Die Jugend ist zwar unerfahren, aber kann doch gemeiniglich nicht zweifeln, daß die Eltern die Wohlfahrt der Kinder von Herzen wünschen, und dieselben an Einsicht in ihr wahres Beste über- treffen, (wenn gleich der jugendliche Verstand nicht in jedem Falle den wahren Nutzen der väter- lichen Befehle und Verbote einsieht, und es auch bisweilen geschicht, daß die Freyheit der Kinder von den Eltern auf eine unnöthige Weise einge- schrenkt wird). Die Liebe und Weisheit der Eltern ist also der dritte Bewegungsgrund, um welches willen die Kinder willig gehorchen sollten.
Die Herrschaft der Eltern, und folglich die Pflicht des eigentlichen Gehorsams der Kin- der, hört zwar auf, wenn die letztern sich selbst versorgen, und als Unterthanen unmittelbar unter der Obrigkeit stehn. Aber die Ehrerbietung gegen die Eltern, als gewesene Herren, die Dankbarkeit gegen sie, als die größten Wohlthäter, und das Vertraun zu ihnen, als zu treuen und verständigen Freunden, darf niemals aufhören, oder sie müßten des Standes der Eltern ganz unwürdig gewesen seyn.
Wie glückselig wäre ich, mein Sohn, wenn ich dir rathen könnte, mein ganzes Verhalten nach- zuahmen! Die Kinder müssen selbst von den Fehlern ihrer Eltern Weisheit lernen, aber nicht gern davon reden.
Die
Die Sittenlehre
Die Jugend iſt zwar unerfahren, aber kann doch gemeiniglich nicht zweifeln, daß die Eltern die Wohlfahrt der Kinder von Herzen wuͤnſchen, und dieſelben an Einſicht in ihr wahres Beſte uͤber- treffen, (wenn gleich der jugendliche Verſtand nicht in jedem Falle den wahren Nutzen der vaͤter- lichen Befehle und Verbote einſieht, und es auch bisweilen geſchicht, daß die Freyheit der Kinder von den Eltern auf eine unnoͤthige Weiſe einge- ſchrenkt wird). Die Liebe und Weisheit der Eltern iſt alſo der dritte Bewegungsgrund, um welches willen die Kinder willig gehorchen ſollten.
Die Herrſchaft der Eltern, und folglich die Pflicht des eigentlichen Gehorſams der Kin- der, hört zwar auf, wenn die letztern ſich ſelbſt verſorgen, und als Unterthanen unmittelbar unter der Obrigkeit ſtehn. Aber die Ehrerbietung gegen die Eltern, als geweſene Herren, die Dankbarkeit gegen ſie, als die groͤßten Wohlthaͤter, und das Vertraun zu ihnen, als zu treuen und verſtaͤndigen Freunden, darf niemals aufhoͤren, oder ſie muͤßten des Standes der Eltern ganz unwuͤrdig geweſen ſeyn.
Wie gluͤckſelig waͤre ich, mein Sohn, wenn ich dir rathen koͤnnte, mein ganzes Verhalten nach- zuahmen! Die Kinder muͤſſen ſelbſt von den Fehlern ihrer Eltern Weisheit lernen, aber nicht gern davon reden.
Die
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Die Sittenlehre
Die Jugend iſt zwar unerfahren, aber kann
doch gemeiniglich nicht zweifeln, daß die Eltern
die Wohlfahrt der Kinder von Herzen wuͤnſchen,
und dieſelben an Einſicht in ihr wahres Beſte uͤber-
treffen, (wenn gleich der jugendliche Verſtand
nicht in jedem Falle den wahren Nutzen der vaͤter-
lichen Befehle und Verbote einſieht, und es auch
bisweilen geſchicht, daß die Freyheit der Kinder
von den Eltern auf eine unnoͤthige Weiſe einge-
ſchrenkt wird). Die Liebe und Weisheit der Eltern
iſt alſo der dritte Bewegungsgrund, um welches
willen die Kinder willig gehorchen ſollten.
Die Herrſchaft der Eltern, und folglich die
Pflicht des eigentlichen Gehorſams der Kin-
der, hört zwar auf, wenn die letztern ſich ſelbſt
verſorgen, und als Unterthanen unmittelbar unter
der Obrigkeit ſtehn. Aber die Ehrerbietung gegen
die Eltern, als geweſene Herren, die Dankbarkeit
gegen ſie, als die groͤßten Wohlthaͤter, und das
Vertraun zu ihnen, als zu treuen und verſtaͤndigen
Freunden, darf niemals aufhoͤren, oder ſie muͤßten
des Standes der Eltern ganz unwuͤrdig geweſen ſeyn.
Wie gluͤckſelig waͤre ich, mein Sohn, wenn
ich dir rathen koͤnnte, mein ganzes Verhalten nach-
zuahmen! Die Kinder muͤſſen ſelbſt von den
Fehlern ihrer Eltern Weisheit lernen, aber
nicht gern davon reden.
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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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