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Basedow, Johann Bernhard: Das in Dessau errichtete Philanthropinum. Leipzig, 1774.

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Das Gewölb schallt täglich wieder vom Ge-
schrey der Geschlagnen, -- eines Geschöpfs, das
mehr Verstand und Gedächtniß brauchen soll, als
Gott ihm gab; oder eines vielleicht künftigen Neu-
tons, welcher der Fall-Endung eines nie verstand-
nen Wortes vergißt; oder eines zum Bessern er-
schaffnen Geistes, der, mit Unlust und irrend,
Roms und des Vaterlands Worte und Phrasen
wechselt, die ihm an Jnhalt leer sind. Erbarmt
euch, Freunde der Frühlingsjahre!

O du Ernesti und Hayne, und wie ihr
sonst heißt, ihr wenigen ächten Söhne des grossen
Gesners, ihr, von dem Geiste des majestäti-
schen Consuls und Weisen
der Römer durch-
drungnen, Lehrer Germaniens! Unser Tullius soll
nicht mehr in den Comitien der Unmündigen ein ver-
haßter Phrasendictator bleiben, und jeden Augenblick
expedi virgas rufen. Unerhört werde diese Entheili-
gung, ehe der Rector, der über Neuerungen seufzt, sich
und die bemäntelten Schüler angstvoll zu den Exa-
mens von 10 Ostern vorbereitet, und in eben so viel
Orationen, mit lauter Worten des güldnen Alters,
die Mäcenaten seines Städtchens verehrt.

War meinem Vorhaben kein Unsegen be-
stimmt: so naht sich die Zeit, wo der Knab im
Umschaun nach der Natur und im Horchen nach des

Lehrers

Das Gewoͤlb ſchallt taͤglich wieder vom Ge-
ſchrey der Geſchlagnen, — eines Geſchoͤpfs, das
mehr Verſtand und Gedaͤchtniß brauchen ſoll, als
Gott ihm gab; oder eines vielleicht kuͤnftigen Neu-
tons, welcher der Fall-Endung eines nie verſtand-
nen Wortes vergißt; oder eines zum Beſſern er-
ſchaffnen Geiſtes, der, mit Unluſt und irrend,
Roms und des Vaterlands Worte und Phraſen
wechſelt, die ihm an Jnhalt leer ſind. Erbarmt
euch, Freunde der Fruͤhlingsjahre!

O du Erneſti und Hayne, und wie ihr
ſonſt heißt, ihr wenigen aͤchten Soͤhne des groſſen
Gesners, ihr, von dem Geiſte des majeſtaͤti-
ſchen Conſuls und Weiſen
der Roͤmer durch-
drungnen, Lehrer Germaniens! Unſer Tullius ſoll
nicht mehr in den Comitien der Unmuͤndigen ein ver-
haßter Phraſendictator bleiben, und jeden Augenblick
expedi virgas rufen. Unerhoͤrt werde dieſe Entheili-
gung, ehe der Rector, der uͤber Neuerungen ſeufzt, ſich
und die bemaͤntelten Schuͤler angſtvoll zu den Exa-
mens von 10 Oſtern vorbereitet, und in eben ſo viel
Orationen, mit lauter Worten des guͤldnen Alters,
die Maͤcenaten ſeines Staͤdtchens verehrt.

War meinem Vorhaben kein Unſegen be-
ſtimmt: ſo naht ſich die Zeit, wo der Knab im
Umſchaun nach der Natur und im Horchen nach des

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[X/0014] Das Gewoͤlb ſchallt taͤglich wieder vom Ge- ſchrey der Geſchlagnen, — eines Geſchoͤpfs, das mehr Verſtand und Gedaͤchtniß brauchen ſoll, als Gott ihm gab; oder eines vielleicht kuͤnftigen Neu- tons, welcher der Fall-Endung eines nie verſtand- nen Wortes vergißt; oder eines zum Beſſern er- ſchaffnen Geiſtes, der, mit Unluſt und irrend, Roms und des Vaterlands Worte und Phraſen wechſelt, die ihm an Jnhalt leer ſind. Erbarmt euch, Freunde der Fruͤhlingsjahre! O du Erneſti und Hayne, und wie ihr ſonſt heißt, ihr wenigen aͤchten Soͤhne des groſſen Gesners, ihr, von dem Geiſte des majeſtaͤti- ſchen Conſuls und Weiſen der Roͤmer durch- drungnen, Lehrer Germaniens! Unſer Tullius ſoll nicht mehr in den Comitien der Unmuͤndigen ein ver- haßter Phraſendictator bleiben, und jeden Augenblick expedi virgas rufen. Unerhoͤrt werde dieſe Entheili- gung, ehe der Rector, der uͤber Neuerungen ſeufzt, ſich und die bemaͤntelten Schuͤler angſtvoll zu den Exa- mens von 10 Oſtern vorbereitet, und in eben ſo viel Orationen, mit lauter Worten des guͤldnen Alters, die Maͤcenaten ſeines Staͤdtchens verehrt. War meinem Vorhaben kein Unſegen be- ſtimmt: ſo naht ſich die Zeit, wo der Knab im Umſchaun nach der Natur und im Horchen nach des Lehrers

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Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Das in Dessau errichtete Philanthropinum. Leipzig, 1774, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_philanthropinum_1774/14>, abgerufen am 19.04.2024.