heutigen Intelligenz verbinden. Das heroische Demutsideal eines heiligen Franziskus, eines heiligen Dominicus, das langsam in Qualen und Demütigungen zur eigenen Gottes- nähe und damit zur Ueberwindung des doktrinären Katholizis- mus führte, -- wie sehr unterschied es sich von der platten und materiellen Weltfreudigkeit Luthers! "Für uns bleiben", schreibt Schickele, "ihre Werke Dokumente der eigenen Disziplin, Beispiele, wie man schmiegsam, empfindlich und doch gefasst wird, und auch dann, wenn ihr Egoismus in die Gewalttätigkeit einer moralischen Mission ausläuft, sehen wir nur ihren eigenen inneren Kampf. Unser Gefühl verwandelt die Glaubenskämpfe in Kämpfe um die äussere Freiheit des Menschen, und die religiöse Meditation wird, während wir uns einer Disziplin unterwerfen, zur Kultur der inneren ewigen Schönheit".
Die spirituelle und spekulative Macht des Papst- tums war nicht damit überwunden, dass ein hartmäuliger deutscher Augustinermönch den Papst "des Teufels Saw" nannte. Die Hierarchie als Kategorie der Geister war damit nicht aufgehoben. Was wusste ein diabolischer Mönch von den göttlichen Abenteuern des Lebens, jenem passiven Fanatismus, auf den die strenge katholische Mystik hinauslief! Was von der in glühender Askese erlangten Souveränität einer heiligen Therese oder eines Ortiz, der seiner Freundin Hernandez gottverschwärmt zu sagen wagen durfte, sie sei zu einer solchen Vollkommenheit gelangt, dass sie eine minderwertige Angelegenheit wie die Keuschheit sei, nicht mehr zu beachten brauche! Die Gottbesessenheit solchen Mittelalters hatte das System des offiziellen Katholizismus eben- falls durchbrochen, wenn auch auf eine Weise, die dem treu- herzigen Bruder Martin zeitlebens fremd blieb. In unendlichen Seelenkämpfen erfuhren jene Asketen die Auflösung der Religion in ihre Urelemente, in Tränen und Trauer, er- fuhren sie die Sinnlosigkeit des Daseins, den irren Schrei menschlicher Qual und Vernichtung. In Franz von Assisi,
heutigen Intelligenz verbinden. Das heroische Demutsideal eines heiligen Franziskus, eines heiligen Dominicus, das langsam in Qualen und Demütigungen zur eigenen Gottes- nähe und damit zur Ueberwindung des doktrinären Katholizis- mus führte, — wie sehr unterschied es sich von der platten und materiellen Weltfreudigkeit Luthers! „Für uns bleiben“, schreibt Schickele, „ihre Werke Dokumente der eigenen Disziplin, Beispiele, wie man schmiegsam, empfindlich und doch gefasst wird, und auch dann, wenn ihr Egoismus in die Gewalttätigkeit einer moralischen Mission ausläuft, sehen wir nur ihren eigenen inneren Kampf. Unser Gefühl verwandelt die Glaubenskämpfe in Kämpfe um die äussere Freiheit des Menschen, und die religiöse Meditation wird, während wir uns einer Disziplin unterwerfen, zur Kultur der inneren ewigen Schönheit“.
Die spirituelle und spekulative Macht des Papst- tums war nicht damit überwunden, dass ein hartmäuliger deutscher Augustinermönch den Papst „des Teufels Saw“ nannte. Die Hierarchie als Kategorie der Geister war damit nicht aufgehoben. Was wusste ein diabolischer Mönch von den göttlichen Abenteuern des Lebens, jenem passiven Fanatismus, auf den die strenge katholische Mystik hinauslief! Was von der in glühender Askese erlangten Souveränität einer heiligen Therese oder eines Ortiz, der seiner Freundin Hernandez gottverschwärmt zu sagen wagen durfte, sie sei zu einer solchen Vollkommenheit gelangt, dass sie eine minderwertige Angelegenheit wie die Keuschheit sei, nicht mehr zu beachten brauche! Die Gottbesessenheit solchen Mittelalters hatte das System des offiziellen Katholizismus eben- falls durchbrochen, wenn auch auf eine Weise, die dem treu- herzigen Bruder Martin zeitlebens fremd blieb. In unendlichen Seelenkämpfen erfuhren jene Asketen die Auflösung der Religion in ihre Urelemente, in Tränen und Trauer, er- fuhren sie die Sinnlosigkeit des Daseins, den irren Schrei menschlicher Qual und Vernichtung. In Franz von Assisi,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0035"n="27"/>
heutigen Intelligenz verbinden. Das heroische Demutsideal<lb/>
eines heiligen Franziskus, eines heiligen Dominicus, das<lb/>
langsam in Qualen und Demütigungen zur eigenen Gottes-<lb/>
nähe und damit zur Ueberwindung des doktrinären Katholizis-<lb/>
mus führte, — wie sehr unterschied es sich von der platten<lb/>
und materiellen Weltfreudigkeit Luthers! „Für uns bleiben“,<lb/>
schreibt Schickele, „ihre Werke Dokumente der eigenen<lb/>
Disziplin, Beispiele, wie man schmiegsam, empfindlich und<lb/>
doch gefasst wird, und auch dann, wenn ihr Egoismus in<lb/>
die Gewalttätigkeit einer moralischen Mission ausläuft, sehen<lb/>
wir nur ihren eigenen inneren Kampf. Unser Gefühl<lb/>
verwandelt die Glaubenskämpfe in Kämpfe um die äussere<lb/>
Freiheit des Menschen, und die religiöse Meditation wird,<lb/>
während wir uns einer Disziplin unterwerfen, zur Kultur der<lb/>
inneren ewigen Schönheit“.</p><lb/><p>Die spirituelle und spekulative Macht des Papst-<lb/>
tums war nicht damit überwunden, dass ein hartmäuliger<lb/>
deutscher Augustinermönch den Papst „des Teufels Saw“<lb/>
nannte. Die Hierarchie als Kategorie der Geister war damit<lb/>
nicht aufgehoben. Was wusste ein diabolischer Mönch<lb/>
von den <hirendition="#i">göttlichen</hi> Abenteuern des Lebens, jenem passiven<lb/>
Fanatismus, auf den die strenge katholische Mystik hinauslief!<lb/>
Was von der in glühender Askese erlangten Souveränität<lb/>
einer heiligen Therese oder eines Ortiz, der seiner Freundin<lb/>
Hernandez gottverschwärmt zu sagen wagen durfte, sie sei<lb/>
zu einer solchen Vollkommenheit gelangt, dass sie eine<lb/>
minderwertige Angelegenheit wie die Keuschheit sei, nicht<lb/>
mehr zu beachten brauche! Die Gottbesessenheit solchen<lb/>
Mittelalters hatte das System des offiziellen Katholizismus eben-<lb/>
falls durchbrochen, wenn auch auf eine Weise, die dem treu-<lb/>
herzigen Bruder Martin zeitlebens fremd blieb. In unendlichen<lb/>
Seelenkämpfen erfuhren jene Asketen die Auflösung der<lb/>
Religion in ihre Urelemente, in Tränen und Trauer, er-<lb/>
fuhren sie die Sinnlosigkeit des Daseins, den irren Schrei<lb/>
menschlicher Qual und Vernichtung. In Franz von Assisi,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[27/0035]
heutigen Intelligenz verbinden. Das heroische Demutsideal
eines heiligen Franziskus, eines heiligen Dominicus, das
langsam in Qualen und Demütigungen zur eigenen Gottes-
nähe und damit zur Ueberwindung des doktrinären Katholizis-
mus führte, — wie sehr unterschied es sich von der platten
und materiellen Weltfreudigkeit Luthers! „Für uns bleiben“,
schreibt Schickele, „ihre Werke Dokumente der eigenen
Disziplin, Beispiele, wie man schmiegsam, empfindlich und
doch gefasst wird, und auch dann, wenn ihr Egoismus in
die Gewalttätigkeit einer moralischen Mission ausläuft, sehen
wir nur ihren eigenen inneren Kampf. Unser Gefühl
verwandelt die Glaubenskämpfe in Kämpfe um die äussere
Freiheit des Menschen, und die religiöse Meditation wird,
während wir uns einer Disziplin unterwerfen, zur Kultur der
inneren ewigen Schönheit“.
Die spirituelle und spekulative Macht des Papst-
tums war nicht damit überwunden, dass ein hartmäuliger
deutscher Augustinermönch den Papst „des Teufels Saw“
nannte. Die Hierarchie als Kategorie der Geister war damit
nicht aufgehoben. Was wusste ein diabolischer Mönch
von den göttlichen Abenteuern des Lebens, jenem passiven
Fanatismus, auf den die strenge katholische Mystik hinauslief!
Was von der in glühender Askese erlangten Souveränität
einer heiligen Therese oder eines Ortiz, der seiner Freundin
Hernandez gottverschwärmt zu sagen wagen durfte, sie sei
zu einer solchen Vollkommenheit gelangt, dass sie eine
minderwertige Angelegenheit wie die Keuschheit sei, nicht
mehr zu beachten brauche! Die Gottbesessenheit solchen
Mittelalters hatte das System des offiziellen Katholizismus eben-
falls durchbrochen, wenn auch auf eine Weise, die dem treu-
herzigen Bruder Martin zeitlebens fremd blieb. In unendlichen
Seelenkämpfen erfuhren jene Asketen die Auflösung der
Religion in ihre Urelemente, in Tränen und Trauer, er-
fuhren sie die Sinnlosigkeit des Daseins, den irren Schrei
menschlicher Qual und Vernichtung. In Franz von Assisi,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/35>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.