſo vor, als wenn du das Jhrige nicht verſtanden haͤtteſt.
So lange du unter häuslicher Herrſchaft ſtehſt, ſo beobachte ihren Vortheil in groſſen und kleinen Dingen ſo beſtaͤndig und ſo ſichtbar, daß ſie dich fuͤr ein noͤthiges Werkzeug ihres Gluͤckes halten. Die Nachläßigkeit kann ſo viele Wir- kungen haben, als die Untreue; und die Unvor- ſichtigkeit ſchadet in einem Augenblicke oft mehr, als die laͤngſte Nachlaͤßigkeit. Handle ſo treu, als wenn allenthalben lauter Augen deiner Herrſchaft waͤren. Ein jeder Unterſchleif, ein jeder Genuß ſolcher Dinge, welche man dir nicht zugedacht hat, iſt ein Betrug und ein Diebſtahl, deſſen Gewohn- heit zu einem gewiſſen Ungluͤcke der Jugend ohn- fehlbar bald entdeckt, verabſcheut und beſtraft wird. Laß dich das boͤſe Exempel deiner Mitgenoſſen nicht locken. Du ſiehſt ihre Suͤnden, aber nicht die kuͤnftigen und verborgnen Wirkungen derſelben.
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aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc.
Die Jugend kann ohne die Gunſt der Alten
nicht gluͤcklich werden. Eine unbeſcheidene Zu-
verlaͤßigkeit aber iſt im hoͤchſten Grade mißfaͤllig.
Alſo, mein Sohn, beſtrebe dich nach der deinem
Alter noͤthigen Beſcheidenheit. Halte dich in
Geſellſchaften nicht fuͤr wichtig. Hoͤre viel, und
denke in der Stille nach; aber rede wenig. Mußt
du dem Urtheile der Alten widerſprechen; ſo trage
das Deinige ſo vor, als wenn du das Jhrige nicht
verſtanden haͤtteſt.
So lange du unter häuslicher Herrſchaft
ſtehſt, ſo beobachte ihren Vortheil in groſſen und
kleinen Dingen ſo beſtaͤndig und ſo ſichtbar, daß
ſie dich fuͤr ein noͤthiges Werkzeug ihres Gluͤckes
halten. Die Nachläßigkeit kann ſo viele Wir-
kungen haben, als die Untreue; und die Unvor-
ſichtigkeit ſchadet in einem Augenblicke oft mehr,
als die laͤngſte Nachlaͤßigkeit. Handle ſo treu, als
wenn allenthalben lauter Augen deiner Herrſchaft
waͤren. Ein jeder Unterſchleif, ein jeder Genuß
ſolcher Dinge, welche man dir nicht zugedacht hat,
iſt ein Betrug und ein Diebſtahl, deſſen Gewohn-
heit zu einem gewiſſen Ungluͤcke der Jugend ohn-
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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/105>, abgerufen am 03.07.2024.
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