aus tausend Wunden blutende Herz des zur Verzweiflung getriebenen Volkes nackt aufzudecken".
So verfiel man auf den Kniff, immer nur von der Reformation, nie aber von der Revolution zu sprechen, die jener Zeit ihr Gepräge gab; und auf den weiteren Kniff, Luthers Stellungnahme in den Bauernkriegen, zwar als einen dunklen Punkt in seinem Leben, im ganzen aber als eine untergeordnete Episode darzustellen, während seine ablehnende Haltung 1525 tatsächlich die Revolution zum Scheitern brachte und die von ihm selbst ermutigten politischen Rebellen im Stiche liess 38). Es kann nicht nachdrücklich genug betont werden, dass damals das ganze deutsche Volk, von Wut und Empörung gegen Pfaffen, Gelehrte und Junker gleicherweise getrieben, nicht nur den Klerus, sondern den Raubbau der Theokratie ab- zuschütteln gewillt war. Es kann nicht laut genug aus- gesprochen werden, dass Luther es war, der verhinderte, dass Deutschland damals an die Spitze der freiheitlichen Zivilisation trat und als Land einer evangelischen Republik der Vorläufer Frankreichs wurde. Ein abergläubischer Mönch, ohne Sinn für die tiefere Not seines Volkes, aufbrausend, dogmatisch und ein Despot, als die Zeit von ihm die Konsequenz seiner Lehre verlangte, dieser Mönch hat verhindert, dass Deutschland heute statt eines feudal zen- tralistischen Militärstaats eine freie Föderation evangelischer Stämme und Städte darstellt, im Sinne der christlichen Korporationsidee.
Die Bauernkriege erstreckten sich über fast ganz Europa. Nicht plötzlich, sondern wohl vorbereitet brachen sie aus. Ihre Geschichtsschreiber haben den furchtbaren Druck und die Ausbeutung aufgezeigt, mit denen das päpstlich-kaiserliche Doppelregime die Bauern nach einer Methode ruinierte, der nur das heutige Doppelregime Hohenzollern-Habsburg etwas gleich Schändliches und Raffiniertes an die Seite zu stellen hat. Astrologen und Propheten hatten den Sturz der
aus tausend Wunden blutende Herz des zur Verzweiflung getriebenen Volkes nackt aufzudecken“.
So verfiel man auf den Kniff, immer nur von der Reformation, nie aber von der Revolution zu sprechen, die jener Zeit ihr Gepräge gab; und auf den weiteren Kniff, Luthers Stellungnahme in den Bauernkriegen, zwar als einen dunklen Punkt in seinem Leben, im ganzen aber als eine untergeordnete Episode darzustellen, während seine ablehnende Haltung 1525 tatsächlich die Revolution zum Scheitern brachte und die von ihm selbst ermutigten politischen Rebellen im Stiche liess 38). Es kann nicht nachdrücklich genug betont werden, dass damals das ganze deutsche Volk, von Wut und Empörung gegen Pfaffen, Gelehrte und Junker gleicherweise getrieben, nicht nur den Klerus, sondern den Raubbau der Theokratie ab- zuschütteln gewillt war. Es kann nicht laut genug aus- gesprochen werden, dass Luther es war, der verhinderte, dass Deutschland damals an die Spitze der freiheitlichen Zivilisation trat und als Land einer evangelischen Republik der Vorläufer Frankreichs wurde. Ein abergläubischer Mönch, ohne Sinn für die tiefere Not seines Volkes, aufbrausend, dogmatisch und ein Despot, als die Zeit von ihm die Konsequenz seiner Lehre verlangte, dieser Mönch hat verhindert, dass Deutschland heute statt eines feudal zen- tralistischen Militärstaats eine freie Föderation evangelischer Stämme und Städte darstellt, im Sinne der christlichen Korporationsidee.
Die Bauernkriege erstreckten sich über fast ganz Europa. Nicht plötzlich, sondern wohl vorbereitet brachen sie aus. Ihre Geschichtsschreiber haben den furchtbaren Druck und die Ausbeutung aufgezeigt, mit denen das päpstlich-kaiserliche Doppelregime die Bauern nach einer Methode ruinierte, der nur das heutige Doppelregime Hohenzollern-Habsburg etwas gleich Schändliches und Raffiniertes an die Seite zu stellen hat. Astrologen und Propheten hatten den Sturz der
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aus tausend Wunden blutende Herz des zur Verzweiflung
getriebenen Volkes nackt aufzudecken“.
So verfiel man auf den Kniff, immer nur von der
Reformation, nie aber von der Revolution zu sprechen,
die jener Zeit ihr Gepräge gab; und auf den weiteren
Kniff, Luthers Stellungnahme in den Bauernkriegen, zwar
als einen dunklen Punkt in seinem Leben, im ganzen
aber als eine untergeordnete Episode darzustellen, während
seine ablehnende Haltung 1525 tatsächlich die Revolution
zum Scheitern brachte und die von ihm selbst ermutigten
politischen Rebellen im Stiche liess
³⁸⁾
. Es kann nicht
nachdrücklich genug betont werden, dass damals das ganze
deutsche Volk, von Wut und Empörung gegen Pfaffen,
Gelehrte und Junker gleicherweise getrieben, nicht nur
den Klerus, sondern den Raubbau der Theokratie ab-
zuschütteln gewillt war. Es kann nicht laut genug aus-
gesprochen werden, dass Luther es war, der verhinderte,
dass Deutschland damals an die Spitze der freiheitlichen
Zivilisation trat und als Land einer evangelischen Republik
der Vorläufer Frankreichs wurde. Ein abergläubischer Mönch,
ohne Sinn für die tiefere Not seines Volkes, aufbrausend,
dogmatisch und ein Despot, als die Zeit von ihm die
Konsequenz seiner Lehre verlangte, dieser Mönch hat
verhindert, dass Deutschland heute statt eines feudal zen-
tralistischen Militärstaats eine freie Föderation evangelischer
Stämme und Städte darstellt, im Sinne der christlichen
Korporationsidee.
Die Bauernkriege erstreckten sich über fast ganz Europa.
Nicht plötzlich, sondern wohl vorbereitet brachen sie aus.
Ihre Geschichtsschreiber haben den furchtbaren Druck und
die Ausbeutung aufgezeigt, mit denen das päpstlich-kaiserliche
Doppelregime die Bauern nach einer Methode ruinierte, der
nur das heutige Doppelregime Hohenzollern-Habsburg etwas
gleich Schändliches und Raffiniertes an die Seite zu stellen
hat. Astrologen und Propheten hatten den Sturz der
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/44>, abgerufen am 21.11.2024.
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